Interview mit Überlebenstrainer«Als Erstes würde ich jegliche Gefässe mit Wasser auffüllen»
Gion Saluz bietet Krisen-Survival-Kurse an. In letzter Zeit hat er täglich Anfragen von Leuten, die sich auf den Ernstfall vorbereiten wollen.
Herr Saluz, Sie kommen gerade aus dem Wald. Haben Sie dort Vorbereitungen für den Ernstfall getroffen?
Nein. Heute war ich zum Holzen dort. Ich habe aber auch einen Ort, wo ich mich im Notfall für eine gewisse Zeit zurückziehen könnte. Dafür ist der Wald optimal.
Warum?
Weil er in einer Notsituation nicht von vielen Menschen aufgesucht wird. Die meisten wissen gar nicht mehr, was für Ressourcen der Wald bietet.
Wie lange könnten Sie im Wald überleben?
Vermutlich ein bisschen länger als die meisten, weil ich mich damit beschäftige. Aber auch für mich wäre es hart, vor allem, wenn es nachts so kalt ist wie jetzt. Wie lange man im Wald überleben kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es kommt auf die körperliche Verfassung an, auf den Ort und auf die Jahreszeit.
Sie bieten seit zehn Jahren Überlebenstrainings an. Wie gross ist die Nachfrage?
Seit dem zweiten Corona-Jahr ist das Interesse merklich gestiegen. Im ersten Lockdown gab es zu meinem Erstaunen überhaupt keine erhöhte Nachfrage. Die Leute waren wohl in einer Schockreaktion. Aber seither habe ich stetig mehr Anfragen, weil die Leute je länger, desto mehr merken, dass auch in der Schweiz nicht einfach nur heile Welt ist. Mit der Pandemie, dem möglichen Blackout bei der Stromversorgung und jetzt dem Krieg in der Ukraine haben viele realisiert, dass unser System fragil ist, Versorgungsketten unterbrochen werden können oder der Strom ausfallen kann. Da ist es gut zu wissen, wie man sich selber helfen kann, um zu überleben. Losgelöst von der Zivilisation.
Ist das nicht ein wenig übertrieben?
Dass man sich vorbereiten will, bedeutet ja nicht, dass man gleich im Wald leben muss. Aber es ist nicht falsch, sich mit der Natur auseinanderzusetzen und sich zum Beispiel zu fragen: Was kann ich überhaupt essen? Wir haben über 1500 essbare Wildpflanzen, die meisten Leute kennen vielleicht drei. Und das reicht natürlich nicht, um satt zu werden. Momentan habe ich täglich Anfragen von Leuten, die ein Privattraining möchten, um mögliche Krisenszenarien durchspielen zu können. Der Krieg in der Ukraine geht den Leuten in die Knochen, weil er sich für viele relativ nah anfühlt. Falls die Gas- und Ölversorgung aus Russland unterbrochen wird, kann es Versorgungsengpässe geben. Das haben wir ja auch bei der Pandemie gesehen. Dann fehlt es plötzlich an gewissen Sachen, die wir gewohnt sind.
«Wenn der Strom ausfallen würde, würde ich als Erstes jegliche Gefässe, die ich habe, mit Trinkwasser auffüllen.»
Was sehen Sie als realistischstes Problem, mit dem wir in der Schweiz konfrontiert werden könnten?
Kürzere oder längere Stromausfälle werden das Hauptthema sein.
Was würden Sie tun, wenn heute der Strom ausfallen würde?
Als Erstes würde ich jegliche Gefässe, die ich habe, mit Trinkwasser auffüllen. Kochtöpfe, Tupperware, die Badewanne, alles.
Ich hätte jetzt eher an Möglichkeiten zum Handyaufladen gedacht. Warum denn Wasser?
Weil jegliche Wasserversorgung von Strom abhängig ist. Wenn ich in einem Hochhaus wohne, muss das Wasser hochgepumpt werden, und das läuft mit Strom. Wasserreservoirs oberhalb von Dörfern sind ebenfalls von Strom abhängig, weil das Wasser hochgepumpt werden muss. Denn die meisten Reservoirs haben keinen Notstromgenerator, um das Wasser wieder nach oben transportieren zu können, geschweige denn zu reinigen. Ohne Strom wird es kein neues Wasser mehr geben, sobald der Speicher leer ist. Wasser ist also eines der ersten Hauptprobleme, wenn es zu einem längeren Stromausfall kommt.
Was bringen Sie den Leuten bei?
