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Russischer Grossangriff auf die Ukraine
«Noch nie habe ich die Explosionen so intensiv und nah gehört»

TOPSHOT - People take shelter in the Teatralna metro station during a Russian air attack, in Kyiv, on August 26, 2024, amid the Russian invasion of Ukraine. Russian drones and missiles on August 26, 2024, targeted 15 regions across Ukraine in an overnight barrage aimed mainly at energy infrastructure, Ukrainian Prime Minister Denys Shmygal said. (Photo by Roman PILIPEY / AFP)
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Der Angriff begann mit mehr als hundert Drohnen. In den Morgenstunden des 26. August schickte Russland die Drohnen in die Regionen und Städte der Ukraine, zwang die ukrainische Armee, mit Beschuss zu reagieren. Dann folgten 127 Raketen verschiedener Typen, aus Russland; auch von Schiffen im Schwarzen Meer. Selbst für die eigentlich gut aufgestellte Luftabwehr der Hauptstadt eine grosse Belastungsprobe.

Kiew griff die russische Armee besonders an. Aber auch in Grossstädten wie Charkiw, näher an der Grenze zu Russland, gab es erheblich mehr Alarme und Explosionen als in den vergangenen Tagen, und auch Odessa im Südwesten des Landes meldet am Montag Beschuss. Im westlichen Lwiw heulten in den frühen Morgenstunden ebenfalls die Sirenen.

Angelika Jeltsowa, die derzeit im Süden Kiews nahe einem Nationalpark und einzelner Militäreinrichtungen wohnt, schildert dieser Redaktion ihren Morgen. «Noch nie habe ich die Explosionen so intensiv und nah gehört», schreibt sie per Messenger. Ihre Beobachtung spiegelt sich in den Worten des ukrainischen Präsidenten wider, der sich noch am Mittag äussert. Es handle sich um «einen der grössten Angriffe überhaupt», einen kombinierten Angriff, um «Heimtücke», sagt Wolodimir Selenski.

«Es ist schwer, sich im Moment auf irgendetwas zu konzentrieren»: Angelika Jeltsowa erzählt, wie sie den Grossangriff erlebt hat. Sie ist Produktmanagerin bei einer IT-Firma.

Ziel der russischen Angriffe waren viele Gebäude und Einrichtungen kritischer Infrastruktur, nicht nur in der Hauptstadt, fünfzehn Regionen insgesamt waren betroffen. Vielerorts fiel der Strom aus, auch bei Jeltsowa. Nahe Kiew traf es den Damm eines Wasserreservoirs, das für die Hauptstadt und die Region von grosser Bedeutung ist. Befürchtungen, das Wasser könne in die Stadt schwemmen, kursierten schnell. Selenski beschwichtigte, Wiederaufbauarbeiten liefen bereits.

Ständige Handyalarme, dann Stromausfall in Kiew

Für Angelika Jeltsowa begann der Tag mit einem Luftalarm auf ihrem Handy und laut hörbarer Sirene in der Umgebung gegen 3 Uhr früh. «Als der Alarm verstummte, schlief ich wieder ein. Gegen 6 Uhr wurde ich wieder unerwartet von Alarmen wach. Ich blieb im Bett, weil ich dachte, dass es nicht allzu ernst sein würde.»

Eigentlich wollte die 26-Jährige gegen 8 Uhr im Homeoffice mit der Arbeit beginnen, also liess sie sich Zeit mit dem Frühstück. Das einzig Gute an diesem Morgen sei gewesen, schildert Jeltsowa, dass sie ihren Kaffee noch geschafft habe, bevor der Strom ausgefallen sei.

Ukrainian soldiers guard the sky with a machine-gun on a city road during one of Russian most massive missile and drone attack against Ukraine's energy objects in Kyiv, Ukraine, Monday, Aug. 26, 2024. (AP Photo/Efrem Lukatsky)

«Die ersten Explosionen, die wir gehört haben, waren ziemlich weit weg, also versuchte ich, mich an meine Routine zu halten. Vorsichtshalber habe ich in meinem Arbeits-Chat über die Raketenangriffe in Kiew informiert und dem Team mitgeteilt, dass ich wohl nicht an den morgendlichen Gesprächen teilnehmen kann.»

