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Unwetterer und Sprache
Das Wetter wütet, der Mensch dreht durch

Wetter als medial begleitetes Politikum: Ein TV-Reporter in New Orleans versucht 2016, während des Sturms Hermine zu arbeiten.
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Es scheint, als hätte die Natur die Kontrolle verloren.

Jedenfalls ist dies der Eindruck, wenn man, wie die meisten von uns, in diesen Wochen in den Medien verfolgt, was die Natur gerade so tut. Und sie tut offensichtlich nur noch das eine: wüten.

Es begann im Frühling damit, dass erste Waldbrände wüteten, Buschfeuer ebenso oder auch nur die Flammen. Dann wüteten die Zyklone Judy und Kevin, mit angeblich beispielloser Wucht im Südpazifik. Wenig später Freddy, der Tropensturm, auch er ein Wüterich. Hierzulande wüteten derweil Gewitterwolken, stundenlang, wie SRF berichtete. In den USA vier Tornados auf einmal, ein «wütendes Monster-Sturmsystem» («Welt»). Und im Kanton Bern machte eine Sturmböe von sich reden, sie wütete lokal und deckte ein paar Dächer ab. Ende April konnten wir lesen, «in der Karibik wütet ein gigantischer Teppich aus Braunalgen» («Kronen Zeitung») – ein wütender Algenteppich! Hoffentlich nur, so dachten wir, tickt unser Wohnzimmerberber nicht aus, wenn wir ihn das nächste Mal mit schmutzigen Schuhen betreten.

Ohnegleichen dann die Lage im Hochsommer. Tag um Tag wütete die Hitzewelle, die Waldbrände immer noch und sowieso, rund um den Globus, auf allen Kanälen, in den Qualitätsmedien ebenso wie auf dem Boulevard, im Fernsehen wie auf den Newsplattformen. Und dann, als Hitze, Feuer und Flammen ausgewütet hatten, da kam eine neue, kalte Wut. Jetzt wüteten Stürme, Unwetter, der Regen, der Hagel. Bis schliesslich, es war Anfang dieser Woche, «20 Minuten» enthüllen konnte: «So wütete das Wasser in der Schweiz».

Diese Unwetter sind Dramen, Katastrophen – eben deshalb ist es nicht egal, in welchen Worten wir sie beschreiben.

Das monotone Wüten ist auch und zuerst eine stilistische Zumutung, seine Impertinenz schmerzt in den Ohren. Stürme können auch toben. Wassermassen tosen, der Regen peitschen. Und Flüsse treten über die Ufer, um Landstriche unter Wasser zu setzen. Brände breiten sich aus, vernichten und verheeren. Flammen fressen sich durch Wälder. Der Hagel hämmert. Und selbstverständlich wüten Algen nicht. Sie wuchern höchstens.

Damit wir uns richtig verstehen: Diese Unwetter waren allesamt Dramen und Katastrophen. Sie brachten Leid und Trauer. Sie kosteten Menschenleben. Eben deshalb ist es nicht egal, mit welchen Worten wir diese Ereignisse beschreiben. Es geht um sehr viel mehr als guten Stil. Sprachliche Präzision und sprachliches Bewusstsein beim Reden und Schreiben übers Wetter ist in Zeiten des Klimawandels – in Zeiten, da es zum Politikum wird, wenn sich Meteorologen bei ihren Prognosen um ein paar Hitzegrade verrechnen – eine Art Bürgerpflicht.

Wüten heisst auch, den Verstand zu verlieren

So ist das Wetter-Wüten ganz besonders deshalb ein Ärgernis, weil es inhaltlich Entscheidendes durcheinanderwirbelt. Unser heutiges «wüten» für rasen und toben führt sprachgeschichtlich über das mittelhochdeutsche «wüeten» weit zurück bis zum althochdeutschen «wutôn» – und dieses bedeutete damals auch: den Verstand zu verlieren.

Die Natur fortwährend des Wütens zu bezichtigen und sie damit für verrückt zu erklären – das geht nun gar nicht. Wir sind uns doch einig: Wenn hier jemand durchdreht und das Klima zur Katastrophe macht, dann der Mensch.