Gastbeitrag zum Ukraine-KriegWollen wir Frieden zu Putins Bedingungen?
Die Stimmen, die nach Friedensverhandlungen in der Ukraine rufen, mehren sich. Sie ignorieren, welche Voraussetzungen dafür nötig sind.

Frieden ist eine zutiefst menschliche Sehnsucht. Mit Friedensforderungen kann man leicht die Herzen – nebenbei und nicht unerheblich auch Wahlstimmen und Ansehen – gewinnen.
Um Frieden in der Ukraine zu schaffen, gibt es bereits eine lange Schlange von Anwärtern auf Vermittlung: Brasilien, Indien, Südafrika, Türkei, Ungarn, Schweiz, Vatikan sind nur einige von den entsprechenden Ländern. Zusätzlich stehen Parteien und andere Organisationen, ja selbst Einzelpersonen in Bereitschaft. Alle wollen sie vermitteln. Tatsächlich aber ist Vermittlung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Äusserst engmaschige Bedingungen
Erstens müssen die Kontrahenten damit einverstanden sein. Zweitens wird für dieses Anliegen Unparteilichkeit benötigt. Ein und denselben Abstand zu beiden Kontrahenten zu halten, ist eine Voraussetzung, die kaum einer erfüllt. Drittens ist zu berücksichtigen, dass die Kriegsführenden nicht dumm sind und die beiderseitig vertretbaren möglichen Kompromisse allein finden können. Viertens ist der Vermittler kein einfacher Postbote. Er muss in der Lage sein, etwas zur Lösung beizusteuern, also etwas zu liefern, das die unüberwindlichen Gegensätze in verhandelbare Grundlagen ändert. Das kann nach Lage der Dinge nur eines oder mehrere der grossen Länder erfüllen.
Fünftens sind glaubwürdige, verlässliche Persönlichkeiten erforderlich, um zum Resultat kommen zu können. Sechstens ist ein sicherer Standort zu finden. Siebtens erfordert ein Friedensvertrag zugleich die Bestimmung der neuen Grundlagen für die internationalen Beziehungen, und hierzu hat im Fall Ukraine derzeit niemand einen Plan.
Dies bedeutet jedoch auch, dass ein Friedensvertrag nicht nur Angelegenheit der unmittelbar Betroffenen ist, sondern die Teilnahme der Grossen dieser Welt erfordert. Die notwendigen Voraussetzungen für den Beginn einer Vermittlung sind damit äusserst engmaschig.
Was Putin sich wünscht
Wer heute Frieden schaffen will, denkt über die Voraussetzungen einer möglichen funktionierenden Vermittlung kaum nach. Forderungen, Aufrufe, Sehnsüchte führen nicht zum Ziel. Arbeitet man nicht aktiv auf die genannten Voraussetzungen hin, muss man sich darüber im Klaren sein, dass Waffenstillstand und Friedensverhandlungen für die Ukraine ausschliesslich zu den Bedingungen Putins möglich sind. Das ist ein Zustand, wie er auch in Russland herrscht, ein Friedhofsfrieden.
Ist es für die Regierungen Europas und Amerikas ernsthaft vorstellbar, Bayern oder die Normandie, Tirol, Ostungarn oder die Südstaaten der USA einem Aggressor zu überlassen, um anschliessend zum Vasallen des Aggressors zu werden? Um einen Friedhofsfrieden zu erreichen? Oder gilt dies nur, wenn man selber nicht betroffen ist? Dabei wird Europa früher oder später ebenfalls betroffen sein. Denn vom Aggressor gehen in letzter Zeit wenig Anzeichen von Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Bereitschaft zur Einhaltung von Verträgen aus.
Es ist an der Zeit, sich ernsthaft um Frieden zu bemühen, ohne Sprüche und Selbstdarstellungen. Doch derzeit fehlen dafür sowohl die Staaten als auch die Organisationen und Persönlichkeiten.
Janos I. Szirtes ist Politikwissenschaftler und Verfasser zahlreicher Bücher. Er lebt in Budapest.
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