Während sie sich mit ihrem Bruder unterhielt, hörte sie Explosionen, noch weit entfernt. «Dann erschütterten nähere Explosionen unser Gebäude.» Die Einschläge zu hören, das sind viele Menschen in der Ukraine gewohnt. Sie zu spüren, ist deutlich schlimmer.

Kiewer U-Bahn als Schutzort

«Wir brachten uns im Flur in Sicherheit», so Jeltsowa. Damit meint sie die 2-Wand-Regel: Um das Risiko von Verletzungen durch Explosionen zu mindern, sollen Menschen, die es nicht in einen Bunker schaffen, Schutz hinter mindestens zwei Wänden suchen, die sie von draussen trennen.

Während sie mit ihrem Bruder in der Wohnung ausharrt, suchen Tausende Menschen in den Metrostationen der Stadt Schutz. Die U-Bahn öffnet bei Luftalarm ihre Drehkreuze an den Rolltreppen, die tief unter die Erde führen. Auf Handyvideos ist zu sehen, wie sich die Menschen in grosser Zahl in den Untergrund drängen.

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Angelika Jeltsowa wird in ihrer Wohnung klar, dass sie an diesem Morgen nicht arbeiten wird. «Bis 12.30 Uhr habe ich sechs oder sieben Explosionen gehört.» Danach reagiert sie empfindlich auf jedes laute Geräusch, das von draussen in die Wohnung dringt. Jedes Autohupen oder auch nur ein zufälliges Geräusch lässt sie zusammenzucken.

Erst am Nachmittag wird sie ruhiger, ihr hilft es, in Telegram-Chats Informationen über die Bedrohung aus der Luft zu suchen. Bis mindestens 12.36 Uhr warnt ihr Handy sie immer wieder vor Luftangriffen – konstant seit 5.57 Uhr. «Es ist schwer, sich im Moment auf irgendetwas zu konzentrieren», schreibt Jeltsowa.

Ein Grossangriff dieses Ausmasses war befürchtet worden. Zum einen, weil es banalerweise länger keinen gegeben und andererseits die Ukraine am Wochenende den Unabhängigkeitstag begangen hatte, der aber im Vergleich zu diesem Montag mit nur zwei Alarmen geradezu ruhig verlaufen war. Zum anderen waren insbesondere Menschen in Kiew besorgt, Russland könne Vergeltung wegen der ukrainischen Offensive im russischen Kursk suchen. Gemäss Expertinnen und Experten ist das jedoch unwahrscheinlich.

Mindestens fünf Menschen bei Luftangriffen gestorben

Der Kiewer Journalist und Kriegsbeobachter Denis Trubetskoy warnt auf X davor, dass die russische Propaganda genau das nun ausschlachten werde, dabei seien Angriffe auf zivile, kritische Infrastruktur übliche Strategie der Russen. Zudem gilt: Angriffe dieser Art bedürfen monatelanger Vorbereitung und Koordination. Darauf machen Experten wie der Journalist Pavel Lokshin und Militärkenner Carlo Masala bei X aufmerksam.

Am Nachmittag ist klar: Mindestens fünf Menschen wurden bei dem Grossangriff getötet, unter anderem im westlichen Luzk und im östlichen Dnipro. Dutzende wurden landesweit verletzt. Einmal mehr hatte Russland während der Rushhour angegriffen, genau dann, wenn sich die Menschen morgens auf den Weg zur Arbeit machen.

Angelika Jeltsowa geht am Nachmittag wieder vor die Tür, bestellte Dokumente abholen. Sie habe keine Angst mehr, sagt sie. Es ist das Kiew dieser Tage, das mit Momenten grosser Angst und normalem Alltag umgehen muss.