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FDP will mehr Kooperation
Und plötzlich wird die Nato-Annäherung salonfähig

Ein Nato-Manöver in Norwegen – probt bald auch die Schweiz mit den Staaten des Verteidigungsbündnisses den Verteidigungsfall?
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Es kommt einem Tabubruch gleich: Thierry Burkart, seit gut einem halben Jahr Chef der Freisinnigen, verlangt im Interview mit dieser Redaktion eine deutlich engere Kooperation der Schweiz mit dem Verteidigungsbündnis Nato. Der Kleinstaat Schweiz sei aus technologischen und finanziellen Gründen nicht mehr in der Lage, sich in einem modernen Konflikt autonom zu verteidigen, argumentiert er. 

Gegen Mittelstrecken- oder Interkontinentalraketen etwa könne sich die Schweiz «unmöglich allein schützen». Darum, führt Burkart im Interview mit dieser Redaktion aus, «müssen wir mit anderen Staaten viel enger zusammenarbeiten: Wir müssen mit ihnen in Friedenszeiten für den Kriegsfall trainieren und unsere militärischen Systeme interoperabel ausrichten.»

Die Neutralität sei heute nun einmal anders zu verstehen «als zu einer Zeit, als noch westeuropäische Staaten gegeneinander Krieg führten». Als mögliche Vorbilder nennt der FDP-Präsident die bündnisfreien Länder Finnland und Schweden, die unter anderem an Nato-Manövern teilnehmen. 

SVP will keinen Schritt weiter

Andere Sicherheitspolitiker reagieren überrascht. SVP-Ständerat Werner Salzmann, Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission und Oberst in der Armee, betont, die Schweiz könne nicht noch näher an die Nato heranrücken, wenn sie weiterhin als neutrales Land wahrgenommen werden wolle. Die Schweiz müsse jetzt vielmehr ihre Hausaufgaben machen und «die Fähigkeitslücken in der Armee schliessen».

Ein Vergleich mit den Schweden oder Finnen ist für ihn unzulässig. «Für beide Länder ist ein Nato-Beitritt eine ernsthafte Option, für die Schweiz hingegen nicht.» Trainings im Rahmen des bereits bestehenden Nato-Friedensprojekts «Partnership for Peace» seien zwar sinnvoll. «Wenn wir darüber hinausgehen, sind wir aber rasch bei einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie und bei der Frage nach Waffenlieferungen – das geht deutlich zu weit.» 

Salzmann ist überzeugt, dass die Debatte nicht in dieser Form geführt würde, wenn die Schweizer Armee nicht «über Jahre kaputtgespart worden wäre». Die Folge sei, dass man nun offenbar selbst in bürgerlichen Kreisen teilweise keine andere Möglichkeit mehr sehe, als unter dem Dach der Nato Schutz zu suchen. Doch: «Die Unverletzlichkeit unseres Landes können wir nur selber sicherstellen.»

«Es ist die Aufgabe des Bundesrats, aufzuzeigen, an welchen Nato-Manövern die Schweiz teilnehmen könnte.»

Priska Seiler Graf (SP)

Erfreut ist hingegen SP-Sicherheitspolitikerin Priska Seiler Graf. «Es ist positiv zu werten, dass auch die FDP erkannt hat, dass die Antwort auf den Krieg in der Ukraine nur mehr Europa sein kann.» Seiler Graf stimmt mit Burkart darin überein, dass eine Annäherung an die Nato im Rahmen des Neutralitätsrechts passieren müsste – einen Beitritt lehnt die Zürcherin ebenfalls ab.

«Es ist jetzt die Aufgabe des Bundesrats, aufzuzeigen, an welchen Nato-Manövern die Schweiz teilnehmen könnte, ohne dass das Neutralitätsrecht verletzt wird, und wo sonst noch weitergehende Kooperationen möglich wären.»

Neutralitätsbericht soll Antworten liefern

ETH-Sicherheitsexperte Mauro Mantovani erklärt, dass die Schweiz bei ihrem Beitritt zur «Partnership for Peace» der Nato 1996 einen sogenannten Neutralitätsvorbehalt anbrachte und sich seither nur an Aktivitäten beteiligt hat, die nichts mit der kollektiven Verteidigung der Nato zu tun haben.

«Damit sollte nicht nur sichergestellt werden, dass die Schweiz das Neutralitätsrecht im Krieg einhalten, sondern auch ihre traditionelle Neutralitätspolitik in Friedenszeiten weiterverfolgen kann.» Mantovani betont, dass diese erste Annäherung an die Nato nach dem Ende des Kalten Krieges wesentlich durch zwei bürgerliche Politiker vorangetrieben wurde: die Bundesräte Kaspar Villiger (FDP) und Adolf Ogi (SVP).

Die Positionierung von FDP-Präsident Burkart stelle nun eine Abweichung der bisherigen Linie der Bürgerlichen dar. Es sei vorstellbar, dass auch die offizielle Schweiz ihre Haltung dazu demnächst überdenke. Denn im März hat Aussenminister Ignazio Cassis seine Verwaltung beauftragt, einen Bericht zur Schweizer Neutralität zu verfassen. 

Mantovani erwartet, dass in diesem Rahmen neben wirtschaftlichen auch militärische Fragestellungen erörtert werden, wie etwa diejenige intensivierter Zusammenarbeit mit der Nato im Hinblick auf den kollektiven Verteidigungsfall. «Dies wäre ein bedeutender Politikwandel, wobei der Widerstand des konservativen Lagers gegenüber einer Neuinterpretation der Neutralität nicht unterschätzt werden darf», so Mantovani. Neben der SVP dürften sich auch Teile des linken Lagers gegen jegliche Annäherung an das Verteidigungsbündnis wehren. 

Zumindest ein Teil der Schweizer Bevölkerung stünde einer Annäherung der Schweiz an die Nato durchaus positiv gegenüber. Laut der Studie «Sicherheit 2021» der ETH-Militärakademie ist die Bereitschaft, näher mit dem Verteidigungsbündnis zusammenzuarbeiten, 2021 signifikant gestiegen – um 9 Prozentpunkte auf 45 Prozent. Gleichzeitig wollen 96 Prozent der Befragten an der Schweizer Neutralität festhalten (lesen Sie dazu auch das Interview mit dem ETH-Militärsoziologen). Zahlen dazu, wie der Ukraine-Krieg diese Einstellungen beeinflusst, liegen noch nicht vor.