Berater von Lottomillionären gibt Tipps«Die eigene Frau einweihen? Ganz gefährlich»
Lutz Trabalski berät Menschen, die Millionen gewonnen haben. Ein Gespräch über die grösste Gewinnsumme, dreiste Betrüger – und warum er zu totaler Verschwiegenheit rät.
Ich habe eben Lotto gespielt, zum ersten Mal in meinem Leben.
Sehr gut.
Und nehmen wir an, ich wäre jetzt mit sechs Richtigen bei Ihnen.
Dann würde ich als Erstes die Spielquittung prüfen, die Sie im Laden bekommen haben. Reichen Sie mal rüber (nimmt die Quittung). Nein! Sie haben doch nicht allen Ernstes 1 bis 6 und 7 getippt?
Warum denn nicht? Ist doch genauso wahrscheinlich wie alle anderen 14 Millionen möglichen Kombinationen.
Sehr schlau. Aber Sie werden nicht glauben, wie viele Menschen tatsächlich diese Zahlen ankreuzen. Wenn die gezogen werden, müssen Sie sich den Jackpot mit einer Reihe anderer Gewinner teilen. Ihr Pech. Als Nächstes würde ich die Auftragsnummer in den Computer eingeben und Ihre Quittung per Augenscheinprüfung auf die Sicherheitsmerkmale hin untersuchen.
Dieser Kassenbon aus dem Lottoladen hat Sicherheitsmerkmale?
Keine Wasserzeichen, keine Hologramme, aber ein paar Dinge, die mir zeigen, ob Sie hier wirklich mit einem echten Inhaberpapier gekommen sind. Verrate ich Ihnen natürlich nicht.
Fälschen die Leute ernsthaft Lottoquittungen?
Was dachten Sie? Die meisten Betrüger gehen relativ naiv vor. Einer blieb mal schön unten im Auto sitzen und schickte seine Frau und sein Kind mit dem Beleg hoch, man kann es ja mal versuchen. Die ahnten wahrscheinlich nichts, aber waren auch schnell wieder raus. Bei einem musste ich allerdings die Polizei rufen, weil der vehement auf seinem Gewinnanspruch bestand.
Was war das für ein Geselle?
Ein untersetzter Herr, in seinen Vierzigern, gepflegte Erscheinung, Brille, kam auch nicht mit Schweissperlen auf der Stirn hier rein, gar nichts, was auf böse Absichten schliessen liess. Und ich muss sagen, das war der perfekteste Betrugsversuch, der mir je untergekommen ist. Er legte ein Rubbellos vor, zwei von drei Feldern zeigten den gleichen Betrag, aber zum Gewinn hatte ihm wohl noch das dritte gefehlt. Das hatte er einfach ausgetauscht. Er muss da wirklich mit dem Skalpell gearbeitet haben, eine Meisterleistung, ein hochbegabter Mann. Ich hätte es nicht erkannt, aber der Computer sagte mir für den Validierungscode auf dem Los ganz eindeutig: kein Gewinn. Aber der Herr wurde immer lauter und aggressiver. Dass ich schliesslich die Polizei gerufen habe, war in der Situation der Brandbeschleuniger. Aber die Polizisten waren zum Glück schnell da und haben ihn dann in Handschellen abgeführt.
Was ist Ihr wichtigster Rat an die Neumillionäre?
Stillschweigen bewahren. Nichts sagen. Am besten niemandem.
Nicht mal der eigenen Frau?
Ganz gefährlich.
Oh.
Ich hatte eine Dame hier stehen, die gerade mitten in der Scheidung steckte. Ihr Mann hatte zehn Jahre vorher einen Millionenbetrag gewonnen. Und jetzt weinte sie bitterlich und meinte zu mir: Erinnern Sie sich denn nicht, wir waren doch damals beide bei Ihnen, wir hatten das doch zusammen gewonnen, und jetzt soll ich nichts bekommen. Ich konnte mich leider wirklich nicht erinnern. Wenn Sie also meinen, Ihre Beziehung hält einen zweistelligen Millionenbetrag gut aus: Meinen Glückwunsch. Aber überlegen Sie sich sehr gut, wem Sie davon erzählen.
So viel Heimlichtuerei erträgt doch kein Mensch.
Bei vielen ist es schon zu spät, wenn sie bei mir sitzen. Vor ein paar Jahren rief mich sogar eine Lotto-Annahmestelle an und wollte wissen, ob es sein könne, dass einer ihrer Kunden gewonnen hatte. Der ziehe nämlich durchs Quartier und erzähle allen glücklich, er sei jetzt Millionär. Bei dem konnte ich mir meinen guten Rat gleich sparen. Ansonsten empfehle ich jedem, sich eine Legende zuzulegen.
Eine was?
Na, wenn Sie immer einen gebrauchten Kleinwagen gefahren haben und plötzlich steht da so ein teurer Tesla vor Ihrer Tür – da brauchen Sie schon eine gute Erklärung. Behaupten Sie lieber, Sie hätten ein bisschen was geerbt, da fragen die Leute meistens nicht gross nach. Oder erzählen Sie etwas von einem Kleingewinn. Auf jeden Fall einen Betrag unter der Neidschwelle. 100’000 Euro gönnen Ihnen die Leute noch. Ab einer Million wird es schwierig.
Muss ein Lottomillionär mehr auf der Hut sein als der ganz normale Superreiche von nebenan?
