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Überraschung am Bundesstrafgericht
Umstrittener Richter muss einen grossen Fall abgeben

Olivier Thormann, hier noch in einer Aufnahme als Untersuchungsrichter im Kanton Freiburg, ist heute Bundesstrafrichter. 
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Von den meisten der 19 Bundesstrafrichterinnen und -richter kennt kaum jemand die Namen. Olivier Thormann macht seit geraumer Zeit immer wieder Schlagzeilen – meist, weil ihn seine Vergangenheit als Fussball-Chefermittler der Bundesanwaltschaft einholt.

Thormann hatte an einem der Geheimtreffen des damaligen Bundesanwalts Michael Lauber mit Fifa-Präsident Gianni Infantino teilgenommen. Nun läuft deswegen gegen ihn ein Strafverfahren. Für alle Involvierten gilt die Unschuldsvermutung.

In vielen Fällen im Ausstand

Thormann hat aber auch ein Problem, das mit seiner neuen Tätigkeit zusammenhängt. Er ist seit 2020 Präsident der neuen Berufungskammer des Bundesstrafgerichts. Dort muss er in zahlreichen Fällen in den Ausstand treten, weil er mit den Verfahren bereits auf Seite der Anklagebehörde zu tun hatte. Thormann war jahrelang Abteilungsleiter für Wirtschaftskriminalität bei der Bundesanwaltschaft und damit der Anklagebehörde. Damit wäre er als urteilender Richter am Bundesstrafgericht in vielen Fällen befangen. 

Umso überraschender war es für Beteiligte, als Oliver Thormann als Vorsitzender Berufungsrichter in einem der grössten Wirtschaftskriminalitätsfälle der jüngeren Schweizer Rechtsgeschichte eingeteilt wurde: Im Korruptionsverfahren musste er die Beschwerde eines ehemaligen Managers der tschechischen Kohlemine MUS beurteilen. Thormann war Abteilungsleiter für Wirtschaftskriminalität der Bundesanwaltschaft in der Zentrale in Bern gewesen, während die Zweigstelle Lausanne den MUS-Fall untersucht hatte. 

Im Februar 2022 konnte Thormann über die Anklage der Ex-Kollegen urteilen. Er bestätigte als Mitglied eines dreiköpfigen Spruchkörpers im Wesentlichen das Urteil der Vorinstanz, das weitgehend im Sinne seines Ex-Arbeitgebers ausgefallen war. Der Verurteilte aber wehrte sich weiter und hat kürzlich ein Revisionsbegehren eingereicht. Wird diesem Begehren stattgegeben, müsste einer der grössten Geldwäschereifälle entweder eingestellt, neu aufgerollt und richterlich neu beurteilt oder aber an die Ex-Kollegen Thormanns bei der Bundesanwaltschaft zurückgewiesen werden.

In seinem Revisionsbegehren verweist der verurteilte Ex-Manager auf  1300 Seiten neue Regierungsakten, die in Tschechien bisher geheim und unter Verschluss waren. Sie sollen beweisen, dass der Betroffene bei der Privatisierung der Kohlemine kurz nach der Wende die tschechische Regierung nicht betrogen hat. Doch genau dafür wurde der Ex-Manager verurteilt.

Dass Richter sich quasi selber absetzen, nachdem sie einen Fall übernommen haben, ist sehr ungewöhnlich.

Und siehe da: Der Fall landete wiederum beim ehemaligen Wirtschaftskriminalitätschef der Anklagebehörde: beim heutigen Richter Thormann, der bereits im Beschwerdeverfahren gegen den Ex-Manager entschieden hatte.

Das aber war nicht korrekt. Denn in der Strafprozessordnung heisst es: «Mitglieder des Berufungsgerichts können im gleichen Fall nicht als Revisionsrichterinnen und Revisionsrichter tätig sein.» Diese Bestimmungen sollen sicherstellen, dass jedermann die Möglichkeit bekommt, dass sein Fall mehrfach unvoreingenommen beurteilt wird.

Würde Thormann als Vorsitzender der Berufungskammer gegen diese Bestimmung verstossen, könnte der Ex-Manager am Bundesgericht in Lausanne klagen. Als die Anwälte des Ex-Managers Druck machten, entschied Thormann, zusammen mit seinen ebenfalls vorbelasteten Richterkollegen, in den Ausstand zu treten. Dass Richter sich quasi selber absetzen, nachdem sie einen Fall übernommen haben, ist ein sehr ungewöhnlicher Schritt.

Auf Anfrage dieser Zeitung rechtfertigte das Bundesstrafgericht in Bellinzona den wiederholten Einsatz des Spruchkörpers um Thormann mit inhaltlichen Gründen. Die Tatbestände seien beim Beschwerdefall und beim Revisionsbegehren nicht dieselben. Die gleiche Zusammensetzung im Berufungsverfahren wie im Revisionsverfahren hätten auf eine effizientere Behandlung des eingereichten Antrags abgezielt, schreibt eine Sprecherin.

Staatsanwalt, Richter, Beschuldigter

Thormann lernt im Moment gerade alle Rollen in einem Strafverfahren, die er noch nicht aus eigener Erfahrung kannte, aus der Innenperspektive kennen: Er, der langjährige Staatsanwalt und jetzige Richter, musste vor zwei Wochen als Zeuge sowie als Auskunftsperson vor dem eigenen Bundesstrafgericht im Fifa-Fall um Sepp Blatter und Michel Platini aussagen. Für kommende Woche ist er, nun als Beschuldigter, im Geheimtreffen-Strafverfahren zur Einvernahme vorgeladen. Thormann hat als damaliger Fussball-Chefermittler der Bundesanwaltschaft an einem der nicht protokollierten Treffen mit der Fifa-Spitze teilgenommen. Alle Beteiligten haben bislang stets ein Fehlverhalten bestritten. (Lesen Sie unseren Kommentar zum Fall: Es ist zum Fremdschämen)

Zudem hatte sich Thormann zu Nachtessen mit dem Chefjuristen des Weltfussballverbands getroffen – bei denen Thormann gemäss einem Sonderermittler zwar die erforderliche Distanz und Unparteilichkeit vermissen liess, aber sich nicht strafbar machte. 

Thormann verliess die Bundesanwaltschaft – wobei die genauen Gründe nie bekannt wurden. Das Parlament wählte ihn kurz darauf zum Bundesstrafrichter. Trotz des laufenden Strafverfahrens lässt Thormann zurzeit seine Funktion nicht ruhen. Beim Bundesstrafgericht und in der Gerichtskommission, die Thormann zur Wahl vorgeschlagen hatte, sorgte das für Diskussionen.