Körpersprache im US-WahlkampfWarum wirkte Tim Walz so unsouverän? Ein Medientrainer erklärt
Im TV-Duell der Vize-Aspiranten hat der Republikaner J. D. Vance einen knappen Sieg errungen. Das hat viel mit seinem optischen Auftritt zu tun.

- Tim Walz erschien während der TV-Debatte nervös und unsicher.
- Sein Gegner J. D. Vance wirkte authentisch und selbstbewusst.
- Vance’ natürlicher Redestil machte ihn überzeugender für das Publikum.
- Laut Umfragen steigerte sich Walz’ Beliebtheit trotz seines Auftritts.
Der TV-Host Stephen Colbert fasste seine Eindrücke vom einzigen Duell der Vize-Kandidaten Tim Walz und J. D. Vance so zusammen: «Die Nacht war wie ein Thanksgiving-Dinner mit deinem nervösesten Onkel und deinem selbstgefälligsten Neffen. Es war unschön und unangenehm.» Damit landete Colbert einen Lacher und holte sich viel einvernehmliches Kopfnicken.
Aber woran lag es eigentlich, dass Tim Walz, der Vize-in-spe der Demokraten, so unsouverän wirkte, und dies, obwohl das Momentum auf seiner Seite gelegen hatte?
Nicht nur die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris lag in letzten Umfragen meist vorn, sondern auch ihr Running Mate Walz selbst. Er hatte sich ein Image als gemütliche und bodenständige Vaterfigur aufgebaut und seinen Gegner Vance als «seltsam» (weird) gebrandet, der nicht einmal einen Donut-Einkauf hinkriegt. Zuletzt hatten 43 Prozent der Wähler (aus einem Durchschnitt von 83 Umfragen) Walz positiv gesehen und 37 Prozent negativ; seinen Rivalen Vance hingegen bewerteten 36 Prozent positiv – und 47 Prozent negativ.
«Vance wirkte absolut authentisch»
Dass Walz, insbesondere anfangs, schwächelte, also eben supernervös herüberkam, hatte vor allem auch mit seiner Körpersprache zu tun, weniger mit seinen Inhalten, auch wenn er da und dort ein Gegenargument verschenkt, die Chance zum schlagkräftigen Kontra verpasst hat: Stil versus Substanz. Urs Kern, Journalist, langjähriger Medientrainer beim Schweizer Fernsehen SRF und Mitgründer der Firma TV-Medientrainer, hält fest: «Es war kein Absturz, wie wir das mit Joe Biden gegen Donald Trump im Sommer erlebt haben. Aber Walz überzeugte weniger als Vance. Vance wirkte absolut authentisch, wie er da direkt zu den Leuten sprach. Es ist eine Situation, in der man als Speaker in die Kamera spricht, was man in einem Interview normalerweise nicht tut.»

Exakt dadurch habe Vance, der Yale-Absolvent, sich ausgezeichnet. «Er stand wie ein Fels vor der Kamera, als sei er felsenfest überzeugt von dem, was er sagte. Die Schulterpartie von Walz dagegen schwankte immer wieder hin und her, wenn er im Kopf nach seinen auswendig gelernten Argumenten suchte.» Das hinterlasse einen wackligen, wankelmütigen Eindruck.
Vance’ Haltung blieb während der 90 Minuten durchgehend dem Publikum zugewandt, höchstens drehte er gelegentlich den Kopf leicht zu seinem Kontrahenten hin, wenn dieser sprach. Walz hingegen wandte sich meist vom Publikum ab, wenn Vance redete. Diese Strategie könnte man zwar auch zum eigenen Vorteil nutzen: «Der Zuhör-Gestus war ein geschickter Trick von Kamala Harris bei der Debatte mit Donald Trump», sagt Kern. «Sie hat ihr Mienenspiel dabei als nonverbale Kommentarfunktion genutzt und auf diese Weise gepunktet. Walz dagegen hat tendenziell bloss ausdruckslos auf die Seite geschaut, in die Richtung von Vance, ohne ihn richtig anzuschauen.»
Dies wirkte eher unsicher. Ausserdem ist das Seitenprofil des Gouverneurs aus Minnesota auch nicht unbedingt seine attraktivste Ansicht.
Walz als Schauspieler nicht versiert genug
Ein Pluspunkt hätte theoretisch, gemäss Kern, sein können, dass Walz während der Debatte fleissig Notizen machte. Es hätte signalisieren können, dass er sein Gegenüber ernst nimmt und seriös über dessen Aussagen reflektiert. Doch, so Kern: «Bei ihm wirkte es künstlich. Da war Walz als Schauspieler nicht versiert genug.» In solchen Momenten beugte sich der Gouverneur öfter etwas verkrampft, beinahe hilfesuchend, über seinen Notizblock auf dem Pult und hielt der Kamera seinen spärlich behaarten Kopf entgegen.

Kern vermutet, dass Walz fast zu gut vorbereitet war, jedoch das Gelernte nur mechanisch umsetzen konnte, allenfalls wegen seiner Nervosität. «Es gibt nichts Schlimmeres in einem öffentlichen Auftritt, als eine auswendig gelernte Aussage abzuspulen. Aber genauso wirkten Walz’ Antworten.» Beim gleichfalls gut vorbereiteten Vance sei aufgefallen, dass die Aussagen nicht einstudiert gewirkt hätten. Auch sei es dem Senator aus Ohio gelungen, mit kurzen bildhaften Sätzen das Kopfkino beim Zuschauer anzuwerfen. Das sei eine Kunst, die länger geübt werden müsse.
Nach Debatte änderte 1 Prozent der Befragten die Meinung
Die zwei Fernsehsender CNN und CBS haben nach der Vize-Debatte Blitz-Umfragen durchgeführt. In beiden wurde Vance von einer knappen Mehrheit als Sieger des Streitgesprächs betrachtet. Allerdings: Vielleicht hat Tim Walz trotzdem gewonnen, womöglich gerade wegen seines unpolierten, verstolperten Auftretens samt unglücklichem Versprecher bezüglich Schul-Amokläufern. Gelackt kam er jedenfalls nicht daher, und laut der CNN-Umfrage hat seine Beliebtheit (Favorability) nach der Debatte zugelegt – um mehr Punkte als jene von Vance, die gleichfalls zugenommen hat.
Zudem fanden 48 Prozent der befragten Debattengucker, Walz (dieser allernervöseste Onkel) sei besser in Touch mit ihren Bedürfnissen und Sorgen als Vance; 35 Prozent präferierten hier Senator Vance. Man darf freilich nicht vergessen, dass die Meinungen ohnehin grossteils schon gemacht sind und die Vizepräsidenten-Debatte keine wesentliche Rolle spielt.
Aber immerhin: 1 Prozent der Befragten gab an, nach der Debatte die Meinung geändert zu haben und jetzt dem anderen Kandidaten die Stimme geben zu wollen.
Die Vize-Debatte ist auch Thema in der aktuellen Folge des USA-Podcasts «Alles klar, Amerika?»
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