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US-Vize im Clinch
Um 3.41 Uhr nachts wurde Mike Pence zum «Verräter»

Erstmals stellt er sich gegen Donald Trump: US-Vizepräsident Mike Pence neben Nancy Pelosi, demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. 
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In der Nacht zu vergangenem Donnerstag kommt um 3.41 Uhr Washingtoner Zeit der Moment, der Mike Pence zum Verräter macht. Zumindest in den Augen von US-Präsident Donald Trump und seinen Anhängern.

Der Vize-Präsident der Vereinigten Staaten steht nach einem langen und verstörenden Tag hinter seinem Pult im Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses und kommt seiner letzten Amtspflicht nach. Er liest in der gemeinsamen Sitzung von Abgeordnetenhaus und Senat die Zahlen vor, die das Ende seiner Amtszeit bedeuten: 306 Stimmen aus dem Wahlleutegremium für Biden und Harris. Für Trump und ihn 232 Stimmen.

Letzte Chance auf den grossen Bruch

Sein Ton ist fest, nüchtern, technisch. Ein Sprechroboter hätte die Aufgabe nicht präziser ausführen können. Pence scheint jeden Eindruck vermeiden zu wollen, irgendeinen Einfluss auf das Geschehen zu haben.

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Tausende Trump-Anhänger hatten anderes von ihm erwartet. Sie hatten am Nachmittag zuvor das Capitol gestürmt, um den Zertifizierungsprozess zu verhindern. Wütende Horden waren das, die marodierend durch die Gänge zogen, das Heiligtum der US-amerikanischen Demokratie befleckten, Büros verwüsteten. Schüsse fielen. Fünf Menschen hat dieser Tag das Leben gekostet. Der Sturm auf das Capitol wird in die Geschichte der USA eingehen

Es war Trump, der in einer Rede vor dem Weissen Haus die Menge aufgestachelt hat, zum Capitol zu ziehen. Darum wollen ihn die Demokraten wegen «Anstiftung zu einem Aufstand» spätestens am Mittwoch impeachen, also vor dem Senat anklagen.

Pence geben die Demokraten vorher noch die Chance, selbst aktiv zu werden. Per Abstimmung wollen sie ihn an diesem Dienstag im Abgeordnetenhaus auffordern, innerhalb von 24 Stunden den 25. Zusatzartikel zur Verfassung zu aktivieren. Was bedeutet, dass er in der Zeit das Kabinett zusammenrufen müsste, das dann mehrheitlich Trump für amtsunfähig erklären soll.

Im Weissen Haus soll Trump die Fernsehbilder des Aufstands mit einer «gewissen Genugtuung» verfolgt haben.

Mike Pence hätte das alles vielleicht verhindern können. Etwa, als Trump im Frühjahr 2017 FBI-Chef James Comey feuerte, in der Hoffnung, damit die Russland-Ermittlungen zu beenden. Damals soll der stellvertretende Justizminister Rod Rosenstein intern die Frage diskutiert haben, ob das ein Grund sein könne, Trump aus dem Amt zu entfernen. Oder nachdem herauskam, dass Trump den ukrainischen Präsidenten genötigt hatte, gegen seinen möglichen Herausforderer Joe Biden zu ermitteln. Dieser, wie Trump bis heute behauptet, «perfekte» Anruf, führte zum ersten Impeachment gegen Trump.

In beiden Fällen ist es Pence nicht in den Sinn gekommen, zu handeln. Er hätte damit wohl auch seine eigene politische Zukunft begraben. Pence werden Ambitionen nachgesagt, selbst eines Tages als gewählter Präsident ins Weisse Haus einzuziehen. Das Vizepräsidentenamt sollte für ihn das Sprungbrett ins Oval Office sein.

Und so hielt Pence zu Trump. Von dem Tag an, als Trump ihn am 16. Juli 2016 formal als seinen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten nominierte. Bis zu diesem 6. Januar 2021, als alles in sich zusammenbrach, was von dieser Präsidentschaft noch übriggeblieben sein mag.

Vergangenen Dienstag, als Trump noch Zugang zu seinem Twitter-Konto hatte, postete er, dass «wir die Präsidentschaft gewinnen», wenn Pence ihn statt Biden zum Sieger der Wahl ausruft. Pence stand endgültig vor der Frage, deren Beantwortung er unbedingt vermeiden wollte: Sollte er sich zu einem Komplizen von Trump machen in dessen Bestreben, ein rechtsgültiges Wahlergebnis zu kippen? Oder sich seinen verfassungsmässigen Pflichten unterwerfen?

Der Moment der Wahrheit: Mike Pence betritt die House Chamber des Capitols. 

Er entschied sich für die Verfassung. Im letzten Moment. Am Mittwochmorgen erst liess er eine Erklärung veröffentlichen, in der er sich als ausserstande beschreibt, eine Verfassung zu verletzen, der er im Namen Gottes seine Treue geschworen habe.

Trump soll die Wut gepackt haben. Er twitterte, Pence «fehle der Mut», das Nötige zu tun. Kurz danach trat Trump vor dem Weissen Haus vor Zehntausenden seiner Anhänger auf und forderte von ihnen, zum Capitol zu marschieren. Sie sollten dort den «Schwachen» unter den Republikanern zeigen, was der rechte Weg sei.

«Hängt Mike Pence!», rief der Mob

Was der rechte Weg für Pence sein sollte, da hatten einige von Trumps Anhängern sehr konkrete Vorstellungen: direkt in die Hölle. Wenig später erschallten vor dem Capitol die Rufe: «Hängt Mike Pence! Hängt Mike Pence!» Aufständische errichteten vor dem Capitol einen Galgen für Pence. Nur symbolisch, wie es schien.

Ein Pressefotograf der Agentur Reuters aber berichtet später, er habe mindestens drei Aufständische sagen gehört, sie suchten den «Verräter» Pence, um ihn im Capitol aufzuknüpfen. Und im Weissen Haus soll Trump den Quellen von Jonathan Swan, einem Reporter der Nachrichtenseite Axios, zufolge die Fernsehbilder von dem Aufstand mit einer «gewissen Genugtuung» verfolgt haben.

Trump und Pence, das war immer ein Zweckbündnis. Eines, in dem sich Pence von Trump benutzen liess in der Hoffnung, sich eines Tages Trump zu Nutzen machen zu können. Eine Hoffnung, die Pence am 6. Januar begraben musste.

Der langjährige Senator James Inhofe aus Oklahoma sagte seiner Heimatzeitung Tulsa World, er habe noch am Abend des Aufstands lange mit seinem alten Freund Pence gesprochen. Er habe Pence nie so verärgert gesehen. An einer Stelle habe der Vizepräsident ihm über Trump gesagt: «Nach allem, was ich für ihn getan habe ...»

Die Enttäuschung mag echt sein. Aber Pence hätte all das wohl ahnen können. Wenn er gewollt hätte.

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