Glosse zur SpracheDie Romands blicken eben über den Tellerrand hinaus
Die Schweiz hat ihre Wörter des Jahres gewählt. In den vier Sprachregionen gibt es unterschiedliche Resultate. Wir psychologisieren mal drauf los.

Die Deutschschweiz sieht die Demokratie in Gefahr. «Unterschriften-Bschiss» wurde von einer Fachjury zum Deutschschweizer Wort des Jahres gewählt. Soll wohl heissen: Unterschriften-Bschiss, das wühlt auf, so etwas darf es nicht geben im Selbstverständnis der deutschsprachigen Schweizerinnen und Schweizer.
Dahinter könnte man eine ausgeprägte Ordnungsliebe vermuten. In der Deutschschweiz will man darauf vertrauen, dass alles mit rechten Dingen zu- und hergeht, dafür ist eine Unterschrift das Sinnbild. Und wenn nicht mal die etwas zählt, ja, wo kommen wir denn da hin.
Bürokratie, Demokratie, alles für nix? Das Deutschschweizer Wort des Jahres ist ein seufzendes Ja-woran-kann-ich-mich-denn-noch-Halten.
Schert man sich in der Romandie weniger um die inländischen Prozesse?
Und was treibt die Menschen in den anderen Sprachregionen um? Ganz klein scheint die Welt bei den rätoromanisch sprechenden Schweizerinnen und Schweizern. Zweitwohnungen (Platz 1: «segundimorant», Zweitheimischer) und lokale Feierlichkeiten (Platz 3: «festivitads») beschäftigen dort am meisten. Heisst womöglich: Moment-ich-muss-erst-mal-hier-schauen.
In der Romandie scheint man dagegen vielmehr um das grössere Ganze besorgt. «Cessez-le-feu», Waffenruhe, ist dort das Wort des Jahres – in der Enttäuschung darüber, dass es in all den Konfliktherden, die sich auch nicht unweit der Schweiz aufgetan haben, immer noch nicht zu Frieden gekommen ist.
Heisst das vielleicht, dass die Romands etwas empathischer, etwas weniger kleingeistig, weniger auf das eigene Wohlergehen bedacht sind? Ihr Wort des Jahres klingt nach Uns-gehts-gut-aber-da-draussen-gibts-zu-tun. Vielleicht zeigt es aber auch, dass man sich in der Romandie weniger um die politischen Prozesse hierzulande schert? Wenn man davon ausgeht, dass der Röstigraben bei den Abstimmungen sich immer wieder auftut, und die Resultate oft zugunsten der Deutschschweiz und zuungunsten der Romandie kippen, verständlich.
Ein Wortspiel als Statement
Auf jeden Fall haben die Romands mehr Spass als die übrigen Sprachregionen. Auf Platz drei haben sie das Nonsense-Wort «quoicoubeh» gewählt, ein Wortspiel, ein Social-Media-Spruch. Für sich auch ein Statement, inmitten der sehr ernsten Weltlage, die sonst in den Ranglisten abgebildet ist.
PS: In der italienischsprachigen und in der Deutschschweiz reibt man sich an den Konzepten von Nonbinarität und Diversität, die Wörter wurden auf Platz 1 respektive Platz 2 gewählt. In der Romandie? Kein Thema. Aber auch das: Küchentischpsychologie.
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