Schweiz im Lotto-FieberJetzt, wo über 50 Millionen locken, spielt sogar die Kioskfrau
Am Stand von Nicole Portmann in Zug läuft das Geschäft vor dem Rekord-Jackpot besonders gut. Doch trotz vieler Versprechen: An einem Gewinn beteiligt wurde sie noch nie.
Sie liebt es, wenn etwas läuft. Und wenn der Laden brummt. Nicole Portmann ist Kioskverkäuferin mit Leib und Seele. Doch in den vergangenen Tagen kam sogar sie an ihre Grenzen: Bis zum Teilnahmeschluss hat sie einen Lottoschein nach dem anderen entgegengenommen.
Seit dem 26. August letzten Jahres, seit 26 Wochen und 51 Ziehungen der Schweizer Lotto-Zahlen hat es niemand mehr geschafft, die sechs richtigen Zahlen plus Glückszahl zu tippen. Über 50 Millionen Franken sind seit Samstagabend im Jackpot – es lockt der höchste Gewinn in der über 50-jährigen Geschichte des Glücksspiels.
Schon drei Lotto-Millionäre 2024
Damit reisst auch der Ansturm auf die 3000 Lotto-Verkaufsstellen im Land nicht ab. «Zum Glück steht der Lotto-Ständer draussen, sonst wäre es im Laden eng geworden», sagt Portmann. Denn an ihrem Kiosk im Bahnhof Zug wird gemäss Betreiberin Valora besonders oft Lotto gespielt. Ausgerechnet im reichsten Kanton also, nirgends hats mehr Millionäre, standen die Leute Schlange.
Die Chance, den 50-Millionen-Jackpot zu knacken, tendiert gegen null. Das wissen alle. Aber wieso immer das Negative sehen, denkt man sich: Seit der ersten Ziehung 1970 durften 868 Personen einen Millionengewinn einstreichen. Vergangenes Jahr wurden 23, dieses Jahr bereits drei Personen zu Lotto-Millionären gemacht.
Nicole Portmann aus Morgarten ZG, Mutter von vier Kindern, das kurze Haar hochgegelt, hat den Kiosk 2015 übernommen. Inzwischen ist sie für alle drei Kioske im Bahnhof Zug verantwortlich und Chefin von 16 Mitarbeiterinnen. Schon die Mutter sei Kioskverkäuferin gewesen, ihre älteste Tochter sei inzwischen auch im Business.
Die 49-Jährige hat den Laden im Griff. Mit vielen ist sie per Du, sie greift nach dem richtigen Zigi-Päckli, bevor der Kunde danach fragt. «Grüeziwohl, salü, hoi, merci, danke, schöns Wuchenänd, gäll.» Früher habe sie gewirtet. «Das Menschliche» sei ganz klar ihr Erfolgsrezept.
Der Kiosk sei einer der wenigen Begegnungsorte, ein freundliches «Grüezi» und «e schöns Tägli» sind bei ihr selbstverständlich – «egal, ob mich der Kunde hört oder nicht». Denn viele hätten Stöpsel in den Ohren. Aber: Man müsse dranbleiben, ein bisschen erziehen auch. Inzwischen würden manche die Stöpsel rausnehmen, darauf sei sie stolz.
Snus ist der Renner im Sortiment
Lotto sei das Hauptgeschäft. Aber ihr Kiosk hat noch einen anderen Trumpf: Snus! Der Oraltabak habe bereits die Zigaretten abgelöst. Der Kanton Zug sei berühmt für Snus, wegen des EV Zug, auch die Eishockeyaner gehörten zu ihrer Kundschaft.
Portmann weiss aus Erfahrung, die treuen Lotto-Gambler seien eher etwas älter, aber ab einem 20-Millionen-Jackpot würden auch die Jungen spielen. Nicht alle wüssten, wie es geht, manchen müsse sie beim Ausfüllen der Zettel helfen – und häufig passierten Fehler: «Auch Sie, sehe ich gerade, haben vergessen, anzukreuzen, wie viele Ziehungen Sie wollen.»
Armbänder und Tattoo als Glücksbringer
Zwischendurch muss Portmann immer wieder Glücksfee spielen, eine Zahl auswählen oder auch einmal den Lottoschein dreimal drehen. Sie selbst trägt ihre Glücksbringer an den Armen. Ums linke Handgelenk sind zwei Armbänder geschwungen, eines aus Leder, eines aus Tigerauge, ein Geschenk des jüngsten Sohnes (15). Ihren rechten Unterarm ziert ein Herz mit zwei ineinander verschlungenen Frauen. Ihre Frau trage dasselbe Tattoo, sagt sie.
Immer wieder höre sie den Satz: «Wenn ich gewinne, komme ich auf Sie zu.» In all den Jahren sei noch niemand auf sie zugekommen – allerdings würden ihr Gewinne auch nicht kommuniziert. Keine einzige Einladung auf ein Glas Prosecco. Nicht, dass sie darauf warte, sagt Portmann und lacht laut.
Viele ihrer Kundinnen und Kunden wüssten genau, was sie mit einem Millionengewinn anstellen würden: «Besonders viele sagen, sie würden spenden.» Stammkundin Berta Rossmann setzt wie die meisten auf ihre Geburtszahlen sowie jene der Enkel und Urenkel. Ihr grösster Gewinn? «Jesses Gott», daran könne sie sich nicht erinnern. Was sie mit einer Million machen würde, weiss sie hingegen sehr genau: Eine Reise in den Norden, mit dem Postschiff durch die norwegischen Fjorde.
Am häufigsten werde für zehn Franken gespielt, sagt Portmann, aber auch Einsätze bis 250 Franken kämen vor. Thomas Elsener, er spielt immer für den Minimalbetrag von fünf Franken, sagt, er würde sich im Falle eines Millionengewinns nichts anmerken lassen, weiterleben, weiterarbeiten wie bisher. Aber er würde sich eine Teilnahme am Tokyo Marathon leisten – und spenden, im Sportbereich und anonym.
Auch die Kioskfrau selbst spielt um den Jackpot. Aber mit System! Das heisst, sie lässt die Lotto-Maschine die Zahlen wählen. Reich hat sie das Glücksspiel bisher trotzdem nicht gemacht: 165 Franken betrug ihr Höchstgewinn. Welchen Traum sie sich mit einer Million erfüllen würde, weiss die «leidenschaftliche Weintrinkerin» genau: Zusammen mit ihrer Frau würde sie im Piemont ein Bed and Breakfast eröffnen, mitten in einem Rebberg. Alles schon durchdacht – nur das Geld fehlt noch.
Millionensegen oder nicht: Am Morgen danach ab 6 Uhr werde sie garantiert wieder am Kiosk stehen und Lottozettel entgegennehmen. Tatsächlich muss auch ihr Italien-Traum noch warten: Wieder hat niemand alle sechs Richtigen plus Glückszahl getippt – der Jackpot beträgt nun 56,5 Millionen Franken.
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