Videobotschaft auf TwitterTrumps plötzliche Einsicht
Mit einer sanften Rede versucht Donald Trump offenbar ein neues Amtsenthebungsverfahren zu vermeiden. Die Demokraten werden es ihm wohl nicht abkaufen.
Nach einigem Zögern hat der noch für wenige Tage amtierende US-Präsident Donald Trump die Krawalle seiner Anhänger am Kapitol scharf verurteilt. «Wie alle Amerikaner bin ich empört über die Gewalt, Gesetzlosigkeit und das Chaos», sagte Trump in einer Videobotschaft, die er am Donnerstagabend (Ortszeit) auf Twitter verbreitete. Er sprach von einer «abscheulichen Attacke» auf den Kongresssitz. Jene, die Gewalt angewendet hätten, repräsentierten nicht das Land.
Am Mittwoch hatte er den Aufrührern in einer ähnlichen Ansprache noch seine Sympathien zukommen lassen: «Ihr seid besondere Menschen.» Jetzt erklärt er genau diesen Menschen: Wer immer das Gesetz gebrochen habe, «muss dafür bezahlen».
Trump scheint für sich die Frage beantwortet zu haben, dass er nicht unbedingt noch vor dem 20. Januar aus dem Amt geworfen werden will, wie führende Demokraten und ein paar Republikaner fordern. (Lesen Sie dazu: Abwarten oder absetzen: Wie geht es weiter mit Donald Trump?)
Es ist die Rede, die Präsidenten in der Regel dann halten, wenn die Niederlage nicht mehr abwendbar ist
In seiner 2:41 minütigen Ansprache wirkt er recht kleinlaut. Dem Land als Präsident zu dienen sei «die Ehre seines Lebens» gewesen, säuselt er. Schon an dem Satz sind zwei Dinge bemerkenswert im Vergleich zu allen Reden, die er seit der Wahl gehalten hat. Erstens: Vergangenheitsform. Zweitens: kein «vielleicht» oder «mal sehen» oder «wer weiss, was passiert». Er scheint einzusehen, dass seine Zeit im Weissen Haus bald um ist. (Lesen Sie dazu auch: Ein Anschlag, der alles verändert)
Zudem ruft Trump zu «Heilung und Versöhnung auf», erklärt, dass es nach der Wahl eine intensive und «emotionale Phase» gegeben haben, sich die Gemüter jetzt aber beruhigen müssten. Es ist die Rede, die Präsidenten in der Regel dann halten, wenn die Niederlage nicht mehr abwendbar ist. Das war sie am 7. November bereits, als alle grossen Sender Joe Biden zum Sieger erklärt hatten.
Trump rechtfertigte seine Versuche, das Wahlergebnis in Frage zu stellen, damit, dass er lediglich die «Integrität der Wahl» habe sichern wollen. Er habe so «dafür gekämpft, die amerikanische Demokratie zu verteidigen».
«Eine neue Regierung wird am 20. Januar in das Amt eingeführt.»
An einer Stelle fehlt in dem Video eindeutig etwas. Trump stellt zunächst fest, dass der Kongress die Wahl zertifiziert habe. Ein Faktum, das anzuerkennen ihm nicht leichtgefallen sein dürfte. Danach ist ein Schnitt erkennbar, etwas scheint entfernt worden zu sein. Was das war, darüber darf spekuliert werden. Trumps nächster Satz jedenfalls lautet: «Eine neue Regierung wird am 20. Januar in das Amt eingeführt.»
Er verspricht noch, einen sanften Wechsel der Macht zu ermöglichen. Und hat dann noch eine Botschaft für seine womöglich enttäuschten Anhänger: «Ich will, dass ihr wisst, dass unsere unglaubliche Reise gerade erst beginnt.» Das darf als Drohung verstanden werden.
