Gerichtsurteil in AlabamaSind Embryos Kinder? – Künstliche Befruchtung wird zum Wahlkampfthema
Mehrere Kliniken in Alabama haben Behandlungen zur künstlichen Befruchtung gestoppt. Grund dafür ist ein Urteil des Obersten Gerichtshofs des US-Bundesstaats.
Mike Johnson hat sich lange darum herumgedrückt, Stellung zu beziehen. Der republikanische Sprecher des US-Repräsentantenhauses wollte sich zunächst nicht zu dem aufsehenerregenden Urteil aus Alabama äussern, wonach eingefrorene befruchtete Eizellen als Menschen anzusehen seien. Johnson ist evangelikaler Christ und sagt, dass menschliches Leben mit der Empfängnis beginnt.
Nach dem Urteil des Supreme Courts von Alabama in der vergangenen Woche hatten mehrere Kliniken im Bundesstaat Behandlungen zur In-vitro-Fertilisation (IVF) gestoppt und bereits vereinbarte Termine abgesagt. Bei dieser Praxis zur künstlichen Befruchtung werden mehrere befruchtete Eizellen eingefroren. Nach der Behandlung übrig gebliebene Eizellen werden in der Regel nach einiger Zeit entsorgt. Die Kliniken in Alabama fürchten, dass sie infolge des Urteils deshalb künftig wegen unrechtmässiger Tötung angeklagt werden könnten.
Mehrheit will weniger strenge Regeln
Das hat insbesondere unter republikanischen Politikerinnen und Politikern zu Aufregung geführt. Sie fürchten, dass das Thema sie bei Wahlen Stimmen kosten wird, da eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung weniger strenge Regeln bevorzugt. Nachdem die konservative Mehrheit am Supreme Court in Washington im Jahr 2022 das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt hatte (lesen Sie hier, wie eine Frau gegen das Abtreibungsverbot in Texas kämpfte), machten die Demokraten mit dem Thema erfolgreich Wahlkampf. Sie argumentierten, das Urteil von 2022 sei nur der Anfang von immer neuen Einschränkungen. Das Urteil von Alabama zeige, sagen sie nun, dass sie damit richtig gelegen hätten.
Mike Johnson trat erst spät am Freitag vor die Kameras und sagte, dass er das Recht auf künstliche Befruchtung unterstütze. Das schliesse ausdrücklich IVF-Behandlungen ein. Es erscheint allerdings gut möglich zu sein, dass er das vor allem aus wahltaktischen Gründen sagte. Johnson will nämlich ein Gesetz auf den Weg bringen, das Abtreibungen in den USA zu jedem Zeitpunkt unter Strafe stellt, weil er die Ansicht vertritt, menschliches Leben beginne in dem Moment, in dem sich Samenzelle und Eizelle vereinen.
Trump betont das «Wunder des Lebens»
Auch der ehemalige Präsident Donald Trump liess einige Zeit verstreichen, bevor er sich äusserte. Im Laufe des Freitags teilte er schliesslich auf seiner Plattform Truth Social mit, die Republikaner sollten immer auf der Seite des «Wunders des Lebens» stehen. «IVF ist ein wichtiger Teil davon, und die grosse Republikanische Partei wird immer bei euch sein und eurem Streben nach der grössten Freude im Leben», schrieb er.
Mehrere republikanische Politikerinnen berichteten davon, wie sie selbst dank IVF Kinder zur Welt gebracht haben. Die Abgeordnete Michelle Steel sagte: «IVF hat es mir, wie so vielen anderen, ermöglicht, eine Familie zu gründen. Ich unterstütze keine landesweiten Einschränkungen von IVF.» Steel befürwortet hingegen ein landesweites Abtreibungsverbot.
Die republikanische Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley lavierte in ihren Stellungnahmen. Zunächst sagte sie, dass sie glaube, durch IVF entstandene Embryos seien Babys. Sie berichtete, dass sie selbst dank künstlicher Insemination schwanger geworden sei, eine von IVF verschiedene Praxis, bei der die Zellen nicht eingefroren werden. Nachdem das zunächst so interpretiert wurde, dass sie IVF ablehne, stellte sie im Sender CNN klar: Sie unterstütze die Praxis.
Die Demokraten können mit dem Thema Stimmen gewinnen
Die Demokraten haben das Thema umgehend aufgegriffen. Vizepräsidentin Kamala Harris nannte das Urteil aus Alabama «schockierend». Es sei jedoch keinesfalls überraschend, nachdem die Republikaner das landesweit verbriefte Recht auf Abtreibung abgeschafft hätten. Der Supreme Court hatte 2022 befunden, dass es den Bundesstaaten obliege, darüber zu befinden. Seither haben einige republikanische Staaten die Regeln teils drastisch verschärft. In vielen Staaten ist eine Abtreibung ab der sechsten Schwangerschaftswoche kategorisch verboten, obwohl viele Frauen zu diesem Zeitpunkt nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind.
Für die Republikaner birgt das Thema politischen Sprengstoff. Selbst in ihrer eigenen Partei gibt es eine substanzielle Gruppe, die moderatere Regeln befürwortet. Laut einer Erhebung des Umfrage-Instituts Gallup lehnen lediglich rund 30 Prozent der Republikaner Abtreibungen unter nahezu allen Umständen ab. Bei regionalen Wahlen hat sich gezeigt, dass die Demokraten mit dem Thema Stimmen gewinnen können.
Ob andere Staaten dem Urteil aus Alabama folgen werden, ist ungewiss. Es erging in einem Fall, in dem drei Paare geklagt hatten. Sie waren zwischen 2013 und 2016 durch IVF-Behandlung Eltern geworden. Die übrig gebliebenen eingefrorenen Eizellen verblieben in der Klinik. 2020 wurden sie jedoch von einem Patienten zerstört. Die drei Paare hatten wegen unrechtmässiger Tötung von Minderjährigen geklagt. In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen. Der Oberste Gerichtshof des Bundesstaats hat ihnen nun recht gegeben.
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