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Interview zu US-Handelspolitik
«Zähne zusammenbeissen – das hat der Schweiz in der Krise oft geholfen»

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In Kürze:
  • Die US-Uhrenindustrie betreibt ab 1910 starkes Lobbying gegen Schweizer Importe.
  • Die Folge sind hohe Zölle gegen Uhren aus der Schweiz.
  • Nach dem Börsencrash 1929 brechen die Uhrenexporte drastisch ein.
  • Erst die Abwertung des Schweizer Frankens 1936 führt zur wirtschaftlichen Erholung.

Die Aufregung in der Schweizer Uhrenindustrie im Jahr 1930 ist gross: Die USA verdreifachen die Zölle auf Schweizer Uhren auf 60 Prozent. Von einem «unfreundlichen Akt» ist in zeitgenössischen Zeitungsinseraten die Rede, der die nationale Wirtschaft gefährde.

95 Jahre später kündigt US-Präsident Donald Trump Strafzölle auf Schweizer Produkte von bis zu 32 Prozent an. Der Schweizer Wirtschaftsprofessor Pierre-Yves Donzé, der an der Universität Osaka lehrt, analysiert beide Ereignisse. Im Interview erläutert er, mit welchem Erfolgsrezept sich die Schweiz in Krisenzeiten behauptet hat.

Herr Donzé, 1930 musste die Schweizer Uhrenindustrie hohe Zölle aus den USA hinnehmen. Was ist damals passiert?

Es gibt zwei besondere Umstände. Die US-Uhrenindustrie betreibt ab 1910 ein starkes Lobbying in Washington, um die Branche zu schützen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Amerikaner nach wie vor auf Taschenuhren setzen. Anderswo auf der Welt setzt sich jedoch die Armbanduhr durch. Dann führt der Börsencrash von 1929 dazu, dass die USA Zölle auf Schweizer Uhren erheben. Wenn schon, dann sollen die einheimischen Konsumentinnen und Konsumenten US-Produkte kaufen. Viel spannender sind aber die Unterschiede zur Situation heute.

Nämlich?

Ich muss vorausschicken, dass die USA eine lange Tradition protektionistischer Wirtschaftspolitik haben. Was wir jetzt sehen, ist eine Rückkehr zu dieser Gewohnheit. Heute gibt es jedoch keine US-Uhrenindustrie mehr zu schützen. Und es gibt keine Weltwirtschaftskrise. Was Trump vorhat, ist gegen die Globalisierung vorzugehen. Mit Strafzöllen will er ausländische Hersteller dazu bringen, in den USA zu produzieren. So will Trump neue Arbeitsplätze in der Industrie für eine Arbeiterschicht schaffen, die er zu seiner Wählerschaft zählt. Das hat durchaus populistische Züge.

Das könnte man vom New Deal unter US-Präsident Franklin Roosevelt nach dem Börsencrash von 1929 auch behaupten.

Roosevelt war mit einer hohen Arbeitslosigkeit konfrontiert. Neben den Zöllen nutzt er mittelfristig den klassischen Keynesianismus, um die Konjunktur in Gang zu bringen: Der Staat investiert in Rüstung und Infrastruktur, um den Leuten wieder Arbeit zu beschaffen. Gleichzeitig gibt es Sozialreformen. All diese Massnahmen gehen später als New Deal in die Geschichte ein. Derzeit ist indes nicht zu erkennen, dass Trump solche begleitenden Massnahmen einsetzen will.

Welche Lehren lassen sich ziehen?

Die Schweiz war stets erfolgreich darin, sich nach neuen Exportmärkten umzusehen. Das zeigt sich etwa an den Freihandelsabkommen, welche die Schweiz mit China und Indien abgeschlossen hat. Weitere Abkommen mit südamerikanischen Ländern sind in Verhandlung. Es gibt Beispiele aus der Geschichte für dieses erfolgreiche Vorgehen der Schweiz.

