Hashtag #sitlikeagirlUkrainerinnen lassen sich in Macho-Pose fotografieren
Ernster Blick, burschikose Körperhaltung – Frauen im kriegsgebeutelten Land interpretieren die breitbeinige Pose gerade neu. Was dahintersteckt.
In den sozialen Medien teilen Ukrainerinnen in diesen Tagen Fotos von sich, wie sie in breitbeiniger Pose dasitzen, auf einem Treppenabsatz oder einer Parkbank, leicht vornübergebeugt und mit ernstem Blick in die Kamera blicken. Hashtag #sitlikeagirl.
Sie ahmen damit das Vogue-Coverbild nach, das Starfotografin Annie Leibovitz kürzlich von der ukrainischen Präsidentengattin Olena Selenska aufgenommen hat. Die Aufnahme ist inmitten des Kriegsgeschehens in Kiew entstanden, im Hintergrund sind Sandsäcke zu sehen (lesen Sie hier mehr dazu).
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Klassische Macho-Ästhetik, sprich breitbeinig dasitzende Frauen, und darunter der Hashtag #sitlikeagirl? Passt natürlich auf den ersten Blick nicht zusammen, aber genau darum geht es. Die Frauen, die diese Fotos auf Instagram und Tiktok hochladen, wollen #sitlikeagirl als feministisches Statement verstanden haben: Sie machen sich jene – im wahrsten Sinn des Wortes – breitbeinige Attitüde zu eigen, mit der manche Männer Platz im öffentlichen Raum beanspruchen. Etwa wenn sie im Zug oder im Bus so raumgreifend dasitzen, dass sie eineinhalb Sitze ausfüllen; «Manspreading» nennt man im Jargon dieses Verhalten.
«Macht Platz!» sollen nun die im Netz geteilten Bilder der grimmig dasitzenden Ukrainerinnen vermitteln. Soll uns niemand sagen, wie eine Frau dazusitzen hat. Auch deshalb, weil die ukrainische First Lady in ihrer Heimat für ihren angeblich zu burschikosen Auftritt in der Fotostrecke der «Vogue» kritisiert wurde. (Interessanterweise ging in Westeuropa die mediale Kritik genau in die entgegengesetzte Richtung: zu viel Glamour vor Elendskulisse, so der Tenor.)
Im entfernten Sinne ahmen die Ukrainerinnen damit auch eine Körperhaltung nach, die manchmal auch «Russenhocke» genannt wird: In dieser kauert man breitbeinig auf dem Boden, sodass der Hintern knapp über dem Boden schwebt, die Arme liegen lässig über die Knie ausgebreitet.
Ihren Ursprung soll die Hocke in russischen Gefängnissen haben, wo die Inhaftierten sich nicht auf den Boden setzen dürfen oder wollen (weil der zu schmutzig ist). Dem Klischee gemäss sind es vor allem Männer aus sozial schwachen Schichten, die in dieser Pose auf der Strasse herumhängen. Man kann #sitlikeagirl also auch dahingehend interpretieren, dass die Ukrainerinnen eine Verlierer-Pose neu besetzen – als fortschrittliche, selbstbewusste Attitüde.
Und nicht zuletzt ist der Hashtag wohl auch ein Ruf nach Aufmerksamkeit: Wenn die westliche Welt schon auf fatale Weise gegenüber den Schreckensmeldungen aus der Ukraine abstumpft, so will man eben auf andere Weise ins Bewusstsein rufen: Wir sind noch da, vergesst uns nicht.
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