Kommunalwahlen in der TürkeiDer fast verhinderte Bürgermeister kann sein Amt antreten
In der türkischen Stadt Van wäre Abdullah Zeydan beinahe durch einen AKP-Politiker ersetzt worden. Das löste landesweite Proteste aus – nun ist Zeydan Bürgermeister.
![Wird nach landesweiten Protesten doch Bürgermeister: Abdullah Zeydan](https://cdn.unitycms.io/images/ApiZUthEKCFBnsKS9vwYrq.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=RaiG7Ve0m9k)
In Van, ganz im Osten der Türkei, erreichte die Menschen am Mittwochabend eine Nachricht, die eigentlich keine sein sollte. Der Mann, den sie mit 55 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister gewählt hatten, dürfe das Amt antreten. Abends feierten sie auf den Strassen diesen Sieg, den sie sich genau dort erkämpft hatten – mit den grössten Protesten, die das Land seit langem gesehen hat.
Sonntagnacht noch hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan davon gesprochen, dass sich an den Wahlurnen «der Wille der Nation manifestiert» habe, den er respektieren werde. Bei den Kommunalwahlen war seine AKP zum ersten Mal, seit er regiert, auf dem zweiten Platz gelandet. Selbst in Hochburgen hatte sie verloren. Für viele Anhänger der Opposition war es ein Tag der Hoffnung (lesen Sie hier die Analyse zu den Wahlen).
Gegen den Willen des Volkes
In Van aber wich die Hoffnung bald der Wut. Während die Behörden überall im Land die Übergabe der Mandatsurkunden vorbereiteten, gab die lokale Wahlkommission eine Entscheidung bekannt: Sie werde die Urkunde nicht Abdullah Zeydan aushändigen, dem Wahlsieger, sondern dem Zweitplatzierten. Der hatte nur 27 Prozent der Stimmen bekommen – es war der Kandidat der AKP.
Zeydan gehört zur DEM. Im Jahr 2016 verurteilte ihn ein Gericht wegen «Propaganda für eine Terrororganisation» zu acht Jahren Haft, erst 2023 wurde er freigelassen. Und rehabilitiert: Das Kassationsgericht, eine der höchsten Instanzen, hob sein Urteil auf, und die nationale Wahlkommission in Ankara entschied, Zeydan dürfe seine demokratischen Rechte wieder wahrnehmen, also wählen und gewählt werden.
Am Freitag vergangener Woche erst, heisst es, habe das Justizministerium Einspruch gegen Zeydans Kandidatur in Van, einer der wichtigsten kurdischen Städte des Landes, eingelegt. Nach seinem Sieg folgte die Kommission in Van dem Ministerium: Abdullah Zeydan, gab sie bekannt, hätte nie antreten dürfen, sein Wahlsieg sei damit nichtig.
Nicht nur in den kurdischen Regionen war von einem «Putsch» der Regierung die Rede. Auch in Grossstädten wie Istanbul und Izmir kam es zu massiven Protesten. In Van selbst sammelten sich Zehntausende, die sich ihres Wahlsieges beraubt sahen. Die Polizei reagierte mit Gewalt gegen die Demonstranten, der Gouverneur verhängte für zwei Wochen ein Versammlungsverbot. Und Recep Tayyip Erdogan relativierte sein Versprechen, den «Willen der Nation» zu respektieren. «Wir werden nicht zulassen», sagte der Präsident, «dass die Terrorbarone den Frieden in unseren Städten attackieren.»
Offenbar war aber auch Erdogan klar geworden, dass der Schaden in diesem Fall grösser sein würde als der Gewinn: das Rathaus von Van zum Preis von Aufruhr im ganzen Land. Noch am Dienstagabend hatte sich einer der Wahlgewinner zu Wort gemeldet, Ekrem Imamoglu, der Oberbürgermeister von Istanbul. Die Entscheidung in Van sei «rechtswidrig», «inakzeptabel», und man müsse sich «gemeinsam dagegen wehren». Nebenbei zeigte Imamoglu damit auch, dass er sich politisch nicht mehr auf Istanbul beschränken will. Er sieht sich als landesweiter Oppositionsführer.
![epaselect epa11257828 Supporters of the pro-Kurdish Peoples' Equality and Democracy Party (DEM) celebrate after the Supreme electoral Board (YSK) changed their decision about revoking the mandate of newly elected oppposition party mayor Abdullah Zeydan, in Van, eastern Turkey, 03 April 2024. Pro-Kurdish mayoral election winner in the eastern city of Van, Abdullah Zeydan, was reinstated by Turkey's electoral authorities after the annulment of his victory sparked altercations. Zeydan, who is from a pro-Kurdish Equality and Democracy (DEM) Party had won the elections for the mayoral position in Van but the Turkish electoral authorities announced on 02 April, that his mandate was revoked and his position would be instead filled by his runner-up, a candidate from the Justice and Development Party of President Erdogan. EPA/METIN YOKSU](https://cdn.unitycms.io/images/3YQxM1XSKEgALc3Vb5T5Ut.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=IWeIzxrcC8E)
Am Mittwoch dann überstimmte die nationale Wahlkommission ihre örtliche Vertretung in Van und entschied, dass Abdullah Zeydan sein Amt als Bürgermeister antreten darf. Am selben Tag nahm Imamoglu im Istanbuler Justizpalast seine Mandatsurkunde entgegen, was er zu einer Kundgebung nutzte – vor jenem Gebäude, in dem über die Jahre hinweg viele Urteile gegen Erdogan-Gegner ergingen.
Unter anderem gegen Imamoglu selbst, der schon 2022 in einem Schauprozess verurteilt wurde und gegen den ein weiteres Verfahren anhängig ist (lesen Sie hier mehr über Ekrem Imamoglu). Jetzt, drei Tage nach seinem Sieg, stand er vor dem Gericht und sprach darüber, was in Van passiert war. «Das Unrecht, das mir selbst widerfahren ist», sagte Imamoglu, «und das Unrecht, das in der Ferne geschieht – dabei zuzuschauen, das passt nicht zu den Menschen in unserem Land.» Die Wahl, so Imamoglu, sei vorbei, «meine Arbeit fängt jetzt erst an».
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