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Reportage aus Paiporta
Als sei Godzilla durch den Ort gelaufen

epa11695871 People climb over piled up cars in the flood-hit municipality of Paiporta, Valencia province, Spain, 01 November 2024. According to the Integrated Operational Coordination Center (CECOPI), more than 200 people have died in Valencia and neighboring provinces after floods caused by a DANA (high-altitude isolated depression) weather phenomenon hit the east of the country. According to Spain's national weather agency (AEMET), on 29 October 2024 Valencia received a year's worth of rain, causing flash floods that destroyed homes and swept away vehicles. EPA/BIEL ALINO
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In Kürze:
  • Nach Unwettern in Valencia sind mehr als 200 Menschen gestorben.
  • Unzählige Helfende in Vororten kämpfen mit Besen und Eimern gegen Schlamm.
  • Die Solidarität ist gross, Freiwillige bringen Kleidung und Essen.
  • Regierung verspätet sich mit Hilfe, Einwohner kritisieren fehlende Unterstützung.

Zunächst sind es Dutzende Menschen, dann Hunderte, nein Tausende. Sie tragen Besen, Eimer und so viele Plastikwasserflaschen, wie sie schleppen können, aus der Innenstadt hinüber über die grossen Brücken am Fluss Turia. Hinter ihnen ragen die Wahrzeichen Valencias in die Höhe, das Opernhaus, das Wissenschaftsmuseum, all die kolossale Architektur von Santiago Calatrava.

Über die Turia-Brücke kehren sie an diesem Freitagmorgen zurück in ihre Vorortviertel, Sedaví, Benetússer und vor allem Paiporta, jene Gemeinde, in der bei den Unwettern in der Nacht zum Mittwoch mehr als 60 Menschen ihr Leben verloren hatten – unter ihnen sechs Menschen eines Altersheims, die in ihren Rollstühlen ertranken.

Insgesamt sind bei den Unwettern in der Nacht auf Mittwoch, die in der spanischen Mittelmeerregion Valencia zu einer Katastrophe führten, mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen, Dutzende gelten als vermisst. Tausende Menschen sind am Freitag noch immer ohne Strom, viele Strassen unpassierbar.

Der Weg nach Paiporta ist am Freitag gesäumt von grotesk aufgetürmten Autowracks, Geäst, Möbeln, Teppichen, Hausrat und vor allem Schlamm, unendlich viel braunem Schlamm. Am letzten Kreisverkehr vor Paiporta versucht die Guardia Civil, nur Notfallfahrzeuge durchzulassen. Doch wie soll sie entscheiden, wer berechtigt ist? «Die sechs Autos hinter mir gehören zu mir», brüllt der Fahrer eines roten Feuerwehrfahrzeugs den Zivilgardisten zu und biegt in die Zufahrtsstrasse nach Paiporta ein. Ihm folgt ein halbes Dutzend unmarkierter Pick-ups mit Männern in Warnwesten, auf den Ladeflächen Besenstiele und Wasserschläuche. Dahinter folgt ein Traktor mit Anhänger, der weitere Freiwillige bringt. Hier ist jeder ein Helfer.

epaselect epa11695783 A man helps in the cleaning works of a flooded church in Paiporta, Valencia province, Spain, 01 November 2024. According to the Integrated Operational Coordination Center (CECOPI), more than 200 people have died in Valencia and neighboring provinces after floods caused by a DANA (high-altitude isolated depression) weather phenomenon hit the east of the country. According to Spain's national weather agency (AEMET), on 29 October 2024 Valencia received a year's worth of rain, causing flash floods that destroyed homes and swept away vehicles. EPA/BIEL ALINO

Der Kontrast zur Innenstadt von Valencia, wo die Frühstückscafés an diesem Morgen Churros und Ensaimadas servieren, ist grotesk. Zu Fuss stapfen die Menschen wenige Kilometer weiter südwestlich mit ihren Besen und Eimern durch den knöcheltiefen Schlamm am Poyo entlang, dem Seitenstrang von Valencias Hauptfluss, der in der Nacht zum Mittwoch die Vororte ins Verderben riss.

«Es war alles eine Frage von Minuten», sagt Marta Carillo, eine lebhafte Frau mit grau melierten Locken. «Die Nachbarn rieten uns, das Auto aus der Garage zu holen, weil das Wasser kommt.» Ihr Mann schaffte es dann aber nur noch, auf die Strasse zu fahren. «Binnen Minuten stand das Wasser bis hier», sagt sie und hebt die Hand bis zur Schulter. «Es floss mit Wucht, riss alle Autos mit. Keine Ahnung, wo mein Auto jetzt ist.»

Die Handymeldung? «Nach dem Wasser»

«Die Leute aus dem Erdgeschoss sind zu uns nach oben gekommen. Die, die noch auf der Strasse waren, stiegen auf Autos, auf Mülleimer», erzählt Marta. Menschen hätten ihnen von den Balkonen geknotete Bettlaken zugeworfen. Die Besen und das Essen, das sie durch den Schlamm trägt, habe ihr Vater vorhin gebracht. Er lebt in der Innenstadt.

Viele Menschen kämpfen sich mit Plastiktüten an den Füssen durch den Schlamm. Ein junger Mann auf einem Geländemotorrad bahnt sich seinen Weg in die Gegenrichtung. «Ich besorge Medikamente», ruft er den Leuten zu. Zu den Wohnblocks von Paiporta führt eine kleinere Brücke über den Poyo, beziehungsweise das, was mal eine Brücke war. Ein Geländer gibt es nicht mehr, die Menschen balancieren durch die glitschige Masse, die die Brücke bedeckt, zehn Meter hoch über dem Poyo, der jetzt wieder das Rinnsal ist, als das er sich normalerweise zeigt. Nur dass das Flussbett mit den herabgestürzten Uferbefestigungen und den Autowracks darin aussieht, als sei Godzilla durchgelaufen.

