Verheerendes ErdbebenMarokko will kaum internationale Hilfe – was dahintersteckt
Am dritten Tag nach dem Beben werden noch Hunderte Menschen unter den Trümmern vermutet. Das Land nimmt nur aus wenigen Ländern Unterstützung an, in Frankreich hat sich deswegen eine Polemik entfacht.
In Marokko haben nach dem schweren Erdbeben Rettungsteams aus Spanien und Grossbritannien ihre Arbeit aufgenommen, um die örtlichen Einsatzkräfte zu unterstützen. Mittlerweile kämpfen sie vor allem gegen die Zeit: Hunderte Menschen werden am dritten Tag nach der Katastrophe noch unter den Trümmern vermutet. Langsam schliesst sich das Zeitfenster, in dem noch Überlebende gefunden werden können. Vor allem in den entlegenen Bergdörfern im Atlasgebirge läuft die Suche derzeit auf Hochtouren.
Viele Marokkanerinnen und Marokkaner verbrachten auch die dritte Nacht in Folge noch im Freien – aus Angst vor weiteren Nachbeben. Bei dem Erdbeben in der Nacht zum Samstag sind nach aktuellen Zahlen mindestens 2400 Menschen getötet und Tausende teils schwer verletzt worden.
In kaum betroffenen Gebieten, wie etwa in der Hauptstadt Rabat oder in der nördlichen Stadt Tanger, laufen derweil grosse zivile Hilfsaktionen: In den Supermärkten kaufen Menschen Vorräte in Massen, Laster werden bis spätnachts mit Wasser- und Windelvorräten bepackt und machen sich auf in die Region rund um Marrakesch.
Über das marokkanische Zögern gegenüber internationalen Hilfsangeboten hingegen gibt es längst eine internationale Debatte. Marokko nahm bisher nur Unterstützung aus Spanien, Grossbritannien, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudiarabien an. Das Innenministerium in Rabat erklärte sich am späten Sonntagabend: Die Behörden hätten die Bedürfnisse vor Ort genau bewertet. Dabei sei berücksichtigt worden, dass ein Mangel an Koordinierung in solchen Situationen zu nachteiligen Ergebnissen führen würde, meldete die marokkanische Nachrichtenseite Hespress.
Bislang will Marokko keine Schweizer Hilfe
Auch die Schweiz hat Marokko ihre Hilfe angeboten. Ein Team des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe steht bereit. Die Behörden in dem nordafrikanischen Land haben bis am Montag aber nicht reagiert.
Auch Hilfe aus Deutschland und Frankreich ist bislang nicht erwünscht. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin liess mitteilen, dass die Absage aus Rabat nicht politisch motiviert sei. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem nordafrikanischen Land seien gut.
Auch in Frankreich wurde am Montag über die Frage debattiert, ob Marokko die angebotene Hilfe womöglich aus politischen Gründen nicht sofort annehmen mochte. In Frankreich leben eineinhalb Millionen Marokkanerinnen und Marokkaner, die Hälfte von ihnen sind Doppelbürger, die Anteilnahme ist entsprechend gross. Präsident Emmanuel Macron sagte früh Hilfe zu: Alles stehe bereit, beteuerte er.
Polemik in Frankreich
Doch die Anforderung erfolgte bisher nicht, die Polemik im Land der früheren Kolonialmacht wächst. «Warum weigert sich Marokko, die dargebotene Hand zu ergreifen?», fragte etwa die Zeitung «Le Parisien» in einem Kommentar. Man verstehe natürlich, dass die Organisation der Einsätze einer Koordination bedürfe, und die obliege dem betroffenen, souveränen Staat. «Doch es spielen hier ganz sicher auch diplomatische Überlegungen eine Rolle.»
Zwischen Paris und Rabat gibt es seit einiger Zeit Differenzen. In der alten Frage nach der politischen Zukunft der Westsahara steht Frankreich traditionell an der Seite Algeriens, das Marokko den Anspruch auf die «Provinzen im Süden» streitig macht, indem es den Unabhängigkeitskampf der Sahrauis unterstützt. Spanien hingegen unterstützt in der Angelegenheit mittlerweile Marokko. Es sei deshalb kein Zufall, dass Spanien nun ins Land vorgelassen werde, schreibt die bürgerliche Zeitung «Le Figaro».
Macron telefonierte mit dem König
In die Beziehung zwischen den beiden Ländern geriet noch mehr Spannung, als vor zwei Jahren der Verdacht aufgekommen war, dass Marokko die israelische Spionagesoftware Pegasus einsetzte, um Macrons persönliches Mobiltelefon abzuhören. Macron und Mohammed VI. sollen danach nicht mehr direkt miteinander gesprochen haben – bis vergangenen Samstag, als sie offenbar wegen des Erdbebens kurz miteinander telefonierten. Der marokkanische König hielt sich seit Anfang September in Paris auf, wo er seit einigen Jahren eine feudale Stadtvilla am Champ-de-Mars besitzt. Er flog dann schnell zurück nach Marokko.
Da französische Rettungskräfte erst einmal nicht nach Marokko fliegen, kündigte Aussenministerin Catherine Colonna am Montag in Paris an, Frankreich werde örtliche Nichtregierungsorganisationen mit fünf Millionen Euro unterstützen. Auch die Europäische Union kündigte am Montag finanzielle Hilfe an, so sollen eine Million Euro dabei helfen, die dringendsten Bedürfnisse der am stärksten betroffenen Menschen zu decken, teilte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarčič, in einer Pressemitteilung mit.
*Diese Version wurde in der Passage zur Westsahara präzisiert um den Zusatz, dass Algerien den sahrauischen Unabhängigkeitskampf unterstützt und dadurch den Anspruch Marokkos auf die Westsahara, die die Marokkaner «Provinzen im Süden» nennen, streitig macht. (om)
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