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Ukraine-Hilfe in Deutschland
Berühmter Historiker schreibt Brandbrief an seine SPD

ARCHIV - 07.05.2015, Berlin: Historiker Heinrich August Winkler spricht während einer Gedenkstunde im Deutschen Bundestag zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren. (zu dpa:) (zu dpa: «SPD-Politiker zu Brandbrief: Was Putin versteht, sind Stärke und Härte») Foto: Wolfgang Kumm/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Wolfgang Kumm)
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Heinrich August Winkler ist seit mehr als 60 Jahren Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, er hat die Reden und Briefe von Willy Brandt herausgegeben, dem legendären Reformkanzler der Partei (1969 bis 1974) und Vater der auf Entspannung angelegten neuen «Ostpolitik». Was die Geschichte Deutschlands, Europas und die Beziehungen zu Russland angeht, ist der bedeutendste lebende deutsche Historiker eine Autorität – und je länger, je mehr auch eine Art Gewissen seiner Partei.

Zusammen mit einer Handvoll weiterer Historikerinnen und Historiker hat er kürzlich einen Brandbrief an die Spitzen seiner eigenen Partei geschrieben: Die SPD lasse es an Klarheit bei ihrer Unterstützung der Ukraine vermissen, die «unzweideutige Solidarität» stehe infrage.

Ohne die verweigerte Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an Kiew namentlich zu erwähnen, beklagt Winkler, dass Kanzler Olaf Scholz und die Spitze der SPD rote Linien immer nur für die eigene Politik zögen, nicht für Russland – damit spiele man Wladimir Putin in die Hände.

Es geht um die Zukunft Deutschlands und Europas

Man könne nicht – wie Scholz – von «Zeitenwende» sprechen, es in der zentralen sicherheitspolitischen Frage unserer Zeit aber an Entschlossenheit fehlen lassen. Es gehe bei der Unterstützung der Ukraine gegen ein «neoimperiales Russland» um nichts weniger als Deutschlands und Europas Zukunft. Die Kommunikation zu Waffenlieferungen sei aber immer wieder «willkürlich, erratisch und nicht selten faktisch falsch». Zudem fehle es an Abstimmung mit Frankreich.

Für besonders «fatal» hält Winkler die Äusserungen von Rolf Mützenich, dem Fraktionschef der SPD im Bundestag, der kürzlich angeregt hatte, man müsse auch über ein «Einfrieren» des Konflikts nachdenken. Faktisch fordere Mützenich damit ein Ende des Krieges zu den Bedingungen des Angreifers. Putin habe aber gar kein Interesse an Verhandlungen, solange er auf einen Sieg auf dem Schlachtfeld hoffen könne.

Dies nicht zu merken und die SPD in Hinblick auf die Wahlkämpfe des Jahres als «Friedenspartei» neu zu positionieren, so schliesst Winkler, sei «Realitätsverweigerung» und «hochgefährlich». Im Gegensatz zu Scholz, der einzig eine Niederlage der Ukraine verhindern will, fordert er «eine klare Strategie für einen Sieg».

27.02.2024, Sachsen-Anhalt, Halle (Saale): Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, informiert auf einer Pressekonferenz über die Konferenz der SPD-Fraktionsvorsitzenden in Halle/Saale. Die Spitzen der Fraktionen haben sich in Halle über aktuelle politische Themen unterhalten. Foto: Hendrik Schmidt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Hendrik Schmidt)

Der Aufruf des Berliner Historikers ist umso bemerkenswerter, als der 1938 in Königsberg geborene Winkler keineswegs als Heisssporn bekannt ist. Von sozialen Medien hält sich der Gelehrte fern, kommunizieren tut er bis heute am liebsten per Fax. Sein Renommee hat er sich mit vielbändigen Werken über die Weimarer Republik, über Deutschlands langen Weg zur Westbindung und die Geschichte des «Westens» überhaupt erarbeitet.

Vor Putins Russland hat Winkler seine SPD schon vor fast zehn Jahren gewarnt. Den Bau der deutsch-russischen Gaspipeline Nordstream 2 wiederum hielt er für einen der gravierendsten Fehler der christdemokratischen Kanzlerin Angela Merkel.

Schon 2016 widersprach Mützenich Winkler

Nach der Annexion der Krim mahnte Winkler 2016 in einem Beitrag für die Parteizeitung «Vorwärts», die SPD dürfe Brandts Ostpolitik nicht mehr «verklären». Putins Aggression habe die aussenpolitischen Vorzeichen geändert: Während Leonid Breschnews Sowjetunion noch den Status quo habe sichern wollen, verschiebe Russland unter Putin wieder Grenzen mit Gewalt. Unter diesen Vorzeichen sei die von der SPD verfolgte Entspannungspolitik gefährliches «Wunschdenken».

Schon damals war es Rolf Mützenich, der Winkler im «Vorwärts» widersprach. Russland unter Putin möge für Deutschland zwar kein verlässlicher Partner mehr sein, «aber für Ignoranz und Ausgrenzung ist das Land zu gross und zu mächtig».

Was Mützenich nicht schrieb, aber wohl genauso gut wusste wie Winkler: Der Mythos der sozialdemokratischen Ostpolitik war für mächtige SPD-Kreise rund um Gerhard Schröder, Ex-Kanzler, Putin-Freund und Gazprom-Lobbyist, vor allem ein Feigenblatt, hinter dem sich lukrative Geschäfte mit Russland machen liessen.

Die SPD-Spitze, heisst es, suche mit Winkler nun das direkte Gespräch. In der Öffentlichkeit geäussert hat sie sich zu dessen Brief bisher nicht.