Wut auf das Regime Viele Iraner haben nicht einmal mehr Wasser zum Trinken
Kein Strom, kein Wasser – im Iran mangelt es an allem. Die Proteste der verzweifelten Menschen in der betroffenen Region greifen auf immer weitere Teiles des Landes über.
Tote Wasserbüffel, ausgedörrte Felder, die Erde aufgeplatzt, ausgetrocknete Flüsse – solche Bilder zeugen von extremer Wasserknappheit im Iran. Besonders schwer betroffen ist die an den Irak grenzende, am Persischen Golf gelegene Provinz Khuzestan. Dort haben viele Menschen nicht einmal mehr Wasser zum Trinken. Seit vergangener Woche kommt es jeden Abend zu Protesten, in den grösseren Städten gehen Tausende auf die Strassen. Inzwischen solidarisieren sich auch Menschen in Teheran und anderen Regionen.
Während die Regierung Delegationen in den Süden schickt, die Abhilfe und Entschädigungen versprechen, gehen Sondereinheiten der Polizei und die Revolutionsgarden mit Gewalt gegen die Demonstranten vor. Sie schiessen mit Tränengas und teils offenbar auch mit scharfer Munition, wie auf Videos aus Khuzestan zu sehen ist. Mindestens drei Menschen sind nach Angaben von Menschenrechtlern getötet worden, Dutzende verletzt.
Das befeuert die Wut nur weiter. Zunehmend skandieren die Menschen Parolen gegen das Regime wie «Tod dem Diktator!». Die Behörden stellten das Internet in der Provinz weitgehend ab, um zu verhindern, dass sich Bilder von den Protesten verbreiten und die Demonstranten sich organisieren. Die Sicherheitskräfte hatten bereits bei Protesten gegen die Erhöhung der Benzinpreise Ende 2019 in der Region Dutzende Demonstranten erschossen.
Die iranischen Behörden machen «Randalierer» für die Todesfälle verantwortlich. Die Nachrichtenagentur Fars berichtet, ein Polizist sei in der Hafenstadt Mashahr getötet worden. Der neue Justizchef Gholamhossein Mohseni-Ejei ordnete an, die Staatsanwaltschaft solle «die Ursache für die Todesfälle und sonstige Schäden» untersuchen – womit er einräumte, dass Menschen ums Leben gekommen sind.
Die Proteste sind für das Regime in Anbetracht des bevorstehenden Wechsels an der Regierungsspitze von Präsident Hassan Rohani zum Hardliner Ebrahim Raisi in mehrerlei Hinsicht brisant: In Khuzestan leben überwiegend schiitische Araber, die sich als Minderheit von der Zentralregierung diskriminiert fühlen. Es gibt dort starke Unabhängigkeitsbestrebungen und separatistische Gruppen, die Teheran teilweise als Terroristen einstuft. Zugleich liegen in der Provinz das mit Abstand grösste Ölfeld des Landes und 60 Prozent der Erdgasreserven – die wichtigsten Einnahme- und Devisenquellen des Staates.
Der Iran leidet an der schlimmste Dürre seit mehr als fünf Jahrzehnten. Allein im vergangenen Jahr, das im März endete, lagen die Niederschläge laut den Behörden um die Hälfte unter dem langjährigen Mittel. Dazu trägt der Klimawandel ebenso bei wie zur extremen Hitze: In der Provinzhauptstadt Ahwaz übersteigen die Temperaturen 50 Grad, selbst nachts sinken sie nicht unter 35 Grad.
Einen guten Teil des Wassers leitet der Staat um für Industrieprojekte weiter im Norden.
Projekte der Regierung verschärfen die Krise: Den Karun, wichtigster Fluss der Region und wasserreichster des ganzen Landes, der zur Trinkwassergewinnung und zur Bewässerung der Felder und Plantagen dient, hat sie in mehreren Talsperren aufstauen lassen. Einen guten Teil des Wassers leitet der Staat um für Industrieprojekte weiter im Norden und in die ebenfalls unter Wasserknappheit leidende zentraliranische Provinz Isfahan.
Der Zayandeh-Rud, auf Deutsch der Lebensspender-Fluss, ist der wasserstärkste im zentralen Hochland. Doch nun wird er seit Jahren regelmässig trocken. Auch in Isfahan hatte es vor zwei Wochen Proteste von Bauern wegen der Wasserknappheit gegeben – um sie zu beruhigen, hatte die Regierung Wasser in den Zayandeh-Rud abgelassen. Das Staatsfernsehen zeigte, wie es unter Isfahans berühmten historischen Brücken hindurchfliesst.
An den Flüssen Khuzestans stehen 170 Dämme
In Khuzestan befeuerte das die Wahrnehmung, dass die Stau-Projekte gegen die arabischsprachige Minderheit gerichtet sind und andere Provinzen mit persischsprachiger Bevölkerung auf ihre Kosten bessergestellt werden. Eigentlich ist Khuzestan die wasserreichste Provinz des Iran. Die Bewohner hatten 2013 schon gegen die Umleitung des Karun protestiert, weil sie um ihr Trinkwasser fürchteten und um ihren Lebensunterhalt: Khuzestan ist bekannt für die grössten Dattelplantagen im Iran, es werden Zitrusfrüchte, Getreide und Zuckerrohr angebaut. Viehzucht und Landwirtschaft bieten vielen Menschen in der stark von Armut und Arbeitslosigkeit betroffenen Provinz ein Einkommen.
Mohsen Heidari, der Vertreter Khuzestans im Expertenrat, dem Gremium, das den Obersten Führer bestimmt, sagte der Nachrichtenagentur Fars, das Missmanagement der Wasserreserven und der unkontrollierte Bau von Staudämmen hätten zur Austrocknung auch des Karkheh geführt. Die Revolutionsgarden hatten 2001 eine Talsperre am zweiten wichtigen Fluss der Region fertiggestellt.
Gemäss der Zeitung «Resalat» wurden an den Flüssen Khuzestans und deren Zuflüssen 170 Dämme gebaut. Teilweise wurden salzhaltige Böden überstaut – das Wasser wird damit für die Landwirtschaft und zum Trinken unbrauchbar. Die Wasserknappheit verschärft auch die Stromausfälle in weiten Teilen des Landes, weil Kraftwerke nicht oder nur mit verminderter Leistung laufen können. Auch das hatte zu Protesten geführt.
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