Abfahrt in WengenVerhindert wieder einer das ganz grosse Schweizer Skifest?
Beat Feuz, Marco Odermatt, Stefan Rogentin: Die Schweiz hat am Lauberhorn einige Trümpfe. Doch das haben auch andere Teams. Oder schlägt gar ein Aussenseiter zu? Die Favoriten.
Beat Feuz
Es wäre ein Szenario, das selbst Hollywood nicht besser inszenieren könnte: ein Sieg des Emmentalers bei seiner Derniere am Lauberhorn. In jenem Rennen, das ihm so viel bedeutet und das er schon dreimal gewinnen konnte.
Feuz hat die Skiwelt kurz vor Weihnachten in Aufregung versetzt, als er seinen Rücktritt bekannt gab. Und er machte dabei auch klar, was ihm in diesem Zirkus wirklich am Herzen liegt: die Abfahrtsklassiker in Wengen und Kitzbühel. Deshalb liess er auch verlauten, dass es keine rührige Abschiedstournee geben wird, keinen letzten Lauf in Nostalgiebekleidung und mit Holzlatten wie etwa bei Didier Cuche und Michael von Grünigen.
Feuz will Vollgas geben. Und wie ernst es ihm ist mit diesem Vorhaben, bewies er am Freitag mit Rang 7 im Super-G – in jener Disziplin, die ihm deutlich schwererfällt. Natürlich: Auch in der Abfahrt mag der Olympiasieger nicht mehr so dominant sein, davon zeugen die Ränge 5, 9, 9 und 18 in diesem Winter. Und doch: Wenn einer weiss, wie man in Wengen gewinnt, dann ist es ja wohl Feuz.
Aleksander Kilde
Oberschenkel wie Baumstämme, furchtlos wie ein Wikinger, so stürzt sich Aleksander Kilde die Skipisten hinunter. Er tut das in dieser Saison derart vorzüglich, dass er in drei der ersten fünf Abfahrten gewonnen hat und die Disziplinenwertung mit 99 Punkten Vorsprung auf Marco Odermatt anführt. Selbstredend gehört der Norweger auch in der Lauberhornabfahrt zu den Namen, die als erste genannt werden, wenn es um die Favoritenrolle geht.
Zumal der 30-Jährige auch schon auf der längsten Weltcupstrecke der Welt geglänzt hat. Im Vorjahr gewann er die erste Abfahrt, schlechter als Siebter war er seit 2018 nie. Und nun, da er sich in der Form seines Lebens befindet und ihn das Duell mit Odermatt zu Höchstleistungen treibt, wie er mit seinem überragenden Triumph im Super-G am Freitag zeigte, dürfte der Sieg auch in der Königsdisziplin über ihn führen.
Marco Odermatt
Gibt es für ihn eigentlich Grenzen? Offenbar nicht. Jedenfalls hinterliess Marco Odermatt mit seinem Wahnsinnslauf zum Sieg im Adelbodner Riesenslalom diesen Eindruck. Nur zweimal stand der Nidwaldner in dieser Saison nicht auf dem Podest – das war in den schwierigen Abfahrten von Gröden und Bormio. Und doch ist er in der Königsdisziplin längst so gefestigt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er auch in dieser triumphieren wird. Davon zeugen drei Podestplätze in diesem Winter.
Odermatt ist ein Phänomen, ein Talent, wie es der Schweizer Skisport nur alle paar Jahrzehnte hervorbringt – wenn überhaupt. Die Art und Weise, wie er mit Drucksituationen umzugehen weiss, gemahnt an die grössten Champions. Das ist gewiss keine schlechte Ausgangslage für die Lauberhornabfahrt, in welcher sich Interesse und Erwartungen im Vergleich zu anderen Rennen vervielfachen.
Im selben Jahr in Adelboden und Wengen zu reüssieren, das hat nicht einmal Pirmin Zurbriggen geschafft. Aber eben, Grenzen gibt es für Odermatt vermutlich nicht …
Vincent Kriechmayr
Diese Woche ist Vincent Kriechmayr durch Wengen gelaufen – allein, ohne Geleitschutz. Ganz so nachtragend sind die Schweizer Fans im Berner Oberland dann doch nicht.
Und doch hängt dem Österreicher die Geschichte aus dem Vorjahr nach, als er es nur dank einer Hauruckaktion an den Start des Super-G und der beiden Abfahrten schaffte, mit einem Minitraining, extra für ihn organisiert, das er nach wenigen Toren abbrach und ihn doch zur Teilnahme berechtigte. Weil er in der Heimat isoliert war, reiste er eigentlich zu spät an nach Wengen, verpasste die offiziellen Testfahrten.
Bei den Schweizern war hinterher davon die Rede, Kriechmayr habe bei den Corona-Tests geschummelt, um überhaupt mitfahren zu können. Riesig war dann der Aufruhr, als der Lienzer tatsächlich die Abfahrt vom Samstag gewann und damit den nächsten Triumph von Beat Feuz verhinderte. Und auch noch Marco Odermatt vom Podest schob.
Jedenfalls hat der 31-Jährige nicht nur da, sondern auch im aktuellen Winter mit zwei Abfahrtssiegen gezeigt, dass er am Samstag erneut zu den grossen Herausforderern der Schweizer gehören dürfte.
Stefan Rogentin
Der Kater der grossen Feier könnte Stefan Rogentin noch in den Knochen stecken, wenn er am Samstagmorgen hochfährt zum Start der Lauberhornabfahrt. Am Freitagabend haben sie den Bündner lange gefeiert auf dem Dorfplatz von Wengen. Zweiter im Super-G ist er geworden, er holte den ersten und langersehnten Podestplatz seiner Karriere. 28-jährig musste er dafür werden.
Die Euphorie, die auch etwas auf den ruhigen Rogentin übergeschwappt ist, könnte den Kater aber schnell vertreiben. Das Wissen, diese Strecke im Griff zu haben und endgültig zu den weltbesten Speed-Spezialisten zu gehören, könnte ihn gar beflügeln und – wer weiss – zu einem weiteren Höhenflug treiben. Ein erster Coup kann manchmal Wunder bewirken.
Mattia Casse
Der Italiener gehört auch einen Monat vor seinem 33. Geburtstag noch zu den Geheimtipps im Weltcup. Kein Wunder, hat er es im Dezember in der Abfahrt von Gröden als Dritter doch erstmals in seiner Karriere auf ein Podest geschafft und überhaupt erst dreimal in die Top 10 dieser Disziplin.
Und doch scheint für den Mann aus dem Piemont, der an der Junioren-WM 2010 Gold holte in der Abfahrt, die Zeit reif für einen Coup – wenngleich Mattia Casse von den Resultaten her auch in diesem Winter hin und her schwankt wie so oft. Doch für ihn spricht das: Im Training am Mittwoch, bei dem von ganz oben gestartet wurde zur längsten Abfahrt der Welt, hat er die drittschnellste Zeit aufgestellt. Auch gewonnen hat er hier schon, 2019 – allerdings im Europacup. Diese Strecke beherrscht Casse aber.
Fehler gefunden?Jetzt melden.