Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Wahlen im Iran
Ein Scharfrichter greift nach der Macht im Gottesstaat

Wahlkampf in Teheran: Anhänger des Hardliners Ebrahim Raisi in der iranischen Hauptstadt. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Nimmt man die Versprechungen der Kandidaten für die Präsidentenwahl im Iran an diesem Freitag beim Wort, steht der Islamischen Republik eine rosige Zukunft bevor. Mohsen Rezai etwa, General und einst Kommandeur der Revolutionsgarden, versprach den Bürgern, die Direktzahlungen für die ärmeren Bevölkerungsschichten zu verzehnfachen.

Woher das Geld dafür kommen soll, sagte der 69-Jährige nicht in der letzten von drei Fernsehdebatten – nur dass sich die Wähler darüber keine Sorgen machen sollten, wenn sie kein Geld gestohlen hätten. «Wir haben kein Problem mit Ressourcen», sagte Rezai ungeachtet der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahren. Er spielte damit auf die weitverbreitete Korruption im Regime an, die vielen Menschen im Iran als grösstes Übel gilt.

Unglaubwürdige Versprechen

Der Glaubwürdigkeit der Bewerber aber hilft es wenig, Wohltaten in Aussicht zu stellen, von denen niemand weiss, wie sie zu finanzieren sein sollen angesichts der US-Sanktionen, immer noch überschaubarer Ölpreise von etwa 70 Dollar pro Barrel und des weitverbreiteten Missmanagements in der von Staat und den Revolutionsgarden dominierten Wirtschaft.

In den sozialen Medien, offiziell verboten, aber wichtig für den politischen Diskurs, ergiesst sich beissender Spott über die «Glorreichen Sieben» – jene Kandidaten, die der Wächterrat nicht schon vor der Wahl aussortiert hat.

Handverlesene, linientreue Kandidaten

Freie Wahlen gibt es im Iran nicht. Denn das zwölfköpfige Gremium, zur Hälfte Kleriker und zur anderen Juristen, prüft alle Bewerber für wichtige politische Ämter auf Linientreue. Demokratisch legitimiert ist der Rat nicht, er gilt als verlängerter Arm des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei und ist überwiegend mit Hardlinern besetzt.

Jedenfalls reicht es nicht, der Islamischen Republik lange Jahre in hohen Funktionen gedient zu haben. Disqualifiziert wurde der zweimalige Präsident Mahmoud Ahmadinejad, vor allem aber alle aussichtsreichen Bewerber aus dem Lager der pragmatischen Konservativen des scheidenden Präsidenten Hassan Rohani, der wegen einer Amtszeitbeschränkung nicht erneut kandidieren darf.

Reformer ausgeschlossen

Prominentestes Opfer ist Ali Larijani, Spross einer der einflussreichsten Politikerfamilien im Iran, der mehrmals Parlamentspräsident war. Er forderte, dass der Wächterrat die Gründe für seine Ablehnung bekannt gibt – diese sind nämlich ähnlich undurchschaubar wie seine Kriterien zur Bewertung der Bewerber. Ebenfalls disqualifiziert wurde Rohanis Stellvertreter, Eshag Jahangiri, der Erste Vizepräsident und führende Vertreter der Reformisten.

Die Beteiligung an der Wahl, die dem Regime lange als Ausweis seiner Legitimität galt, dürfte aber so niedrig ausfallen wie nie zuvor. Im Iran gilt der Ausschluss Larijanis als Schock im politischen System, in dem künftig vor allem Ultrakonservative untereinander konkurrieren – und als Versuch des Wächterrats, Khameneis Wunschkandidaten, Justizchef Ebrahim Raisi, den Weg zu bereiten. Nur 31 Prozent der Wahlberechtigten gaben zuletzt bei einer Umfrage noch an, ihre Stimme abgeben zu wollen.

Ebrahim Raisi bei einer Wahlkampfveranstaltung anfangs Juni.

Raisi, ein ultrakonservativer Kleriker aus der heiligen Stadt Mashhad, war Rohani vor vier Jahren noch krachend in der ersten Runde der Präsidentenwahl unterlegen. Als sein wichtigster Gegenspieler wird diesmal Ex-Zentralbankchef Abdolnaser Hemmati gehandelt, den Rohani aus dem Amt entliess, nachdem seine Kandidatur bewilligt worden war – ein moderater Technokrat ohne politische Basis.

Desaströse Wirtschaftslage

Die galoppierende Inflation und der massive Wertverlust der Landeswährung gegenüber dem Dollar und dem Euro gehören zu den grössten Sorgen vieler Menschen im Iran, ebenso die hohe Arbeitslosigkeit, die sich durch die Corona-Pandemie nochmals verschärft hat, und die vor allem in Teheran und anderen Grossstädten hohen und weiter stark steigenden Mieten. Die Misere zwingt viele Menschen, sich mit mehreren Jobs durchzuschlagen. Nach Angaben der staatlichen Statistikbehörde aus dem Jahr 2020 übersteigt die Armutsquote 50 Prozent.

Hemmati warf den Hardlinern vor, die Wirkung der US-Sanktionen herunterzuspielen. Eine Regierung unter Raisi werde nur dazu führen, dass noch mehr Strafen gegen das Land verhängt würden. Die Ultrakonservativen lehnten das Atomabkommen mit den USA ebenso ab wie von der Financial Action Taskforce (FATF) geforderte Regelungen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, warnte er. Ohne diese aber können Irans Banken nicht in das internationale Finanzsystem zurückkehren.

Atomgespräche gehen weiter

Ein Sieg des favorisierten Hardliners Raisi würde aber nicht das Ende der Gespräche bedeuten. Raisi bekannte sich zu den Verhandlungen, mit denen der Iran die US-Sanktionen abschütteln wolle, solange Khamenei diese unterstütze. Während Hemmati ankündigte, die Beziehungen zu den iranischen regionalen Rivalen Saudiarabien und Vereinigte Arabische Emirate verbessern zu wollen, dürften mit Raisi an der Regierungsspitze die von den USA und Europäern nach einer Rückkehr zum Atomabkommen angestrebten Folgeverhandlungen über die iranische Regionalpolitik und das Raketenprogramm der Revolutionsgarden wenig Aussicht haben.

Im Wahlkampf ausgespart wurde Raisis Rolle bei den Hinrichtungen Tausender Regimegegner im Jahr 1988, die das Regime offiziell abstreitet. Laut Dokumenten und Zeugenaussagen gehörte er als stellvertretender Staatsanwalt von Teheran dem vierköpfigen «Komitee des Todes» an, das auf ein Geheiss von Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini politische Häftlinge ohne Urteile hinrichten liess. Seiner Karriere hat das keinen Abbruch getan – im Gegenteil: Er gilt auch als möglicher Nachfolger des 82 Jahre alten Obersten Führers Ali Khamenei – des eigentlichen Machtzentrums der Islamischen Republik.