Armee-Einsatz im AuslandUnsere Frau für die internationale Cyberabwehr
Lisa Schauss vertritt die Schweiz bei einer Denkfabrik in Estland. Dort bereitet sie gerade eine internationale digitale Verteidigungsübung vor.
Eigentlich hatte sie ganz andere Pläne. Lisa Schauss interessierte sich für nachhaltige Wirtschaft und spezialisierte sich in ihrem Studium auf die Frage, wie sich Ökonomie und Ökologie vereinbaren lassen.
«Als ich dann eine Stelle suchte, zeigte sich: Es gibt mehr angehende Nachhaltigkeitsspezialisten, als der Jobmarkt hergibt», sagt sie. «Ich habe darum den Fächer aufgemacht und mich auch für andere Stellen mit internationalem Bezug beworben.»
Schliesslich begann Schauss bei der Armee. Sie wurde Mitarbeiterin in der Führungsunterstützungsbasis. Das ist – wenn man so will – die IT-Abteilung der Armee: Sie betreibt geschützte Rechenzentren und ein von allen anderen Netzen unabhängiges Kommunikationssystem. Diese sollen dafür sorgen, dass die Armee in allen Lagen einsatzfähig bleibt. Zuständig ist die Führungsunterstützungsbasis auch für die Cyberabwehr der Armee.
Zivilistin bei der Cyberabwehr
Lisa Schauss, die keinen Milizmilitärdienst geleistet hat, ist jetzt also von Berufs wegen mit Cyberabwehr und elektronischer Kriegsführung beschäftigt. Und das nun auch im Ausland: Seit letztem August vertritt sie die Schweiz bei einer Cyberdenkfabrik in der estnischen Hauptstadt Tallinn.
Das Nato Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence, kurz CCDCOE, bündelt die Forschungs- und Ausbildungszusammenarbeit der teilnehmenden Staaten im Cyberbereich. Teilnehmen dürfen auch Nicht-Nato-Mitglieder. Neben der Schweiz sind Finnland, Schweden und Österreich sogenannte «Contributing Participants» ausserhalb des Verteidigungsbündnisses.
«Das Zentrum ist nicht in die Nato-Kommandostruktur eingebunden», sagt Pierre Antille, der im Generalsekretariat des Verteidigungsdepartements (VBS) für Strategie und Internationales im Bereich Sicherheitspolitik zuständig ist. Deshalb sei die Teilnahme der neutralen Schweiz unproblematisch. Das VBS stellt neben Lisa Schauss einen weiteren Mitarbeiter des Zentrums und beteiligt sich mit rund 50’000 Franken jährlich an dessen Betrieb.
Das Schweizer Engagement im Nato-CCDCOE in Tallinn steht im Zusammenhang mit dem Ausbau der Cybersicherheit und -abwehr bei der Armee und generell in der Bundesverwaltung. Verteidigungsministerin Viola Amherd hat vor einem Jahr dafür eine neue Cyberabwehr-Strategie verabschiedet. Explizit heisst es darin: «Die Kooperation mit nationalen und internationalen Partnern ist ein zentrales Element.»
In Tallinn arbeitet Lisa Schauss unter anderem an der jährlichen internationalen Cyberabwehr-Übung «Locked Shields». «In einer eigens dafür gebauten virtuellen Umgebung werden Cyberangriffe oder -vorfälle simuliert», sagt sie. Teams aus den teilnehmenden Staaten versuchen ihre virtuellen IT-Systeme zu verteidigen.
Simuliert werden elektronische Angriffe auf kritische Infrastrukturen wie beispielsweise Stromnetze. Zudem werden Medien- und soziale Kanäle nachgebaut, um die Cybervorfälle in diesem Bereich möglichst realitätsnah zu simulieren – inklusive des öffentlichen Drucks, der dadurch entsteht.
Pierre Antille sagt, Übungen wie «Locked Shields» seien so wertvoll, weil sich hier die Expertenteams der Schweizer Cyberabwehr mit Teams anderer Länder messen könnten. «Dazu profitieren wir vom fachlichen Austausch auf höchstem Niveau», sagt Antille. Lisa Schauss ergänzt aus ihrer praktischen Erfahrung: «Durch meine Arbeit in Tallinn lerne ich Expertinnen und Experten aus allen Cyberabwehr-Fachgebieten kennen.»
Schauss’ Team in Tallinn zählt sechs Mitglieder. Sie stammen aus sechs verschiedenen Ländern. Auf dem Campus des Kompetenzzentrums am Stadtrand der estnischen Hauptstadt arbeiten Zivilisten und Militärangehörige aus allen beteiligten Staaten, mit und ohne Uniform. «Ich fühlte mich dort gleich aufgenommen», sagt Schauss. «Schliesslich geht es dort allen gleich: Wenn man ankommt, kennt man noch niemanden.»
Unabhängigkeitstag und Kriegsausbruch
Am 24. Februar, dem Tag, als Putin die Ukraine überfiel, hielt Tallinn seine jährliche Militärparade zum Unabhängigkeitstag Estlands ab. «Das hat den Ereignissen eine noch ernstere Note verliehen, als sie ohnehin schon hatten», sagt Schauss. Auf den Gängen des Cyberzentrums wurde eifrig diskutiert – hauptsächlich über den Umstand, dass nicht mehr Cyberaktivitäten aus Russland festzustellen waren.
Das könnte sich noch ändern: US-Präsident Joe Biden warnte vor bevorstehenden Cyberangriffen im Ukraine-Krieg. «Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir aus diesem Krieg im Cyberbereich gewinnen, können in kommende Cyberabwehr-Übungen einfliessen», sagt Schauss.
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