Falsche Daten auf InitiativbögenBeim Unterschriftenbschiss sitzen jetzt Anzeigeerstatter und Verdächtige an einem Tisch
Die Bundeskanzlei hat in Bern zu einem runden Tisch eingeladen. Auch die Sammelchefs nahmen teil. Mit ihrer Hilfe soll nun ein Verhaltenskodex entstehen.

- Bundeskanzler Viktor Rossi lud Vertreter verschiedener Gruppen zu einer Diskussion über die Problematik gefälschter Unterschriften ein.
- Die Bundeskanzlei will einen Verhaltenskodex gegen Missbräuche beim Unterschriftensammeln entwickeln.
Es war eine bunt gemischte Gruppe, die einen Mittwochnachmittag lang in einem der festlichsten Räume zusammenkam, die Bern zu bieten hat: im Leuchtersaal des Bernerhofs. Früher handelte es sich um ein Nobelhotel, heute ist der Bernerhof der Sitz des Eidgenössischen Finanzdepartements. Dort trafen sich Vertreter politischer Interessengruppen von links bis rechts. Zugegen waren Initiativkomitees für ein Atomwaffenverbot oder gegen Tierversuche, aber auch die EU-kritischen Kompass-Initianten oder die rechte «Pro Schweiz»* sowie alle grösseren Parteien ausser der SVP und der Mitte. Sie alle kamen zusammen, um über eine Problematik zu reden, die diese Redaktion vor knapp zwei Monaten publik gemacht hatte: Tausende Unterschriften für Volksbegehren sind gefälscht worden.
Nun lud die Bundeskanzlei zu einem runden Tisch. Thema: «Integrität von Unterschriftensammlungen». Dem Ruf nach Bern folgte auch ein halbes Dutzend Sammelunternehmen. Damit dürfte ein Grossteil der zuletzt rasant gewachsenen und unübersichtlichen Branche im Gebäude neben dem Bundeshaus präsent gewesen sein. Nicht dabei waren allerdings jene beiden Firmen, welche für die meisten Schlagzeilen gesorgt hatten. Denn sie existieren heute nur noch auf dem Papier: Incop und Pôle Swiss, beide aus Lausanne, sind wegen Verdachts auf Wahlfälschung in den Fokus der Bundesanwaltschaft geraten und haben ihre Aktivitäten in den vergangenen Wochen eingestellt. Ihre Vertreter bestritten jegliches Fehlverhalten.
Sie reichen bis zu 50 Prozent ungültige Unterschriften ein
Allerdings sind aus den beiden Westschweizer Unternehmen, für welche die Unschuldsvermutung gilt, andere Firmen hervorgegangen, die zum Teil ähnlich geschäften. Die neueren Anbieter haben vereinzelt sogar Sammlerinnen und Sammler der nun inaktiven Konkurrenz übernommen. Einzelne dieser Firmen operieren ebenfalls mit fragwürdigen Methoden – zum Beispiel Druckausübung gegenüber Komitees.
Die Mehrzahl der kommerziellen Sammelorganisationen, die am runden Tisch teilnahmen, sind jüngst durch sehr hohe Ungültigkeitsquoten aufgefallen. Kontrollen von Gemeinden zeigten, dass oft ein Drittel und teilweise sogar rund die Hälfte der eingereichten Unterschriften nicht die erforderlichen Kriterien erfüllten. Dies kann auf Unsorgfältigkeit, aber auch auf Fälschen von Unterschriften zurückzuführen sein. Bei nicht kommerziellen Sammlungen sind die Quoten in der Regel deutlich tiefer.
Bessere Schulungen, mehr Transparenz
Das Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden ist – wie Bundeskanzler Viktor Rossi in seiner Einladung für den Mittwoch festhielt – «bewusst einfach und niederschwellig gehalten». Dies solle, schrieb Rossi weiter, «auch in Zukunft so bleiben». Deshalb müssten die «Akteurinnen und Akteure in diesem System entschlossen gegen Missbräuche vorgehen». Rossi will deshalb am runden Tisch einen Verhaltenskodex für Unterschriftensammlung erarbeiten, «auf den sich Initiativ- und Referendumskomitees, aber auch Sammelorganisationen verpflichten und berufen können». Denkbar sind beispielsweise bessere Schulungen und mehr Transparenz.

Verschiedene Teilnehmer erklärten am runden Tisch, dass sie solche Vorschläge für sinnvoll hielten. Ein grösserer Teil der Anwesenden forderte aber strengere Regeln, während einzelne durchblicken liessen, dass sie gar keine Massnahmen wünschten.
Die Bundeskanzlei hat wegen mutmasslich gefälschter Unterschriften zwei Strafanzeigen bei der Bundesanwaltschaft eingereicht, die zweite davon erst kürzlich. Darin hat sie auch Hinweise auf Fälschungsverdacht aus rund 15 Gemeinden, Kantonen und von einer Privatperson gebündelt. Weiter sind Initiativkomitees und andere Organisationen direkt bei den Strafverfolgungsbehörden vorstellig geworden. Ihre Verdachtsmeldungen beschreiben auch Praktiken von Sammelfirmen, die am runden Tisch teilnahmen. Zur Auftaktssitzung trafen also Anzeigeerstatter und Verdächtige zusammen. Einzelne Teilnehmer kritisierten dies. Nun will die Bundeskanzlei, welche bewusst breit einlud, Gruppen bilden, welche die Arbeiten weiterführen.
* In einer ersten Fassung wurde an dieser Stelle der alte Name Auns genannt. «Pro Schweiz» ist die 2022 gegründete Nachfolgeorganisation.
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