Plakat mit Text gegen US-Zolltarife auf Schweizer Uhren mit 300% Erhöhung, appelliert an Industrien, den Kauf zu meiden.

Welche?

Nach dem Ende der napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts kehrt Grossbritannien als erstarkte Wirtschaftsmacht in den kontinentaleuropäischen Markt zurück. Die Schweiz, die sich gerade in der Industrialisierung befindet, kann nicht mithalten und verliert wichtige Absatzmärkte wie beispielsweise Frankreich. Die Wirtschaft schaut sich deshalb nach neuen Abnehmern um und geht nach Südamerika und in den Nahen Osten. Die Zähne zusammenbeissen, sich umorientieren und warten, bis die Krise vorbeigeht: Damit ist die Schweiz in der Regel gut gefahren.

Wie heftig trafen eigentlich die Zölle vor 95 Jahren die Uhrenindustrie?

Die Schweizer Uhrenindustrie ist schon damals stark von den USA abhängig. Man muss aber wissen, dass nach 1929 nicht nur die USA Zölle auf Schweizer Uhren erheben, sondern fast alle Länder. Das hat damit zu tun, dass nach dem Börsencrash die Weltwirtschaft in eine Krise schlittert und die Nachfrage global sinkt. Das führt zu massiven Verwerfungen in der Schweiz. Noch 1929 exportiert die Schweizer Uhrenindustrie 15 Millionen Fertiguhren. Drei Jahre später sind es nur noch 6,5 Millionen Stück. Das kommt einem Schock gleich.

Inwiefern gab es damals politische oder wirtschaftliche Gegenreaktionen aus der Schweiz?

Es ist kaum eine antiamerikanische Stimmung feststellbar, weil praktisch alle Länder eine protektionistische Wirtschaftspolitik verfolgen. Die Schweiz bleibt ihrer wirtschaftsliberalen Linie treu, ist als kleines Land jedoch relativ machtlos. Denn die Welt zieht sich in sich selbst zurück. Das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland streben eine autarke Wirtschaft an. Die kommunistische Sowjetunion und die südamerikanischen Länder schotten ihre Volkswirtschaften ab. Doch dann setzen die Staaten ein radikales Mittel ein, um ihre Konjunktur wieder anzukurbeln.

Sie meinen die Abwertung ihrer Währungen.

Richtig. Einige Staaten – darunter die Schweiz – geben das feste Währungssystem des Goldstandards auf, das ihre Währung an den Goldpreis bindet. Das erlaubt es, eine Währung abzuwerten. Die Schweiz entschliesst sich auf Druck der Exportwirtschaft relativ spät zu diesem Schritt. Erst ab 1936 wertet sie den Franken ab.

Warum diese zögerliche Haltung?

Es spricht einiges dafür, dass Politik und Nationalbank den Finanzplatz sowie den starken Franken nicht gefährden wollten. Die Abwertung wirkte aber. Die Exporte nahmen wieder zu, und die Arbeitslosigkeit sank.

War die Frankenabwertung aus heutiger Sicht sinnvoll?

Es war eher eine Notwendigkeit. Es ist festzuhalten, dass der Franken nicht zusammengebrochen ist. Denn die Rüstungsausgaben vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs haben dazu geführt, dass die Weltwirtschaft wieder in Schwung kam.

Ist heute ein Eingriff in die internationalen Finanzmärkte wieder ein Thema?

Ja, durchaus. Mit Blick auf die Schweiz wäre es im heutigen System flexibler Wechselkurse aber keine Abwertung des Frankens, sondern eine Entwertung oder Abschwächung. Das ist übrigens etwas, das Nick Hayek, Chef des Uhrenkonzerns Swatch Group, schon lange von der Nationalbank fordert: dass sie auf den starken Franken einwirkt. Ob das gerade jetzt angezeigt ist, ist jedoch eine andere Frage. Der starke Franken hat uns in der Zeit nach Covid-19 doch relativ gut vor der Inflation geschützt.