Glaube ich schon. Wenn einer mit Imbissbuden zu seinem Vermögen kommt, fragt man den nicht, ob der mal was abgeben kann. Der hat sich seinen Reichtum eigenhändig erarbeitet. Hat jemand aber einfach nur Glück gehabt, leitet das Umfeld daraus schon eher den Anspruch ab, irgendwie daran beteiligt zu werden. Und die Gewinnerinnen und Gewinner wollen oft gerne anderen etwas Gutes tun, weil ihnen ja auch selbst bewusst ist, dass sie sich das Geld nicht verdient haben. Eine heikle Konstellation. Ich erinnere mich an einen, der 2,1 Millionen gewonnen hat. Er hatte seinem Bruder versprochen, ihm Geld für eine Zahnbehandlung zu geben. Aber mit einem Mal wollte der immer mehr und mehr. Das hat ihn richtig unter Druck gesetzt.
Warum braucht es beim Lotto jemanden wie Sie, der sich um die Grossgewinner kümmert?
Weil wir als staatlicher Glücksspielanbieter eine besondere Verantwortung haben. Wir wollen die Gewinner nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, deswegen geben wir Ihnen eine Art Lebensberatung: zuhören, Ängste nehmen, ihnen helfen, mit der neuen Situation klarzukommen. Wie ein guter Therapeut. Lotto ist ein Spiel einfacher Leute. Und wir schiessen die in den Orbit, aber nicht jeder ist zum Astronauten geboren.
Ein Lottogewinn ist wie ein Schicksalsschlag.
So negativ würde ich es nicht formulieren. Aber die Summen, mit denen wir hier hantieren, die können verunsichern. Ein Rentner sass hier mal in grosser Sorge. Der dachte, er müsse jetzt als Millionär aus seiner günstigen Wohnung ausziehen. Er hatte wirklich Angst, dass seinem Leben jetzt Veränderungen bevorstünden, die ihn völlig entwurzeln. Ich habe gesagt: Sie müssen gar nichts verändern. Wenns Ihr Gewissen beruhigt, legen Sie einfach hin und wieder beim Kartenspielen ein bisschen Geld in die Kasse, das müssen die anderen ja gar nicht gross mitbekommen.
Kommt es vor, dass Sie Ihre Gewinner vor der Presse schützen müssen?
Früher, heute nicht mehr. Da haben hier schon mal die Fotografen von den Boulevardblättern vor dem Gebäude unserer Lottogesellschaft gelauert, aber sie haben nie einen gekriegt. Die Gewinner können ja kommen, wann sie wollen. Sie haben drei Jahre Zeit, das Geld zu holen.
Auf wen haben Sie am längsten warten müssen?
Einmal rief nach der Ziehung ein Herr an und fragte, ob er der einzige Gewinner sei oder ob er sich den Jackpot mit anderen teilen müsse. Ging so um neun Millionen. Und dann meldete er sich nicht mehr. Totale Funkstille. Wochenlang. Wir machten uns schon Gedanken, ob ihm etwas zugestossen sein könnte. Ob irgendwer es auf die Spielquittung abgesehen hatte. Am Ende kam er und meinte ganz lapidar, bei neun Millionen müsse er sich doch nun wirklich nicht stressen.
Gab es Glückspilze, die ihr Geld nie abgeholt haben?
Auf einen Gewinner warte ich bis heute, seit Dezember 2020. Eine Million hätte ich für den. Oder die. Wir haben geschaut, ob sich der Kreis der potenziell Anspruchsberechtigten irgendwie eingrenzen lässt, ob es auffällige Spielmuster gibt. Wenn der oder die zum Beispiel immer donnerstags mit demselben Schein in einer bestimmten Annahmestelle dieselben Zahlen tippt, dann könnten wir eine Kollegin vorbeischicken und ihn oder sie abfangen. Ein solches Verhaltensmuster gibt es in diesem Fall aber nicht. Es deutet leider alles darauf hin, dass der Arme von seinem Glück gar nichts mitbekommen hat. Ich habe wenig Hoffnung, dass er noch auftaucht.
Spielen Sie auch Lotto?
Selbstverständlich.
Warum spielt man Lotto, bei einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 1 zu 140 Millionen?
So betrachtet, können Sie den Spieleinsatz genauso gut wegwerfen. Aber beim Lotto geht es ja nicht um den Gewinn an sich, sondern um die Vorfreude darauf. Um das Gefühl, dass es passieren könnte.
Hält man das grosse Glück für greifbarer, wenn man wie Sie dauernd Lottomillionäre im Büro hat?
Auf jeden Fall. Mathematiker rechnen einem gerne vor, dass es wahrscheinlicher ist, vom Blitz getroffen zu werden, als im Lotto zu gewinnen. Mir kommt das anders vor. Ich treffe immer wieder auf Leute, die Glück gehabt haben. Das macht auch mich optimistischer.
Was würden Sie mit dem Jackpot anfangen?
Es gibt eine Idee, auf die kam ich, als vor einiger Zeit das Haus gegenüber saniert und eingerüstet wurde, mit einem riesigen Werbeplakat davor, wie man das so heute macht. Ich würde das Gebäude noch mal einrüsten lassen und dann mein Foto drauf, das hier rüber grinst: Ihr müsst arbeiten, ich nicht. Klar, ich würde es wahrscheinlich am Ende gar nicht machen. Aber allein für die Vorstellung spielt man doch Lotto.
Dieser Artikel erschien erstmals am 1. Februar 2022. Anlässlich des grossen Jackpots im Schweizer Zahlenlotto haben wir ihn am 22. Februar 2024 nochmals publiziert.
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