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Virologin im Interview 
«Das Problem bei der Vogelgrippe ist, was in den Pelzfarmen passiert»

Nerzfarmen in Dänemark. Ähnlich sieht es in finnischen Betrieben aus, in denen das Vogelgrippevirus gefunden wurde.
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Als kürzlich Vogelgrippefälle in Finnland in der Nähe von Pelztierfarmen gemeldet wurden, gaben die Behörden Wildvögel zum Abschuss frei. Mittlerweile ordnete die finnische Lebensmittelbehörde an, alle Tiere auf Farmen zu töten, auf denen Vogelgrippeinfektionen festgestellt wurden. Das finnische Radio sprach kürzlich von schätzungsweise 70’000 Pelztieren. Diese Zahlen dürften noch steigen. Die Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf ist Expertin für Zoonosen, also für Infektionskrankheiten, die zwischen Tieren und Menschen wechseln. Sie erklärt, warum es bequemer ist, über Laborunfälle zu diskutieren als über den Umgang der Menschen mit Tieren.

Frau Eckerle, was halten Sie von der Idee, Wildvögel zu töten, um die Ausbreitung von Vogelgrippeviren zu bremsen?

Das ist generell keine sinnvolle Massnahme. Und in diesem Fall ging es nicht einmal um Infektionen unter Wildvögeln, sondern um den Schutz von Pelzfarmen, in denen Füchse, Nerze und Marderhunde gehalten werden. Inzwischen weiss man recht gut, dass die Tötung von Wildtieren zur Eindämmung von Ausbrüchen meistens wenig bringt oder manchmal das Ausbruchsgeschehen sogar noch anheizen kann. Dazu kommt, dass die Vogelgrippe an sich jetzt schon ein grosses Problem für die Vogelbestände ist. Manche Arten sind so stark bedroht, dass sie zumindest in manchen Regionen schon massiv dezimiert sind. Und wenn das Virus bereits in den Zuchtbetrieben angekommen ist, sind ohnehin nicht mehr die Vögel draussen das Problem, sondern das, was dort in den Farmen passiert.

Was meinen Sie?

Es gibt die Befürchtung, dass der Vogelgrippeerreger die Fähigkeit entwickelt, auch Säugetiere effizient zu infizieren. In Einzelfällen passieren solche Infektionen auch jetzt schon, doch durch eine Anpassung könnte das Virus die Fähigkeit erwerben, von Säuger zu Säuger zu springen. So könnte eine neue Pandemie beginnen. Im vergangenen Jahr gab es Berichte von einer spanischen Nerzfarm, auf der das Vogelgrippevirus bereits solche Anpassungsschritte gemacht hatte.

Ohne diese Anpassungen ist der Erreger harmlos für Säugetiere?

Für uns Menschen ist der Erreger nicht harmlos. Es wäre sehr bedrohlich, würde das Virus lernen, von Mensch zu Mensch zu springen. Aber bislang kam es noch nicht zu Infektionen zwischen Menschen. Deshalb ist es jetzt wichtig, herauszufinden, ob das Virus zwischen den Pelztieren weiterübertragen wurde.

Was braucht es, dass sich die Vogelgrippe auch an Säugetiere anpasst?

Mit der Zahl der Kontakte steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Viren neue Fähigkeiten bekommen. Aber es ist nicht so, dass eine einzelne Mutation genügt, damit daraus ein neues Pandemievirus wird. Es gibt auch Gründe, die dagegen sprechen, dass sich das Virus leicht an den Menschen anpassen würde.

«Es ist die richtige Entscheidung, die Tiere der Farmen, auf denen das Virus bereits gefunden wurde, zu töten.»

Laut einer Untersuchung der finnischen Gesundheitsbehörde THL gibt es Mutationen, die auf eine Anpassung an Säugetiere hinweisen. Womöglich sei das Virus von Möwen in die Zuchtbetriebe getragen worden. Wie oft es aber zu einem Kontakt gekommen sei, sei unklar.

Deswegen ist es nun wichtig, entsprechende Analysen der gefundenen Viren zu machen, um die Übertragungswege und möglichen Anpassungen zu verstehen. Bislang wurde das Virus in kurzer Zeit in über 20 Betrieben gefunden; es werden wahrscheinlich noch mehr. Das deutet für mich darauf hin, dass dort ein länger laufendes Ausbruchsgeschehen nun durch vermehrtes Testen aufgedeckt wird. Es könnte aber natürlich auch sein, dass die Tiere zwischen den Farmen ausgetauscht wurden oder die Infektionen durch Futtermittel zustande kamen. Es ist aber die richtige Entscheidung, die Tiere der Farmen, auf denen das Virus bereits gefunden wurde, zu töten. Wichtig ist jetzt auch, die Mitarbeiter der Betriebe gesundheitlich zu überwachen, Atemwegsinfektionen sollten dort ein Alarmsignal sein.

Sie sagten vorhin, Wildvögel zu töten, könnte das Ausbruchsgeschehen sogar fördern. Wie das?

Das wurde für die Vogelgrippe noch nicht gezeigt, aber man weiss das von anderen Viruserkrankungen. Bei der Tollwut etwa wurde beobachtet, dass es zu einer stärkeren Ausbreitung kam, wenn Populationen streunender Hunde getötet wurden, die ein Reservoir für das Virus darstellen. Zwar hat man zunächst einen Rückgang der Tollwut. Doch nach kurzer Zeit kommt es wieder zu einem sprunghaften Anstieg der Hundepopulation. Und dadurch steigen auch wieder die Tollwutfälle an.

