Abstimmung vom 3. MärzDie eigentliche Hürde für die 13. AHV-Rente ist das Ständemehr
71 Prozent befürworten laut Umfrage einen Ausbau der AHV. Doch ein Volks-Ja wird an der Urne nicht reichen. Der Abstimmungskampf fokussiert daher auf die Schweizer «Swing-States».

Die Initiative für eine 13. AHV-Rente kommt bei den Stimmberechtigten gut an. Überraschend ist nicht nur die konstant hohe Zustimmung, sondern auch der geringe Anteil an Unentschlossenen in der jüngsten Tamedia-Umfrage. 40 Tage vor der Abstimmung scheinen die Meinungen gemacht.
Trotzdem dürfte der Ja-Anteil von aktuell 71 Prozent in den kommenden Wochen abnehmen. Denn während die Gewerkschaften schon seit Monaten ihre Argumente für den AHV-Ausbau verbreiten, wird ab der kommenden Woche die millionenschwere Nein-Kampagne der Gegner ausgerollt.
Von sinkenden Zustimmungswerten geht auch der Politologe Fabio Wasserfallen vom Umfrageinstitut Leewas aus. Selbst wenn bei der Tamedia-Umfrage nur wenige keine gefestigte Meinung hatten, könnten manche noch ins Nein-Lager wechseln. «Sonst wäre die Abstimmung ja bereits gelaufen», sagt Wasserfallen.
Ein Beispiel dafür ist die Abstimmung zur AHV-plus-Initiative von 2016, die eine Erhöhung der Renten um 10 Prozent forderte. 40 Tage vor der Abstimmung resultierte bei der Umfrage noch eine Ja-Mehrheit von 60 Prozent, am Schluss wurde das Gewerkschaftsanliegen mit fast 60 Prozent abgelehnt.
Auf Solothurn, Baselland und Glarus kommt es an
Diesmal ist die Ausgangslage für die Gewerkschaften zwar besser. Selbst wenn es bis zum 3. März zu einer ähnlichen Erosion der Ja-Stimmen kommt wie 2016, könnte immer noch ein knappes Ja resultieren. Doch die grössere Hürde ist für die Initianten das Ständemehr, das es für Volksinitiativen braucht.
Dafür müssen sie neben den sechs Westschweizer Kantonen und dem Tessin, in denen ein Ja wahrscheinlich scheint, mindestens fünf Stände in der Deutschschweiz gewinnen. Unverzichtbar ist eine Ja-Mehrheit in den Kantonen Zürich, Bern und Basel mit ihren links dominierten Städten. Zusätzlich müssen mindestens zwei Stände mit Agglomerationen und ländlichen Regionen für die 13. AHV-Rente stimmen.
Entscheidend sein dürften Kantone wie Solothurn, Basel-Landschaft, Aargau, Glarus oder Schaffhausen, sagt Hans-Peter Schaub, Politologe an der Universität Bern. Ein schwieriges Terrain für die Initianten seien die Zentral- und Ostschweizer Kantone, die in der Regel für einen schlanken Staat stimmten und gegenüber Sozialvorlagen skeptisch seien.
Den Gewerkschaften ist die hohe Hürde des Ständemehrs bewusst. Sie sehen allerdings bessere Chancen im Vergleich zu früheren linken Initiativen. «Ermutigend ist, dass die Tamedia-Umfrage keinen Stadt-Land-Graben zeigt», sagt SGB-Kampagnenleiter Urban Hodel. Dies beweise, dass der Kaufkraftverlust auch die Bevölkerung auf dem Land stark beschäftige. Gerade für bäuerliche und gewerbliche Kreise sei die AHV besonders wichtig.
Die Gegner könnten ihren Abstimmungskampf nun angesichts der Popularität der 13. AHV-Rente vor allem auf das Scheitern am Ständemehr ausrichten und ihre Kampagne auf die Schlüsselkantone konzentrieren. «Dafür ist es zu früh», sagt allerdings SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. «Wir wollen der Bevölkerung in den kommenden Wochen generell aufzeigen, warum diese Initiative falsch ist.»
Die SVP, welche die Kampagnenführung im Nein-Lager hat, setzt vor allem auf das Ausländerargument. Schweizer Arbeitnehmende müssten mit ihren Beiträgen eine zusätzliche Rente für eine Million AHV-Bezüger im Ausland finanzieren, warnt Aeschi.
Der Extremfall: 55,4 Prozent Ja und trotzdem gescheitert
Letztmals scheiterte mit der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) im November 2020 ein Volksbegehren am Ständemehr. Allerdings wurde das Volksmehr mit 50,7 Prozent der Stimmen bloss knapp erreicht. Von den 12 erforderlichen Standesstimmen erreichte die KVI nur deren 8,5. Insbesondere in der Ost- und der Zentralschweiz hatte die Initiative keine Chance.
Andere Initiativen erhielten sogar noch mehr Stimmen und scheiterten am Ständemehr. 2013 erreichte die CVP-Initiative für einen Verfassungsartikel über die Familienpolitik 54,3 Ja-Stimmen, jedoch lehnten ihn 13 der 23 Stände ab. Sogar 55,4 Prozent Ja-Anteil erzielte 1970 ein Verfassungsartikel zur Änderung der Finanzordnung des Bundes – trotzdem scheiterte die Vorlage am Ständemehr (13:10). Diese Abstimmung gilt als Referenz dafür, mit welchem Ja-Anteil das Ständemehr praktisch sicher ist. Mit mindestens 56 Prozent Ja-Stimmen sei ein Scheitern am Ständemehr sehr unwahrscheinlich, sagt Schaub.
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