«Under Paris» auf NetflixHaihorror – das dümmste Filmgenre überhaupt?
Jetzt schwimmt der böse Fisch sogar in der Seine: Horrorfilme mit dem Raubtier der Meere sind populär. Und idiotisch.
Was war das, eine Finne? Hat mich gerade etwas am Bein gestreift?
Das Gefühl, im Meer von etwas Ungeheuerlichem umgeben zu sein, kennen wahrscheinlich alle. Die Vorstellungen sind meistens erschreckender als die Realität. Denn was ist beängstigender, wenn man die Haie ringsum sieht oder wenn man sie nicht sieht?
«Under Paris», der neue Haihorror auf Netflix, beantwortet die Frage insofern, als wir eine erstaunliche Menge von computergenerierten Haien vorgesetzt bekommen, von denen bald klar wird, dass es besser gewesen wäre, wir hätten sie nie gesehen.
Wer schon einmal in Paris die Seine entlanggegangen ist, wird sich erinnern, dass blutrünstige Haifische nicht zum Panorama gehören. Nun darf eine französische Netflix-Produktion, für die man sowohl Bérénice Bejo aus «The Artist» gewinnen konnte wie auch mehrere Abschnitte der Seine sperren musste, allerlei Humbug erfinden. Hauptsache, das Wasser färbt sich rot.
Lilith, der Monsterhai
Der Hai in der Seine heisst Lilith und ist zu einem Superbiest mutiert, dem es im Süsswasser mittlerweile wohl geworden ist und das dort ziemlich alles attackiert. Es wird nicht allzu ausführlich erklärt, wieso das Tier dies tut. Es hat etwas mit dem Klimawandel und der Verschmutzung der Ozeane zu tun; wieso sollte ein Hai sonst via Le Havre in die Seine schwimmen?
Die junge Umweltschützerin Mika (Léa Léviant) entdeckt das Tier und informiert die Meeresbiologin Sophia (Bérénice Bejo): Sie hat Lilith früher getrackt und eine ganze Gruppe von Taucherkollegen durch die Begegnung mit dem Hai verloren.
Es gibt also eine Vorgeschichte, und es gibt Rachegelüste seitens des Haifischs. Dazu den Flussbrigade-Kommandanten Adil (Nassim Lyes), dessen Team sich dümmer anstellt, als es das Filmgenre Haihorror erfordern würde, und die Bürgermeisterin (Anne Marivin), die trotz Warnungen die bevorstehenden Triathlon-Weltmeisterschaften in Paris durchführen möchte.
Sie kennt offensichtlich die Geschichte des Haihorror-Subgenres nicht, das sich an zwei Regeln hält:
Das Massaker im Wasser verhält sich umgekehrt proportional zur tatsächlichen Gefahr, die Haie für Menschen darstellen;
die Geldgier übertrumpft jedes Mal den wissenschaftlichen Verstand.
Als Steven Spielberg mit «Jaws» (1975) den Haihorror popularisierte, war die Rolle des Bürgermeisters des Badeorts Amity zentral. Der wollte sich die anstehende Sommersaison nicht durch ein paar Überreste einer Schwimmerin vermiesen lassen. Der Strand bleibt offen – das Motto des kapitalistischen Profits setzte den Haihorror überhaupt erst in Gang.
Seither ist in dieser Gattung erstaunlich viel pitchfähiger Ramsch gedreht worden. «Sand Sharks», «Snow Sharks», «Bait – Haie im Supermarkt», «Shark in Venice», «Sharknado», «Ghost Shark», «Jaws 3-D», «Sharkansas Women’s Prison Massacre» oder «Mega Shark vs. Giant Octopus» – keiner dieser Titel ist erfunden.
Es hat also eine gewisse Logik, dass der Hai nun auch in Paris auftaucht. Dabei thematisiert «Under Paris» den Klimawandel und die Makroplastikverseuchung der Meere nicht deswegen, weil der aktuell beliebteste Netflixfilm in der Schweiz etwas über akute Menschheitsprobleme zu sagen hätte. Er interessiert sich für die Effekte des Terrors und inszeniert die Angriffe mit der Nervosität einer Musikvideoclip-Kamera.
Haihorror ist auch hier Todesgefahr im Wasser, hergestellt mit billigen Mitteln und hochgepeitscht bis zur Absurdität. Der Hai besitzt den Starkult des Serienmörders und eine Brutalität, wie man sie aus den blutigsten Schauergeschichten kennt (wobei die Gewalt, die Menschen den Haien antun, wie üblich ausgeblendet wird).
Die Frage übrigens, was mehr Panik auslöst, wenn man die Haie sieht oder wenn man sie nicht sieht – sie stammt aus «Open Water» (2003), einem der wenigen überzeugenden Low-Budget-Thriller aus dem Fach Haihorror. Er basiert auf der wahren Geschichte eines Paars, das beim Tauchausflug vergessen geht und im offenen Meer zurückbleibt.
Regisseur Chris Kentis ist selber mit Haien getaucht und fand die Tiere nie angsteinflössend, wie er in der Doku «Sharksploitation» erzählt. Verstört sei er vielmehr gewesen, als er wieder aufgetaucht sei. Wie dann ein Haischwanz auf die Wasseroberfläche klatschte, das habe ihm viel mehr Angst gemacht als alles andere.
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