Massive Luftangriffe auf die UkrainePutin setzt nun die aufgesparten Raketen ein
Russland hat Kiew, Charkiw, Lwiw und andere ukrainische Städte bombardiert. Die Luftschläge galten der zivilen Infrastruktur. Der Kreml will der Ukraine Heizung und Licht abstellen.
Nur selten schrecken Beobachter noch auf, angesichts der schon fast zur Routine werdenden Meldungen über neue russische Angriffe auf die Ukraine. So etwa am Freitag, als Wladimir Putin gleich 158 Raketen, Marschflugkörper und bombenbestückte Drohnen auf die Ukraine abfeuern liess.
Die Angriffe waren gemäss dem ukrainischen Luftwaffenkommandanten die umfangreichsten seit Beginn des russischen Überfalls am 24. Februar 2022. Die Ukraine hat offenbar 114 von 158 Raketen und Drohnen abgeschossen. Doch westliche Luftabwehrsysteme können weder heute noch auf absehbare Zeit die ganze Ukraine schützen.
Endlose Liste russischer Kriegsverbrechen
Entlarvend war ein Eingeständnis des ukrainischen Luftwaffensprechers, von über 300 mit vierfacher Schallgeschwindigkeit fliegenden russischen X-22-Marschflugkörpern sei bisher nicht einer abgeschossen worden. Allein am Freitag haben 44 russische Raketen und Drohnen ihre Ziele getroffen, die schier endlose Liste russischer Kriegsverbrechen gegen ukrainische Zivilisten weiter verlängert.
Der Angriff vom Freitagmorgen zeigt einmal mehr, mit welcher Brutalität und Verachtung für das angebliche Brudervolk Putin seinen Krieg fortführt. Mindestens zwölf Menschen sind getötet und Dutzende verletzt worden. Präsident Wolodimir Selenski zufolge setzte Russland «alles ein, was es in seinem Arsenal hat»: Kinschal-Überschallraketen, S-300-Raketen, Drohnen, von Tupolew-95MS-Langstreckenbombern abgefeuerte Marschflugkörper vom Typ X-101 und X-505.
Selenski sprach von 114 Raketen und Drohnen, die Luftwaffe präzisierte, es seien 158 Raketen und Drohnen abgefeuert und 114 davon abgefangen worden. Luftwaffenkommandant Mikola Oleschtschuk zufolge waren es die massivsten Luftangriffe seit Beginn der Invasion am 24. Februar 2022.
Angriffe im ganzen Land
Es begann kurz vor Mitternacht mit Drohnenangriffen auf die Hafenstadt Odessa. Dort starb eine Frau. In der Nacht warnte die ukrainische Luftwaffe vor anfliegenden Drohnen auf etliche Regionen und teilte zudem mit, vom Militärflughafen Olenja in der russischen Region Murmansk seien neun Tu-95-Langstreckenbomber gestartet.
Von Charkiw im Osten über Kiew bis nach Lwiw im Westen der Ukraine meldeten Bürgermeister und Militärgouverneure in der Nacht Angriffe und Explosionen. In Charkiw schlugen dem Militärgouverneur zufolge Bomben an mindestens 20 Stellen ein, darunter Warenhäuser und eine medizinische Einrichtung. In Dnipro kamen Militärgouverneur Serhi Lisak zufolge mindestens fünf Menschen ums Leben, als auch ein Einkaufszentrum und eine Wöchnerinnenstation getroffen wurden.
Auch Kiew wurde massiv angegriffen. Zwar schoss die Luftabwehr angeblich mehr als 30 Raketen und Drohnen ab. Gleichwohl wurden Wohnhäuser, Warenlager, ein sich noch im Bau befindendes Bürohaus und eine Metrostation schwer beschädigt. In einem Warenlager im Stadtteil Posilski fingen 3000 Quadratmeter Feuer. Bürgermeister Witali Klitschko zufolge starb mindestens ein Kiewer unter den Trümmern einer durch Raketentrümmer beschädigten Lagerhalle im Stadtteil Schewtschenkiw. Auch westliche Regionen und Städte meldeten Explosionen. In Lwiw wurde laut Bürgermeister und Militärgouverneur ein kritisches Infrastrukturobjekt ebenso getroffen wie drei Schulen und ein Kindergarten.
Stoltenberg hat Angriffe erwartet
Die Angriffe kommen nicht überraschend. Schon im Herbst warnte Kiew, Russland habe Hunderte Raketen und Marschflugkörper sowie Drohnen aufgespart, um die Ukraine im Winter mit massiven Wellen gleichzeitig eintreffender Raketen, Marschflugkörper, Gleitbomben und Drohnen anzugreifen und so die Luftabwehr zu überwältigen. «Wir werden neue Versuche sehen, das ukrainische Stromnetz und die Energieinfrastruktur zu treffen, um zu versuchen, die Ukraine im Dunkeln und Kalten zu lassen», sagte auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 29. November.
Präsident Selenski dankte am Donnerstag den USA für eine neue Militärlieferung, die 54. seit Beginn des russischen Überfalls. Washington schicke unter anderem weitere Raketen für die Luftabwehr und das Artilleriesystem Himars sowie Artilleriegranaten. «Alles, was wir brauchen. Alles, was spürbar hilft.»
Flugabwehr geht die Munition aus
So sind auch die Patriot-Luftabwehrsysteme aus US-Produktion hoch effektiv. Das Gleiche gilt für das US-System Nasams oder das von der deutschen Firma Diehl entwickelte Iris-T-Luftabwehrsystem. Dieses arbeite «perfekt und liefere ein 100-Prozent-Resultat: Eine Rakete trifft ein Ziel», wie der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Juri Ihnat, in einem Interview sagte.
Allerdings verfügt die Ukraine nur über wenige dieser Systeme und hat Ihnat zufolge schon «eine sehr grosse Zahl an Raketen verbraucht». Zudem setzt Russland laut dem Luftwaffensprecher auch – wie in der Nacht zum Freitag – mit vierfacher Überschallgeschwindigkeit fliegende X-22-Marschflugraketen ein: Von über 300 dieser seit Invasionsbeginn auf sein Land abgeschossenen Raketen habe die Ukraine nicht eine abschiessen können, so Ihnat am Freitag.
Das Rückgrat der ukrainischen Luftverteidigung vor allem gegen Drohnen sind die mittlerweile 61 allein von Deutschland an Kiew gelieferten Gepard-Flugabwehrpanzer. Deutschland übergab der Ukraine in der Woche vor Weihnachten weitere gut 30’000 Schuss für die Geparde. Zudem sollen die USA Jordanien weitere 60 Geparde abgekauft haben, die Jordanien zuvor in den Niederlanden gekauft hatte. Ende November waren diese zusätzlichen Flakpanzer allerdings noch nicht in der Ukraine eingetroffen.
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