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Neues Kochbuch und Album
Und so kocht Anna Netrebko Borschtsch

Auf Instagram teilte die russische Sopranistin schon immer regelmässig Neuigkeiten zu ihrer drittgrößten Liebe, nach Oper und Mode: dem Essen.
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Vor 16 Jahren kochte Anna Netrebko, die grösste Sopranistin der Welt, auf dem Salzburger Domplatz in einer Wohltätigkeitsaktion für Bedürftige. Neben ihr stand mit Regisseur Martin Kusej am Herd. Auf Seite 72 ihres neuen Kochbuchs kann man sehen, wie Netrebko vor Schreck der Mund offensteht, während Kusej die überkochende Suppe vom Herd nimmt. Ach, macht doch nichts, sagt sein Gesichtsausdruck, viele Frauen können nicht kochen. Und noch viel mehr können nicht anständig singen. Aber – weit gefehlt, Maestro Kusej! Anna Netrebko kann beides.

Deshalb hat sie ihr Kochbuch auch noch vor ihrem neuen Album herausgebracht, das sonst wieder alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. «Amata dalle tenebre» heisst es – von der Finsternis geliebt. Da singt sie Düsteres von Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini und Herzzerreissendes von Peter Tschaikowsky, zum Beispiel aus der Oper «Pique Dame» die Arie: «Akh, istomilas ya gorem» – genug getrauert. Eine kräftige Suppe hilft der Seele schnell auf die Beine, und welches Rezept läge da näher als das für einen schmackhaften russischen Borschtsch?

Wichtig: ein grosser Topf – sehr gross

Wie spricht man den eigentlich aus? Ludmilla vom Restaurant «Olga» sagt auf Youtube «Borsch». Man kann sich denken, wie Netrebko «Borschtsch» ausgesprochen hätte, warm und weich und mit all diesen Erinnerungen an die kommunistische Kindheit in Krasnodar. Gleich im ersten Kapitel «Einst im Sowjetland» springt uns nach Blinitorte mit Lachs und Forellenkaviar – herrliche Früchte des Sozialismus – die Borsch entgegen.

Oder der Borsch? Ludmilla sagt «ein Borsch». Jedenfalls brauchen wir Berge von Gemüse und ordentlich Suppenfleisch. Beim Spezialisten findet sich Schwanz und Brust von der Kuh und die ganze restliche Anatomie, wir entscheiden uns nach drei Rundgängen durch den Kühlraum für die Querrippe vom Jungtier.

Wichtig: Nicht vor- und nicht nachsalzen. Das Fleisch einfach in Wasser aufkochen, sonst wird das nichts mit der Bouillon. Netrebko schreibt: in einem grossen Topf. Auf einem ihrer Familienfotos im Einleitungsteil des Buches sitzen 13 Personen um den Esstisch. Der Suppentopf sollte also etwa zehn Liter fassen. Jedenfalls mehr als fünf, wie sich zeigt, wenn zu den vorgeschriebenen drei Litern Wasser das Fleisch und Berge von Randen, Knollensellerie, Stangensellerie, Kartoffeln, Rüebli, Tomaten, Zwiebeln und Peterliwurzeln den Wasserspiegel nach und nach über die Fünf-Liter-Marke heben. Zumal Netrebko, anders als Ludmilla, nicht alles Gemüse einfach nur würfelt und man es also schnell wieder aus dem Topf nehmen könnte, wenn der überläuft.

Nein, nur ein Teil kommt in die geometrische Verarbeitung, der Weisskabis dagegen wird in hauchdünne Streifen geschnitten, Karotten und Randen gar geraspelt. Das fühlt sich gleich ganz professionell an. Dem Rezept zufolge sollen die Randen zugleich geraspelt und gewürfelt werden. Schwierig. Dagegen verschweigt es die fachgerechte Verarbeitung des Knollenselleries.

Die bodenständigste aller Operndiven: Anna Netrebko kocht.  

Was ist da los, was sagte Ludmilla? Keine leichte Entscheidung. Vielleicht den Sellerie würfeln und die Randen raspeln? Es ist nun ein bisschen wie mit dem Vibrato in höherer Lage. Raspelt man lieber den Quartvorhalt auf dem C oder das folgende H? Letztlich ist es eine Charakterfrage. Zu viel ist vulgär, zu wenig wirkt snobistisch. Wie man auch auf ihrem neuen Album hören kann: Bei der Netrebko klingt es immer anständig und unschuldig und wohldosiert.

Lyrische Weite und angetäuschte Koloratur, rassige Würze und lauernde Säure begegnen sich in stiller Harmonie.

Ihre musikalische Intensität entsteht nicht durch Lautstärke und Klangfarbenhysterie, sondern, quasi wie bei einem Atomkraftwerk, durch die gebremste, die kultivierte Explosion. Natürlich gehört dazu auch das Gruseln, es könnte doch mal ein Super-Gau stattfinden, und es bräche auf offener Bühne aus ihr heraus, und sie würde etwa als Manon – «einsam, verloren, verlassen» – alles hinschmeissen und ihren Bühnenliebhaber oder das Publikum beschimpfen.

Wird nicht passieren, keine Angst. Stattdessen wird sie mit ihrem betörend abgedunkelten Sopran und der weithin strahlenden Höhe, die grosse Gefühle trägt, ihre Weltschmerzarie vortragen: solo, perduta, abandonata. Und am Ende dieses Albums gar – «mild und leise, wie er lächelt» – in Isoldes Liebestod versinken.

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Und so ausbalanciert sie ihr klingendes Bühnengefühlsleben im Griff hat, so ausgewogen erweist sich auch das Gaumenspiel ihres Borschtsch. Lyrische Weite und angetäuschte Koloratur, rassige Würze und lauernde Säure begegnen sich in stiller Harmonie. Ja, man kann nach etwa drei Stunden würfeln und raspeln und aufkochen – «den Schaum abschöpfen» – sagen, es schmeckt wie in Russland, damals im Café Puschkin am Twerskoy Boulevard, wo die Café-Arbeiter deinen Rolls-Royce um den Block fahren, bis du fertig gegessen hast.

Das kann dauern, aber Parkplätze sind auch in Moskau rar. Zum Dessert gab es damals noch eine aufwendig vielschichtige Eisbombe. Danach sucht man im Kochbuch der Netrebko, der bodenständigsten aller Operndiven, vergebens.

Buch: Der Geschmack meines Lebens. Molden-Verlag, Wien 2021. 160 Seiten, ca. 45 Franken Album: «Amata dalle tenebre». Deutsche Grammophon, 2021.