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Urteile im Käfig-Fall
Hauptbeschuldigter muss noch für vier Monate ins Gefängnis

Ein Ehepaar aus dem Zürcher Weinland soll zwei Frauen als Haussklavinnen gehalten und rund 15 Stunden täglich in einen Käfig gesperrt haben. Prozess im Bezirksgericht Andelfingen. (17. September 2024
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An die Käfigwand hatte Linda S. (Namen der Opfer geändert) auf gelben Zetteln mit roter Farbe ihre Zukunftsträume geschrieben, wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht: «Eine starke Frau sein, sicher, ohne Angst und Zweifel». Und: «Die Liebe meines Lebens finden».

Rund einen Monat lang war die damals 30-jährige Südamerikanerin in einem Haus im Zürcher Weinland rund 15 Stunden täglich in einem etwa 2 Quadratmeter kleinen Käfig eingesperrt. «Die erste Woche war Terror. (…) Am Schluss haben sie mich behandelt wie ein Tier», sagte Linda S. beim Prozess am Bezirksgericht Andelfingen.

Er räumt ein, «Missstände» verursacht zu haben

Noch schlimmer erging es zuvor der damals 22-jährigen Sofia R. Sie wurde 10 Monate lang täglich in einen Käfig gesperrt, gefesselt und angekettet. «Die Ketten waren in Löchern im Holzboden des Käfigs verankert und so kurz, dass ich wie eine Tote daliegen musste», sagte die Südostasiatin vor Gericht.

Das Bezirksgericht Andelfingen.

Für diese Taten mussten sich der Schweizer Gustav Wohlenweber, wie er sich im Internet nannte, und seine philippinische Ehefrau vor dem Bezirksgericht Andelfingen verantworten. Im Gegensatz zu seiner mehr als zehn Jahre jüngeren Frau zeigte sich der Mittvierziger vor Gericht geständig. «Ich habe zu wenig auf das Befinden der beiden Frauen geachtet, Regeln verletzt und Missstände verursacht», sagte er in seinem Schlusswort. Am Donnerstag fielen die Urteile.

Freiheitsstrafe von 36 Monaten, doch nur 9 sind unbedingt

Das Gericht bewilligte im abgekürzten Verfahren den von Verteidiger Valentin Landmann und der Staatsanwaltschaft Zürich ausgehandelten Urteilsvorschlag: Wohlenweber wurde wegen Freiheitsberaubung, Menschenhandel, Urkundenfälschung und mehrerer arbeits- und ausländerrechtlicher Delikte zu einer unbedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 220 Franken und einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt. Davon werden 27 Monate für fünf Jahre zur Probe bedingt ausgesetzt. Lediglich neun Monate sind unbedingt.

Der Beschuldigte sass bereits fünf Monate in Untersuchungshaft. Da die U-Haft angerechnet wird, muss er noch rund vier Monate ins Gefängnis.

Zudem ordnete das Gericht eine ambulante Therapie bei einem Sexualtherapeuten an, um Wohlenwebers paraphil-narzisstischen Störungskomplex zu behandeln. Darunter versteht man sexuelle Neigungen, anderen Menschen Leid zuzufügen, um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern und ein Überlegenheitsgefühl zu bekommen.

«Diese Geschichte wiederholt sich nicht»

Sein Verteidiger Valentin Landmann kündigte im Namen seines Mandanten unmittelbar nach der Urteilsverkündung an, auf jegliche Rechtsmittel zu verzichten. «Für meinen Klienten bin ich zufrieden», sagte Landmann den Journalisten.

Die Staatsanwaltschaft erklärte bereits im Vorfeld, auf eine Berufung zu verzichten, wenn das Gericht den Urteilsvorschlag aus der Anklageschrift zum Urteil erhebe, wie es nun der Fall war.

In seiner Urteilsbegründung erklärte der vorsitzende Richter, Zweifel zu haben, ob dem Beschuldigten wirklich bewusst geworden sei, warum er verurteilt worden sei. «Sie sind nicht einfach nur zu weit gegangen. Der Handel von Menschen und der Freiheitsentzug von Frauen, die manipulativ dazu bewegt wurden, in Ihrem Setting mitzumachen, ist ein schwerer Missbrauch», sagte der Richter.