Könnte das bei der Vogelgrippe ähnlich ablaufen?

Es ist sicher unwahrscheinlich, dass die lokale Tötung von Vögeln auf das aktuelle Geschehen einen positiven Einfluss hat. Es wäre auch die Frage, in welchem Umkreis um eine Pelzfarm man überhaupt Vögel tötet. Und es wäre klar, dass schnell Vögel nachkommen. Ein dauerhaft funktionierendes Konzept ist das sicher nicht – selbst wenn man alle Artenschutzbedenken beiseite wischen würde. Die Massnahme hat auf mich eher den Eindruck von einem gewissen Aktionismus geweckt. Das zeigt die Hilflosigkeit der Behörden, die natürlich sofort etwas machen wollen, und dann etwas entscheiden, das überhaupt nicht sinnvoll ist.

«Wir reden bei Pelzfarmen ja nicht von Nahrungsmittelproduktion, sondern von modischen Accessoires.»

Gibt es denn ein funktionierendes Konzept?

Ja, das Ende der Pelzfarmen. Wir reden hier ja nicht von Nahrungsmittelproduktion, sondern von modischen Accessoires. Die Niederlande haben es vorgemacht, nachdem dort Sars-CoV-2 auf Nerzfarmen aufgetaucht war. Dort gab es ohnehin den Plan, die Pelzproduktion dauerhaft einzustellen. Der ist dann vorgezogen worden.

Kann man die Farmen nicht abschirmen?

Es gibt aus den Niederlanden gute Daten, die zeigen, wie Wildtiere in der Umgebung von Pelzfarmen mit den Zuchttieren in Kontakt kommen. Es ist sehr schwierig, all diese Wege zu unterbinden. Und es geht dabei auch nicht nur um den Schutz der Pelztiere, es gilt auch zu verhindern, dass Viren wieder nach draussen gelangen und sich in anderen Wildtierpopulationen festsetzen.

Im Wissenschaftsjournal «Science» stand kürzlich, dass sich in den USA 306 Menschen auf Zuchtschauen bei Schweinen mit einem Influenzavirus infiziert haben. Sind solche Krankheitssprünge von Tieren auf Menschen häufiger als weithin angenommen?

Ich denke ja, aber wir haben nur wenig Zahlen dazu, weil es dazu keine systematische Überwachung gibt. In der Schweiz gibt es ein Forschungsprojekt, an dem auch unser Referenzlabor für Influenza beteiligt ist. Hier werden Influenza-Fälle bei Schweinen und deren menschlichen Kontakte verglichen. Dadurch wurden schon solche Infektionen nachgewiesen, das ist aber an sich zunächst nichts Ungewöhnliches. Und es bedeutet auch nicht, dass dadurch gleich die nächste Pandemie startet. Doch die Zahlen zeigen, dass man die Bereiche Wildtiere, Farmen und Menschen nicht isoliert betrachten darf, sondern zusammen.

«Zurzeit sind Veterinär- und Humanmedizin meist noch zwei komplett getrennte Bereiche.»

Dieser integrative Ansatz wird oft als «One Health» bezeichnet.

Ja, das Konzept ist da, es muss nur flächendeckend umgesetzt werden. Zurzeit sind Veterinär- und Humanmedizin meist noch zwei komplett getrennte Bereiche mit eigenen gesetzlichen Vorgaben, eigenen Behörden und Institutionen.

Es wird ja nun viel über die Vorbereitungen auf die nächste Pandemie gesprochen.

Da geht es meistens um Impfstoffe, bessere Diagnostik, Überwachung – das stimmt alles, da darf man wirklich keine Abstriche machen, aber ich finde, wir reden zu wenig darüber, wie man verhindert, dass Viren überhaupt vermehrt überspringen.

In der Diskussion um die Herkunft von Sars-CoV-2 wurde zuletzt viel über einen Laborunfall gemutmasst.

Es gab in der Vergangenheit Berichte von Laborunfällen, bei denen es zu menschlichen Infektionen kam, allerdings waren das bereits bekannte humanpathogene Erreger – kein neuer Übergang eines bislang unbekannten Virus. In meinen Augen verzerrt die Debatte die Risiken doch sehr. Man muss das Risiko eines Laborunfalls ins Verhältnis setzen zu dem, was tatsächlich passiert bei unserem Umgang mit der Natur und den Tieren. In der öffentlichen Wahrnehmung werden Laborunfälle als bedrohlich wahrgenommen, und es gibt für Labore haufenweise Regularien und Auflagen, und dies zu Recht! Aber was auf den Pelzfarmen passiert, das sieht man irgendwie als etwas Natürliches an, wogegen man nichts machen kann. Es fehlt bisher das Risikobewusstsein dafür, welche gefährlichen Entwicklungsmöglichkeiten wir den Viren dort anbieten.

Wie erklären Sie sich diese verschobene Risikowahrnehmung?

Der Fokus auf Laborausbrüche ist attraktiv, weil man klar Schuldige benennen kann. Da hat jemand etwas falsch gemacht, und deswegen ist es jetzt passiert. Und wenn wir das verbieten, dann passiert das nicht noch einmal. Das ist natürlich bequemer, als wenn man das grosse Ganze sieht und sagt: Wir haben ein Problem, wie wir mit anderen Arten umgehen, und dadurch gibt es vermehrt neue Infektionskrankheiten. Wir haben Wildtierhandel, wir haben Tierhaltung unter nicht artgerechten Bedingungen, wir haben exotische Haustiere, wir haben Massentierhaltung, um billiges Fleisch zu produzieren. Das sind alles Probleme, die sich nicht leicht lösen lassen.

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