Nachbarland der UkraineMoldau steht auf der Kippe
Präsidentin Sandu hat den EU-Beitritt auf ihre Fahne geschrieben, doch ihre Wiederwahl im Herbst ist fraglich. Und Moskaus Einfluss ist gross.
Der Termin für die Präsidentschaftswahl in der Republik Moldau liegt im Spätherbst 2024. Und doch hat Maia Sandu, die amtierende Präsidentin, bereits vor einigen Wochen, am Jahrestag ihres Amtsantritts vor vier Jahren, angekündigt, dass sie für eine zweite Amtszeit kandidieren werde.
Kurz zuvor hatte sich die EU dafür ausgesprochen, Beitrittsverhandlungen mit der kleinen Republik aufzunehmen, die nur wenige Kilometer nordwestlich vom Schwarzen Meer entfernt liegt, eingezwängt zwischen Rumänien und der Ukraine. Weshalb Sandu parallel zu ihrer erneuten Kandidatur für den Herbst auch eine Volksabstimmung über den Beitritt zur Europäischen Union ankündigte.
Angesichts mässiger Umfragewerte für ihre Partei, die PAS (auf Deutsch Partei Aktion und Solidarität), einer massiven Desinformationskampagne aus Russland und wachsender Spannungen mit der Separatistenregion Transnistrien braucht sie jedes Argument für ihren proeuropäischen Kurs – und für ihre Person.
Sandu gilt als gute Taktikerin, hart im Nehmen
Wer Sandu abwählt, so ihre Botschaft, muss sich trotzdem für oder gegen Europa entscheiden; ein positives Referendum würde demnach auch einen potenziellen prorussischen Nachfolger binden. Und nur ein Ja zur EU kann in ihren Augen verhindern, dass Moskau die Demokratie in der Republik Moldau untergräbt oder das Land gar in einer Art Verlängerung des Ukraine-Feldzugs annektiert.
Sandu, die in den USA studierte und bei der Weltbank arbeitete, ist eine gute Taktikerin und hart im Nehmen; schon viele männliche Konkurrenten haben die mädchenhaft wirkende Frau unterschätzt. Sie hat sich, mit viel Powerplay, in den vergangenen zehn Jahren in der von Intrigen, Korruption und Vetternwirtschaft geprägten moldauischen Politik hochgearbeitet. Wurde von einer Parteigründerin und gescheiterten Ministerpräsidentenkandidatin zur Regierungschefin und dann Präsidentin – und hat sich, trotz allen Widerstands von prorussischen Sozialisten und von Oligarchen, die sich als Politiker tarnten, an der Staatsspitze gehalten.
Bei den Kommunalwahlen im November hatte die PAS zwar nicht schlecht abgeschnitten. Aber grössere Städte, allen voran die Hauptstadt Chisinau, fielen an die prorussische Konkurrenz.
Russland arbeitet tatkräftig an Destabilisierung der Republik
Eine Abwahl Sandus im Herbst wäre möglich. Zumal Russland tatkräftig an einer Destabilisierung Moldaus arbeitet: durch Desinformation, das Einschleusen von Provokateuren, durch finanzielle Unterstützung von prorussischen Parteien und Medien – und durch öffentliche Äusserungen wie jene der russischen Aussenamtssprecherin Maria Sacharowa.
Diese sagte unlängst im russischen Fernsehen, das man in Moldau über Satellit empfangen kann, Maia Sandu hasse Russland. Moldau, das bis zum Zerfall der Sowjetunion eine Sowjetrepublik war, habe sich einst unter Moskaus Führung zu einem prosperierenden Industrie- und Agrarland entwickelt. Heutzutage flüchteten die Menschen vor «Hunger und Rechtlosigkeit».
Sandu versucht, mit dem Verbot prorussischer Medien, mit Subventionen und Staatshilfen für Bedürftige gegenzusteuern. Aber der Reformprozess, den das arme, korrupte und politisch tief gespaltene Land benötigt, gestaltet sich zäh. Die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der EU war bislang ihr eindeutig grösster Erfolg; Umfragen in der Bevölkerung bestärken sie immerhin auf diesem Kurs.
Ministerposten aufgeteilt
Vor einigen Monaten hat sie daher die Premierministerin gegen Dorin Recean, einen Mann aus dem Sicherheitsapparat, ausgetauscht. Kürzlich wurde das Amt des Aussenministers aufgeteilt und eine Ministerin für europäische Angelegenheiten eingesetzt. Eine nationale Sicherheitsstrategie wurde verabschiedet, die auch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben vorsieht.
Es sind politische Schritte, mit denen Signale an Brüssel geschickt werden. Aber über den Weg Moldaus in die EU – oder von ihr weg – entscheiden sie nicht allein. Denn auch Moskau erhebt nach wie vor den Anspruch, ein gewichtiges Wort mitzureden.
