Karte zur neuen OffensiveSo weit sind die Ukrainer schon in russisches Gebiet vorgedrungen
Innert kurzer Zeit haben sich ukrainische Truppen in der russischen Grenzregion Kursk festgesetzt und mehrere Ortschaften erobert. Wie ist die aktuelle Lage? Eine Übersicht.
Der Angriff kam völlig überraschend – zumindest für den Kreml und die russische Militärführung. Anders ist kaum zu erklären, wie ukrainische Einheiten, die am Dienstag die Grenze zum Nachbarland überschritten, mittlerweile schon bis zu 35 Kilometer in die russische Grenzregion Kursk vordringen konnten. Das ist innerhalb weniger Tage und angesichts des von Abnutzung geprägten Krieges eine gewaltige Distanz.
In der Vergangenheit kam es schon einige Male zu Gefechten in der Grenzregion. Zu den Aktionen bekannten sich aber immer Freiwilligenbataillone, die aus Russen bestehen, die aufseiten der Ukraine kämpfen. Jetzt ist zum ersten Mal in diesem Krieg eine grössere Zahl regulärer ukrainischer Truppen auf russisches Gebiet vorgedrungen. Von mindestens zwei Brigaden, Flugzeugen und Artillerie ist die Rede.
Am Dienstag durchbrachen die Ukrainer an mehreren Stellen die offensichtlich nur schwach bewachte Grenze, überwanden mehrere Minenfelder und auch eine zweite russische Verteidigungslinie ohne grosse Probleme. Videos zeigen den Einsatz von schwerem Pioniergerät, das nur dann eingesetzt wird, wenn man vorhat, länger in einem Gebiet zu bleiben.
Den Ukrainern ist es gelungen, sich auf strategisch wichtigen Erhebungen in der Region Kursk festzusetzen. Laut dem amerikanischen Institut für Kriegsstudien (Institute for the Study of War, ISW) kontrollieren die ukrainischen Truppen zwar mit Sicherheit nicht das gesamte Gebiet, in das sie vorgestossen sind. Aber sie haben mehrere Dörfer und Kleinstädte eingenommen, unter anderem Sudscha. Dort befindet sich eine wichtige russischen Gastransitstation, von der aus Gas Richtung Westen transportiert wird.
Das AKW Kursk ist nur noch wenige Kilometer entfernt
Das ISW stützt sich unter anderem auf geolokalisiertes Bildmaterial und Einschätzungen von russischen Militärbloggern. Diesen zufolge rücken die Ukrainer in verschiedene Richtungen vor, etwa in Richtung Korenewo und bei Snagost und Miljutino. Unweit des letztgenannten Ortes liegt das Atomkraftwerk Kursk. Aufgrund des ukrainischen Vorstosses hat die russische Nationalgarde dessen Schutz verstärkt. Zahlreiche Dörfer in der Region wurden evakuiert, und wichtige Zugverbindungen sind unterbrochen.
Inzwischen gibt es auch verifizierte Bilder, welche die Gefangennahme von Russen zeigen. Zudem kam es am Freitag nach einem mutmasslich ukrainischen Artillerieschlag auf eine russische Militärkolonne östlich der Kreisstadt Rylsk zu schweren Bränden. Über soziale Netzwerke verbreiteten Anwohner Aufnahmen von brennender Militärtechnik und teils ausgebrannten Militärlastern. Unabhängige Bestätigungen dafür liegen noch nicht vor.
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Für den Kreml ist das alles ein Debakel. «Der ukrainische Vormarsch ist das Ergebnis eines völligen Versagens der russischen Aufklärungsarbeit an dieser bis jetzt Nebenfront des Krieges», sagte der österreichische Oberst und Ukraine-Experte Markus Reisner. Nun will der Kreml Verstärkung in das Gebiet schicken. Kolonnen mit Mehrfachraketenwerfern, Artillerie und Panzern würden in die Region verlegt, meldete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Unterdessen haben die Behörden den Ausnahmezustand in der Region zu einem nationalen Notstand hochgestuft.
Weiter unklar ist das Ziel dieses Angriffs. Ist es ein Ablenkungsmanöver der Ukrainer, damit Russland Truppen aus dem Donbass abziehen muss, wo es aktuell auf dem Vormarsch ist? Wollen die ukrainischen Angreifer das nahe gelegene Atomkraftwerk besetzen? Oder soll einfach so viel Territorium wie möglich besetzt werden, um damit dann über die von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine zu verhandeln? Es kursieren verschiedene Theorien. Sicher ist: Der Ukraine ist einmal mehr ein überraschender Erfolg gegen den militärisch übermächtigen Nachbarn gelungen.
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