A woman rests as residents and volunteers clean up an area affected by floods in Paiporta, near Valencia, Spain, Friday, Nov. 1, 2024. (AP Photo/Alberto Saiz)

In der Umgebung sucht die Feuerwehr nach möglichen weiteren Toten. In den Gassen von Paiporta schippen die Menschen den Schlamm mit Schaufeln, Besen und auch Brettern aus den Hauseingängen auf die Strasse. Möbel, Geschirr, Teppiche türmen sich darüber, alles schlammverkrustet. «Kommen Sie rein», sagt eine Frau auf die Frage hin, wie hoch das Wasser am Dienstagabend gestiegen war. In der Küche im Erdgeschoss zeigt sie auf die Dreckspur an der Wand. Sie reicht bis zur Schulter. «Zum Glück wohnt meine Mutter im ersten Stock, sie ist 87 und hat nur eine Schramme auf der Stirn abbekommen.» Wann der Alarm kam? Die Handymeldung? «Nach dem Wasser», sagt sie, «ja, so war es.» Das bestätigen viele hier: Das Wasser stieg am Dienstag um halb sieben Uhr abends, die erste Warnmeldung kam anderthalb Stunden später.

Es war ein Fluss, nicht das Meer, aber die Verwüstung erinnert an die nach einem Tsunami.

Die Regierung hat angekündigt, 1700 Soldaten in das Katastrophengebiet zu schicken. Von diesen ist am Freitag in Paiporta nichts zu sehen. «Schauen Sie genau hin», ruft ein Mann, der mit einem Leiterwagen Wasserflaschen durch den Schlamm schiebt, «sehen Sie hier einen einzigen Wagen der UME?» Die UME ist die Notfalleinheit des Militärs. «Man kann sich nur auf die Menschen verlassen», ruft der Mann, «nicht auf die Regierung.» Tatsächlich ist hier vor allem die Polizei unterwegs, auch um die unendlichen Menschenströme zu dirigieren, die sich in Valencias Baumärkten mit Ausrüstung versorgt haben und nun ihren Weg zurück in die Vororte bahnen.

Die Mitmenschlichkeit beeindruckt

Die Solidarität der Menschen ist enorm. Darüber berichten mittlerweile auch die nationalen Medien. Freiwillige, die gar nicht in Paiporta wohnen, tragen Kleidung und Essen in das gepeinigte Viertel. Einer der Helfer fragt eine Frau in ihrem Hauseingang nur, ob sie Kinder habe, dann drückt er ihr eine Tüte in die Hand. «Hier ist ein bisschen was drin», sagt er und geht weiter.

«Brauchst du was», ist einer der Sätze, die oft zu hören sind. Als ein Reporter im Weg steht, entschuldigt sich ein schlammverkrusteter Mann mit Schaufeln auf der Schulter dafür, dass er kurz vorbeimüsse. In dieser himmelschreienden Krise zeigen die Menschen eine beeindruckende Mitmenschlichkeit. Hier ist niemand zu sehen, der schreit oder drängelt.

epa11695782 Residents remove the mud from the street in the flood-hit municipality of Paiporta, Valencia province, Spain, 01 November 2024. According to the Integrated Operational Coordination Center (CECOPI), more than 200 people have died in Valencia and neighboring provinces after floods caused by a DANA (high-altitude isolated depression) weather phenomenon hit the east of the country. According to Spain's national weather agency (AEMET), on 29 October 2024 Valencia received a year's worth of rain, causing flash floods that destroyed homes and swept away vehicles.  EPA/BIEL ALINO

Dabei hätten die Menschen von Paiporta allen Grund zur Wut. Der späte Alarm, die fehlenden Hilfsgüter, das noch immer abgesperrte Trinkwasser, die nur angekündigten Soldaten. Immerhin, ein Paar Gummistiefel hätten sie bekommen, sagt jemand mit Bitterkeit in der Stimme. Und immerhin, es gebe wieder Strom.

60 Stunden nach der Flutkatastrophe kreisen noch immer unaufhörlich Hubschrauber über der Stadt, die Sirenen von Feuerwehr und Polizei dringen von den Umgehungsstrassen herüber. Noch immer ist Valencia von der Aussenwelt nahezu abgeschnitten. Die Autobahn aus Madrid ist gesperrt, ebenso wie gut 60 Landstrassen, von denen manche schlicht nicht mehr existieren. Die Schnellzugstrecke wird noch wochenlang nicht funktionieren, liess der Verkehrsminister wissen.

Immerhin, von Süden kommend war die Stadt am Donnerstagabend erreichbar, über eine Autobahn aus getrocknetem Schlamm, die sich etwa 15 Kilometer vor Valencia auf eine Spur verengt. Kilometerlang geht es an Autowracks, Schrottteilen, umgekippten Lastwagen und jeder Menge zerbrochener Paletten und Möbel vorbei. Die Pflanzenreste an den Leitplanken könnten zusammengenommen einen ganzen Wald bilden. Vereinzelt wühlen Menschen mit Taschenlampen im aufgetürmten Schrott.

Nur wenige Kilometer weiter, in der Innenstadt von Valencia, ist von der Katastrophe nichts mehr zu sehen. Bars schenken Bier aus, die Restaurants servieren Meeresfrüchte. Die Katastrophe, die sie in Spanien «Dana» nennen, hat sehr punktuell und sehr ungerecht zugeschlagen.