Trump gesteht keine Fehler ein
Seine eigene Verantwortung für den Sturm auf das Kapitol hat Trump mit keinem Wort angesprochen. Er gesteht keinen Fehler ein. Er hat so gesprochen, als hätte es seine Wutrede vor dem Weissen Haus am Mittwoch, seinen unverblümten Aufruf zum Putsch nie gegeben. (Lesen Sie dazu: Brandstifter Trump und seine Biedermänner)
Die Demokraten werden ihm ohnehin keinen Satz seiner Rede abnehmen. Sie wollen ihn aus dem Amt hebeln, so schnell es geht. Die beiden demokratischen Führer im Kongress, Senator Chuck Schumer und die Sprecherin des Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi, haben klar gemacht: Entweder Vize-Präsident Mike Pence initiiert ein Amtsenthebungsverfahren nach Zusatzartikel 25 der Verfassung. Was bedeutet, dass eine Kabinettsmehrheit auf sein Bestreben hin Trump für amtsunfähig erklärt und Pence zum Präsidenten ernennt. Oder der Kongress, der bald vollkommen in demokratischer Hand sein wird, leitet selbst ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen Trump ein.
Pence will nicht bei Absetzung mitmachen
In beiden Fällen kann sich das ziehen. Es ist fraglich, ob Trump noch vor dem 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung nach einer Präsidentenwahl, aus dem Amt entfernt werden kann. Pence will sich dem Vernehmen nach ohnehin nicht auf die Absetzung über den Zusatzartikel 25 einlassen. Unterdessen reichen immer mehr Mitglieder der Regierung ihren Rücktritt ein (Lesen Sie dazu: Jetzt haben auch die Opportunisten genug).
Am späten Donnerstag ist es Bildungsministerin Betsy DeVos, die sagt, dass ihr Trumps Rhetorik nicht gefallen habe. Zwei Wochen vor der Amtsübergabe kehrt plötzlich ein Gewissen zurück. Verkehrsministerin Elaine Chao war DeVos zuvorgekommen. Auch mehrere Regierungsmitarbeiter aus der zweiten und dritten Reihe haben ihre Rücktritte eingereicht.
Der Weg über den 25. Verfassungszusatz fällt also aus, wenn Pence nicht mitmacht. Es bliebe nur der parlamentarische Weg. Im Repräsentantenhaus könnte die einfache Mehrheit für eine Anklage, dem Impeachment, schnell zustande kommen. Das gelang schon 2019. Ob es im Senat für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit reicht, um Trump zu verurteilen, ist fraglich. Im Senat sitzen nun 50 Demokraten und 50 Republikaner. Die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris kann ein Patt zugunsten der Demokraten auflösen, wenn es nur darum geht, eine absolute Mehrheit zu erzielen. Von zwei Dritteln aber sind die Demokraten weit entfernt.
Trump könnte der erste US-Präsident sein, der zweimal impeached worden ist
Sollte es dennoch klappen, dann kann der Senat Trump auch gleich verbieten, jemals wieder öffentliche Ämter anzunehmen. Eine Kandidatur 2024 wäre dann ausgeschlossen. Vielleicht wäre das ja ein Köder, mit dem sich der eine oder andere Republikaner locken liesse.
Pelosi und Schumer scheinen sich ohnehin festgelegt zu haben, irgendwas in Richtung Amtsenthebung wird passieren. Trump läuft dann Gefahr, nicht nur ein One-Term-Präsident zu sein, der das Land in katastrophalem Zustand hinterlässt. Er könnte auch der erste US-Präsident sein, der zweimal impeached worden ist.
Darum wohl hielt Trump diese Ansprache, darum seine milden Töne, seine Rede von «Heilung und Versöhnung». Seht her, so ein Rüpel bin ich gar nicht. Die Demokraten werden sich davon nicht beeindrucken lassen. Wie sagte Joe Biden am Tag des Sturms auf das Kapitol: «Genug ist genug ist genug.»
Mit Material der SDA
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