Bei einer Wiederholung dürfe Wohlenweber nicht damit rechnen, mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe davonzukommen. Der Beschuldigte war bereits 2014 wegen Gefährdung des Lebens und Nötigung von jungen Frauen bei einem ähnlichen Vorgehen zu einer Bewährungsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden.

Für eine 22-jährige Frau war ein Käfig fast zehn Monate lang die einzige Schlafmöglichkeit.

Ehefrau als «verlängerter Arm»?

Ungewisser war die Entscheidung im Fall von Wohlenwebers Ehefrau. Ihr Verteidiger Michel Wehrli hatte einen vollen Freispruch gefordert. Seine Mandantin habe keineswegs eine Funktion als «Gefängniswärterin» gehabt, wie es ihr die Anklage vorwirft. Sie habe zwar zugegeben, dass sie gelegentlich beim Anlegen der Fesseln und beim Schliessen der Käfigtür geholfen habe. Aber nur wenn ihr Mann nicht da gewesen sei. «Sie tat, was ihr Göttergatte ihr befahl», sagte Wehrli.

Die Staatsanwältin nahm ihr diese Darstellung nicht ab. «Die Beschuldigte war nicht bloss eine instrumentalisierte Marionette ihres Mannes», sagte sie. «Sie war bereit, ihren Beitrag zu leisten, damit die Masche ihres Mannes funktionierte – sie war sein verlängerter Arm», betonte die Staatsanwältin. Wegen mehrfacher Gehilfenschaft zur Freiheitsberaubung forderte die Anklage unter anderem eine bedingte Freiheitsstrafe von 10 Monaten und eine Landesverweisung von 5 Jahren.

Das Bezirksgericht Andelfingen sah das ähnlich und verurteilte die Beschuldigte – nicht rechtskräftig – zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren – sechs Monate länger, als die Staatsanwaltschaft beantragt hatte. Zudem erhielt die Ehefrau eine deutlich erhöhte bedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 50 Franken.

Am schwersten wiegt für die Beschuldigte aber die vom Gericht ausgesprochene Landesverweisung von fünf Jahren. In ihrem Schlusswort während der Verhandlung hatte die Beschuldigte an das Gericht appelliert: «Wenn Sie finden, meine Taten reichen für eine Verurteilung wegen eines Verbrechens, dann verurteilen Sie mich – aber bitte lassen Sie mir die Möglichkeit, in der Schweiz zu bleiben.» Ihr Verteidiger Michel Wehrli kündigte am Ende der Urteilsverkündung denn auch an, Berufung einzulegen.

«Die Beschuldigte hätte wissen müssen, dass die Einwilligungen der Opfer nicht rechtens sein können», sagte der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung. Ein Geständnis oder Bedauern vermochte das Gericht nicht zu erkennen.

Auch die von der Frau geltend gemachte Abhängigkeit von ihrem dominanten Ehemann akzeptierte das Gericht nicht. Dies, weil sie studiert hat und in der Schweiz erwerbstätig ist. Da sie nicht in der Schweiz aufgewachsen sei und keine Kinder habe, liege auch kein Härtefall bei der Landesverweisung vor. «Wenigstens hätte die Beschuldigte mitfühlende Empathie mit den Frauen zeigen müssen, was nicht der Fall war», sagte der Richter.

Weitere Frauen nicht auffindbar oder kein Zwang?

Eine Frage blieb ungeklärt: Warum wurden mindestens drei weitere Fälle von ausländischen Frauen, die in Wohlenwebers Käfig eingesperrt waren, nicht strafrechtlich verfolgt, obwohl sie in den Ermittlungsakten dokumentiert sind?

Die Staatsanwaltschaft erklärte auf Anfrage dieser Redaktion, dass die Frauen entweder nicht mehr auffindbar gewesen seien oder die Frage des Zwanges nicht für eine Anklage ausgereicht habe.