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Meinung

Kommentar zur Wirecard-Pleite
Und sofort ist der Kapitalismus der Sündenbock

Monument des Versagens der Marktwirtschaft oder einsamer Ausreisser? Der Hauptsitz des Finanzdienstleisters in Aschheim bei München.
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Es ist ja nicht so, dass es keine Anzeichen gab. Über die Firma Wirecard ist viel geredet worden, seit Jahren schon. Über ihre Anfänge im Schmuddelmilieu. Über den schwer zu durchschauenden Milliardenkonzern. Über mögliche Unregelmässigkeiten. «Die haben Dreck am Stecken», sagten die einen, und andere: «Die sind zu schnell gewachsen, die blicken selbst nicht mehr durch.»

Dennoch: Einen derart gigantischen Betrug, wie er sich jetzt abzeichnet, hätte kaum jemand für möglich gehalten. Nicht die Wirtschaftsprüfer und Aufseher, nicht die Politiker und sicher nicht die anständigen Mitarbeiter. Hättet ihr mal besser hingeguckt, hört man jetzt, und: Wie konnte das passieren?

Die Marktwirtschaft ist, bei allen Fehlern, der kongeniale Begleiter der politischen Freiheit.

Wer ganz gross einsteigen will, stellt die Systemfrage, die nach der Herrschaft des Geldes im Kapitalismus oder gar die nach der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft, in der jeder seinen Vorteil suchen soll, was am Ende dem grossen Ganzen dient. Wenn das aber immer wieder einige gewissenlos ausreizen können – ist dann nicht das System diskreditiert, 90 Jahre nach Bertold Brechts Frage: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? (Wirecard ist, wie passend, unter anderem auch eine Bank.)

Sind alle – Politik, Behörden, Medien – willfährige Gefangene des Systems? Nein, die schlüssigeren Argumente haben immer noch diejenigen, die kein besseres Prinzip sehen als das der Marktwirtschaft, samt Kapital und Börse.

Dieses System hat die Welt über die Jahrzehnte besser gemacht, es hat technischen Fortschritt ermöglicht, Hunger gelindert und soziale Errungenschaften finanziert, und besonders gut hat es dort funktioniert, wo die Wirtschaftsordnung einen gesetzlichen Rahmen bekommen hat. Diese Marktwirtschaft ist, bei allen Fehlern, der kongeniale Begleiter der politischen Freiheit.

Der Gegenentwurf einer staatlich gesteuerten Wirtschaft hat nie funktioniert, und ob China im 21. Jahrhundert das Gegenteil lehrt, ist sehr fraglich. Aber ausgerechnet jetzt hat Wirecard das System desavouiert, und das darf nicht mit einem Achselzucken quittiert werden nach dem Motto: Kommt halt vor. Vielmehr gilt es nun genau zu ergründen, warum der grosse Wirecard-Betrug so weit getragen hat, ehe er – immerhin – aufgedeckt werden konnte.

Der allgemeine Ruf nach mehr Regulierung ist wohlfeil. Es gibt davon bereits jede Menge, gerade im Finanzsektor – nur offenbar die falsche.

Auch bei den Zockereien der Banken, die zur Finanzkrise 2008 führten, wurde nachträglich diese Frage gestellt, und eine plausible Antwort lautete damals: Behörden, Politik und Öffentlichkeit haben angesichts eines komplizierten, aber zunächst erfolgreichen Geschäftsmodells nicht alles verstanden und deshalb nicht genau genug hingesehen – wird schon gut gehen. Ging aber nicht gut, und genau dieses Muster wiederholt sich nun.

Dass die Wirtschaftsprüfer über Jahre Bilanzen durchwinkten, dass die Finanzaufsicht sich zurückhielt, dass die sogenannte Bilanzpolizei mit nur kleinstem Aufwand prüfte, all das ist nicht zu entschuldigen, wohl aber zu erklären: damit, dass man das Geschäftsmodell nur erahnte und sich potenzierte kriminelle Energie nicht vorstellen mochte.

Nun kommt es darauf an, die Fehler sehr genau zu analysieren. Der allgemeine Ruf nach mehr Regulierung ist wohlfeil. Es gibt davon bereits jede Menge, gerade im Finanzsektor – nur offenbar die falsche. Wenn es gelingt, das zu korrigieren und konkrete Verbesserungen der Finanzaufsicht, der Wirtschaftsprüfung und der Unternehmenskontrolle insgesamt zu erreichen, dann kann die Marktwirtschaft die Scharte auswetzen und am Ende stärker sein als zuvor.