Chisinau befreite sich aus russischer Gasabhängigkeit
Nachdem die Energiepolitik als Hebel für politische Erpressung weitgehend weggefallen ist, weil sich Chisinau aus der totalen Abhängigkeit von russischem Gas befreit hat, spielt Wladimir Putin in Moldau vor allem über Bande: über Transnistrien. Dort sind seit dem Sezessionskrieg Anfang der 90er-Jahre sogenannte russische Friedenstruppen stationiert.
Die 5+2-Verhandlungen unter dem Dach der OSZE – an denen neben der Führung im transnistrischen Tiraspol und in Chisinau auch Russland, die Ukraine und als Beobachter die EU und die USA beteiligt sind – sind seit dem Überfall auf die Ukraine komplett zum Stillstand gekommen.
Eine Konfliktlösungsgruppe mit Vertretern aus Moldau, Transnistrien und Russland (Comisia Unificata de Control) trifft sich immerhin weiter regelmässig im Grenzort Bender am Dnjestr, um im Gespräch zu bleiben.
Zuletzt hat auch das nicht viel geholfen. Jüngster Streitpunkt, der auf beiden Seiten des Dnjestr – und im fernen Moskau – die Wogen hochgehen lässt, ist der Beschluss der moldauischen Regierung, dass Unternehmer aus Transnistrien von nun an Zölle an den moldauischen Staat zahlen müssen. Bisher ging das Geld an die Behörden in Tiraspol. Damit werden langjährige Ausnahmeregelungen beendet, weil man, wie es in Chisinau heisst, gleiche Bedingungen für alle Unternehmen in ganz Moldau herstellen wolle.
Mehr als 70 Prozent transnistrischer Produkte gehen in die EU
Transnistrien hatte bisher zwar vom Freihandelsabkommen Moldaus mit der EU profitiert, aber keine Importzölle gezahlt. Mehr als 70 Prozent transnistrischer Produkte, vor allem landwirtschaftliche Güter, gehen in die EU. Der Handel mit Russland hingegen ist, zumal seit der russischen Invasion in die Ukraine, stark zurückgegangen. Scharfe Proteste der transnistrischen Separatisten unter ihrem Anführer Wadim Krasnoselski sowie wütende Demonstrationen sind die Folge der neuen Regelung, die zum Jahreswechsel in Kraft getreten war.
Denn die Entscheidung ist natürlich ein Politikum: Nicht nur wird von Chisinau wieder einmal deutlich gemacht, dass man Transnistrien auch dreissig Jahre nach dem Sezessionskrieg als Staatsgebiet betrachtet. Auch das Thema einer Wiedervereinigung ist damit wieder auf dem Tisch.
Diese sensible Thematik wurde in den letzten Jahren ausgespart, ebenso übrigens wie das andere Dauerthema einer Wiedervereinigung mit dem Nachbarland Rumänien, zu dem Teile Moldaus einst gehörten. Zu riskant schien es, Moskau zu provozieren. Aber auch die EU ist skeptisch, was Transnistrien angeht: Ein EU-Beitritt, während der «frozen conflict» auf dem eigenen Staatsgebiet fortdauert und russische Soldaten im Land stehen – das wäre dann doch schwer vorstellbar.
«Haben immer nachgegeben»
Nun äusserte sich in Chisinau der Präsident der Parlamentskommission für nationale Sicherheit, Verteidigung und öffentliche Ordnung, Lilian Carp. Alle Wirtschaftsakteure, egal, ob sie ihre Tätigkeit in der autonomen, prorussischen Region Gagausien, in Chisinau oder in der Region Transnistrien ausübten, müssten unter gleichen Bedingungen agieren, sagte Carp und wies die Proteste der transnistrischen Seite gegen das neue Zollregime zurück.
Seit der Unabhängigkeit der Republik «haben wir in Bezug auf die transnistrische Region oder Gagausien immer nachgegeben». Unternehmen, die in Moldau tätig sind, seien also diskriminiert worden, wird der Abgeordnete in der rumänischen Onlinezeitung «Digi24» zitiert. Mit den neuen Steuer- und Zollregeln würden auch neue Botschaften gesendet: Das Gesetz gelte für alle. Und es sei Zeit, den Prozess der Wiedervereinigung der Republik Moldau einzuleiten.
Russische Pässe für Transnistrier
Maia Sandu war da bisher immer sehr viel vorsichtiger. Ein Sieg der Ukraine über Russland werde dazu beitragen, den Transnistrien-Konflikt zu lösen, wiederholt sie regelmässig. Ob und wie die Ukraine diesen Krieg überstehen wird, ist allerdings bekanntlich eine offene Frage. Ebenso wie jene, ob Sandu als Präsidentin weiter am EU-Beitritts-Prozess wie auch an einem Ausgleich mit Transnistrien arbeiten kann.
Zumindest nach Letzterem sieht es nicht aus. Separatistenführer Krasnoselski hat unlängst bekannt gegeben, man werde die Erlangung der russischen Staatsbürgerschaft für Transnistrier beschleunigen. Das zielt vor allem auf junge Männer. Moskau braucht neue Rekruten für den Krieg gegen die Ukraine. Und das kleine Moldau liegt gleich nebenan.
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