Analyse zum Ukraine-KriegFür die EU ist das nicht «unser» Krieg
Die EU arbeitet am zwölften Sanktionspaket gegen Russland. Doch das Solidaritätsversprechen an die Ukraine – «so lange, wie es nötig ist» – ist eine Phrase.
Knapp zwei Jahre nach dem russischen Überfall auf die Ukraine arbeitet die Europäische Union am zwölften Paket mit Strafmassnahmen gegen den Angreifer. Zwölf Sanktionsrunden in nicht einmal 24 Monaten – das klingt, als täten die Europäer alles, wirklich alles, um die russische Kriegsmaschine lahmzulegen.
Aber es klingt eben auch nur so. Zwar tun die Europäer durchaus vieles, das Russlands Wirtschaft schadet und damit den Preis in die Höhe treibt, den Moskau dafür bezahlen muss, dass es einen Krieg gegen seinen Nachbarn führt. Aber die EU-Staaten beschliessen ihre Sanktionen immer auch mit Blick auf mögliche schädliche Folgen für ihre heimische Wirtschaft.
Das ist der Grund, warum das zwölfte Sanktionspaket zum Beispiel kein Importverbot für flüssiges Erdgas, sogenanntes LNG, aus Russland beinhaltet. Es ist auch der Grund, warum das Handelsverbot für russische Diamanten erst jetzt verhängt wird, nachdem es eine Einigung zwischen Europa und anderen grossen Edelsteinmärkten gegeben hat. So trägt nicht nur die Diamantenstadt Antwerpen im EU-Mitgliedsland Belgien die Kosten des Boykotts, sondern teilt sie mit anderen Umschlagplätzen auf der Welt.
Hilfe «so lange, wie es nötig ist» statt «mit allen notwendigen Mitteln».
Es ist genau diese Logik, die hinter der Formulierung steckt, die jedes europäische Solidaritätsversprechen an die Ukraine begleitet: «as long as it takes». Übersetzt: Wir stehen an eurer Seite, «so lange, wie es nötig ist».
Diese Phrase ist sorgsam gewählt. Die EU verzichtet sehr bewusst darauf, bei der Ukraine-Hilfe die Wortwahl aus der Euro-Krise zu wiederholen. Damals schwor die Europäische Zentralbank, die Währung «mit allen notwendigen Mitteln» zu verteidigen – «whatever it takes». Das war eine qualitative Unterstützungszusage. Die drei Wörtchen «as long as» beschreiben dagegen nur einen Zeitrahmen.
Das Ende substanzieller Hilfe für Ukraine naht
Der Halbsatz, der sich anhört wie eine unbegrenzte Hilfszusage, drückt in Wahrheit eine Beschränkung dieser Hilfe aus. Was das in der Praxis bedeutet, sieht man in Brüssel: Es wird für die EU-Regierungen immer schwieriger, bei der Unterstützung der Ukraine Einigkeit zu erzielen.
Noch gelingt es meistens, aber irgendwann in absehbarer Zukunft wird es vielleicht nicht mehr gelingen – so wie jetzt schon in den USA, wo der politische Konsens, Kiew beistehen zu müssen, längst zerbrochen ist und das Ende der substanziellen Hilfe bevorsteht. (Lesen Sie zum Thema auch die Analyse «Der Westen agiert kurzsichtig und egoistisch».)
Das wiederum hat einen sehr einfachen Grund: Die europäischen Länder, die Regierungen ebenso wie die Bevölkerungen, haben – abgesehen von einigen Ausnahmen wie Finnland, Polen oder den baltischen Staaten, die nahe an Russland liegen – den Krieg an ihrer Ostgrenze nie als «unseren» Krieg gesehen, sondern als «deren» Krieg, als den der Ukrainer. Für Amerika gilt das noch weitaus mehr.
Europas Politiker reden gern darüber, dass die Ukrainer «für unsere» demokratischen Werte bluten. Aber das sind nur Worte.
Das hat mit dem militärischen Eskalationspotenzial des Konflikts zu tun – niemand im Westen war oder ist bereit, wegen der Ukraine einen direkten Zusammenstoss mit der Atommacht Russland zu riskieren. Aber es hat natürlich auch mit historischen Hintergründen zu tun, mit eingeschliffenen sicherheitspolitischen Denkmustern, auch mit drängenden innenpolitischen Problemen.
Man kann das richtig oder falsch finden, ändern lässt es sich wohl nicht mehr. Europas Politiker und Politikerinnen reden gern darüber, dass die Ukrainer «für unsere» demokratischen Werte bluten. Aber das sind nur Worte. Der Kampf um die Ukraine wird für die EU nicht zu «unserem» Krieg werden.
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