Ich biete zwei Arten von Kursen an. Einerseits Survival-Bushcraft-Kurse. Da gehe ich mit den Leuten tageweise oder für ein Wochenende in den Wald und zeige ihnen, was man alles essen kann, wie man sich warm hält, welche Materialien man verwenden kann, um Schnüre zu machen und so weiter. Das andere Angebot sind Krisen-Survival-Kurse. Das beginnt damit, dass die Leute lernen, ihr Daheim für Notfälle vorzubereiten.
Wie muss man sich das vorstellen?
Ich hatte zum Beispiel eine Familie aus Bern, die wissen wollte, wie sie sich und ihr Haus vorbereiten sollen, wenn es zu einem längeren Stromausfall kommt. Die haben zu mir gesagt: Wir haben kleine Kinder, wir können nicht einfach in den Wald, wenn was ist. Wir möchten daheim möglichst gut vorbereitet sein.
Was ist denn nötig?
Ein Stromausfall ist an und für sich kein Problem, wenn jeder seine nötigsten Vorräte hat, so wie der Bund das empfiehlt. Allerdings fehlt den meisten dieser Notvorrat, und wenn Hunger und Durst kommen, beginnen die Menschen zu plündern. Das kann man in allen Krisengebieten beobachten. Bei den grossen Überschwemmungen in New Orleans beispielsweise waren die Plünderer das Hauptproblem und nicht das Hochwasser. Der Berner Familie hab ich zum Beispiel geraten, im Haus einen Raum bereit zu machen mit Vorräten, am besten nicht im Parterre, sondern in den oberen Etagen, um besser vor Plünderern geschützt zu sein.
Kommen auch Prepper zu Ihnen, die sich auf einen Atomkrieg oder dergleichen vorbereiten wollen?
Ja, es gibt gewisse Preppervereinigungen, die mich für spezifische Fragen kontaktieren. Aber sie sind die Ausnahme. Meine Hauptklientel sind Herr und Frau Schweizer, die ihre Sicherheit selber in die Hand nehmen möchten. Auch in Survival-Bushcraft-Kursen kommt das Thema immer wieder auf, obwohl es dort überhaupt nicht um Krisensituationen geht. Das ist etwas, was die Leute auch bei uns in der Schweiz beschäftigt. Sie fühlen sich unsicher oder ängstlich.
Viele haben inzwischen bereits Jodtabletten oder Astronautennahrung besorgt oder sich in Onlineshops mit Survivalgadgets eingedeckt.
Ich sage den Leuten immer, übertreibt es nicht. Wir haben weder Krieg noch ständige Stromausfälle. Was das richtige Mass ist, ist für jeden individuell, aber es ist sicher gut, dass man sich mit den wichtigsten Sachen eindeckt, und zwar bevor die Notsituation da ist.
Haben Sie, abgesehen vom Wasserauffüllen, sonst noch Tipps?
Man muss immer überlegen, was der Mensch im konkreten Fall braucht. Im Winter ist das sicher Wärme. Hab ich genug warme Kleider, genügend Feuerzeuge, um Feuer zu machen, und Kerzen? Einen Gaskocher, um etwas Warmes zuzubereiten? Dann allenfalls Medikamente, zu denen man vielleicht keinen Zugang mehr hat.
Wie soll ich denn in meiner Mietwohnung Feuer machen?
Ohne Cheminée ist das schwierig. Aber es gibt beispielsweise kleine Petrolöfen. Man kann sich natürlich bis zum Luxus vorbereiten. Es geht aber nicht um die Menge, sondern darum, überlegt vorzugehen. In Notfallsituationen ist es jedoch egal, ob man ein Cheminée in der Wohnung hat. Im Kosovokrieg haben die Leute in ihren Wohnungen Feuer gemacht und Türen und alles Mögliche verfeuert.
«Die meisten meinen, der Staat und der Zivilschutz schauen dann schon für mich.»
Übertreiben es die Leute tendenziell?
Im Gegenteil, zumindest in der breiten Masse. Die meisten meinen, es passiere eh nichts, und wenn, dann schauen der Staat und der Zivilschutz dann schon für sie. Aber das ist ein Trugschluss.
Sind die Leute nach Ihrem Kurs noch verunsicherter, weil sie realisieren, wie viel ihnen für den Notfall fehlt?
Nein. Das Ziel ist, dass die Leute aus dem Stress rauskommen. Und nicht ständig in Angst und Sorge sind, was alles passieren könnte. Die Idee ist, dass sie sich in Ruhe mit einer möglichen Krisensituation befassen und sich danach zurücklehnen und richtig einschätzen können, was wirklich relevant ist.
Gibt es etwas, worauf Sie nicht vorbereitet sind?
Ja, auf eine atomare Katastrophe. Für mich persönlich ergibt es keinen Sinn, für mehrere Monate oder Jahre in einem Bunker auszuharren. Das hat für mich nichts mit Lebensqualität zu tun.
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