Erdbeben in MarokkoDas Gefahrenbewusstsein fehlte in dieser Region
Erdbeben in dieser Grössenordnung gibt es laut Fachleuten in Marokko nur im Abstand von Hunderten von Jahren. Und doch muss man immer mit ihnen rechnen.
Die geologischen Prozesse der Erde laufen in aller Regel irrwitzig langsam ab. Nur manchmal kracht es gewaltig. Mit einer Geschwindigkeit von etwa vier Millimetern pro Jahr bewegen sich zum Beispiel die Afrikanische Kontinentalplatte und die Eurasische Platte aufeinander zu. Und obwohl die Bewegungen der Erdplatten so langsam sind, läuft das nicht ohne Spannungen im Untergrund ab, die sich mitunter entladen müssen – so wie am vergangenen Freitag in Marokko.
Um 23.11 Uhr Ortszeit zeichneten Erdbebensensoren in der Region heftige Erdstösse bis zu einer Magnitude von 6,9 auf, wie das deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam bei Berlin (GFZ) berichtet. Die über viele Jahre im Untergrund durch den extrem langsamen Aufprall der Erdplatten aufgebaute Spannung entlud sich ruckartig.
Der US-amerikanische Geologische Dienst USGS verortet das Zentrum des Bebens kaum 20 Kilometer unter der Erdoberfläche. Solche eher flachen Erdbeben gelten als besonders zerstörerisch, weil seine Stosswellen starke Bodenbewegungen verursachen. In der Folge stürzen Gebäude ein, die nicht für solche Belastungen ausgelegt wurden.
Zone mit den strengsten Vorschriften
Fachleute vermuten anhand der bisherigen Messdaten, dass sich im Untergrund ein Gesteinsblock an der im Atlasgebirge diffusen Grenze zwischen den Kontinentalplatten nach oben geschoben hat. Die gemessene Magnitude von 6,9 lässt laut GFZ Rückschlüsse auf die Grösse des Bruchs zu. Demnach brach die Verwerfung, die für dieses Erdbeben verantwortlich war, auf einer Fläche von etwa 20 mal 30 Kilometer auf.
Demnach war die Region des Hohen Atlas von den Behörden und Fachleuten aus der Wissenschaft als risikoreich eingestuft worden, seit 2004 gibt es in Marokko eine «seismische Bauordnung», die mehrfach überarbeitet wurde. Die Region um das Epizentrum des Bebens lag laut GFZ in der Zone 3 der Erdbebenbauordnung, «die Zone mit den strengsten Vorschriften, was erdbebensicheres Bauen angeht». Viele Gebäude in der Region stammen jedoch aus einer Zeit davor.
«Es sind die Gebäude, die die Menschen töten, nicht das Erdbeben an sich.»
Erdbeben dieser Grössenordnung treten in der Region zudem so selten auf, dass es kaum Gefahrenbewusstsein in der Bevölkerung gibt. Im letzten Jahrhundert kam es in Marokko zu zwei Erdbeben, die zwar etwas schwächer, aber noch zerstörerischer waren. Beim Agadir-Erdbeben 1960 starben etwa 12'000 Menschen.
Das Beben am Freitag war jedoch das stärkste instrumentell gemessene Erdbeben des 20. und 21. Jahrhunderts. «Das letzte Erdbeben vergleichbaren Ausmasses in Marokko ereignete sich vermutlich 1624 in der Nähe der Stadt Fès», schreibt das GFZ auf seiner Webseite.
Kein offizielles Warnmeldesystem
Trotzdem sei das jüngste Erdbeben bereits ein «Desaster», sagt der Seismologe Fabrice Cotton vom GFZ – auch wenn es nicht das gleiche Ausmass wie das schwere Erdbeben in der Türkei und in Syrien von Anfang Februar habe. Die Länder wurden damals von einem Erdbeben mit einer Stärke von 7,8 getroffen. Allein in der Türkei waren dabei mehr als 50'000 Menschen ums Leben gekommen.
Laut Cotton gibt es in Marokko kein offizielles Warnmeldesystem für Erdbeben. Allerdings bestehe die einzige Möglichkeit, Menschen zu schützen, ohnehin darin, erdbebensichere Gebäude zu bauen. «Es sind die Gebäude, die die Menschen töten, nicht das Erdbeben an sich.»
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