Traumziel Bhutan Der mythische Ort, der mit der Zeit geht
Das Himalaja-Königreich zählt zu den bezauberndsten Reisezielen in Asien. Ohne den geldbringenden Tourismus wäre es kaum möglich, die einzigartigen Kulturstätten inmitten der atemberaubenden Landschaft zu erhalten.
Schon die Anreise nach Bhutan wirkt wie eine Inszenierung. Wer von Delhi oder Kathmandu in Richtung Paro fliegt, kriegt die Himalaja-Kulisse quasi vors Fenster geliefert. «Zu Ihrer Linken können Sie den höchsten Berg der Welt sehen», kündigt der Pilot das Gipfelspektakel an, während die Fluggäste aufgeregt ihre Smartphones zücken. Mount Everest, Lhotse, Makalu – die Nummern 1, 4 und 5 in der Topliga der Achttausender scheinen vom weichen Flugzeugsitz aus greifbar nah.
Zum Finale legt sich die Druk-Air-Maschine zwischen schroffen Berghängen nochmals kräftig in die Kurve, um dann im engen Paro-Tal vor ländlicher Idylle zu landen. Wuchtige Fachwerkhäuser verteilen sich dort zwischen Reisfeldern, vom Berghang grüsst der festungsartige Paro Dzong. In der Ankunftshalle hängt das Porträt des jungen Königs, die Wände sind mit Motiven aus der buddhistischen Bilderwelt geschmückt. Tashi Delek , «Möge Glück in dir gedeihen», heisst es vielversprechend auf einem Banner. Auf eigenartige Weise fühlt sich dies alles sehr heimelig-vertraut an – über 7000 km von der Schweiz entfernt.
«Welcome to Bhutan», begrüssen die Guides ihre Reisegruppen. Sie sind froh, haben sie nach der langen Zwangspause wieder Arbeit. Zwar kamen die rund 770’000 Bhutanerinnern und Bhutan recht gut durch die Pandemie, doch die Wirtschaft hat ziemlich gelitten. Und das hat viel mit dem Tourismus zu tun – neben Wasserkraft ein zentraler Devisenbringer. Zwei Jahre waren die Landesgrenzen dicht. Seit sie wieder offen sind, laufen erschreckend viele junge Menschen davon – jeder Sechste der unter 25-Jährigen ist arbeitslos. Vor allem junge Frauen suchen das Weite.
Die Hauptstadt liegt auf 2300 Metern – und sie boomt
Aber jetzt erst mal in den knorrig-alten Kyichu Lakhang, einen buddhistischen Tempel ein paar Kilometer vom Flughafen entfernt, mit hübschem Garten, groben Steinmauern und streng blickenden Figuren. Fast 1400 Jahre soll er alt sein – von einem tibetischen König erbaut, um eine Riesendämonin zu bändigen, so die Legende. Dem Jetlag-geplagten Reisenden tut die Ruhe im finsteren Innern gut. Gläubige in ihren Kimono-artigen Trachten lassen Gebetsketten durch ihre Finger gleiten, Kinder drehen an den Gebetsmühlen, ein Lama überreicht dem Gast bei der Segnung einen weissen Begrüssungsschal. Die wüste Welt mit all ihren Problemen ist jetzt ganz weit weg.
Dann weiter in die Hauptstadt Thimphu mit ihren mehrstöckigen Häusern, die alle irgendwie gleich aussehen. Man fühlt sich ein wenig an ein bhutanisches Monaco erinnert. Jeder fünfte Landesbewohner lebt hier, darunter auch Tshering Wangmo. Als immer mehr Touristen ins Land kamen, eröffnete die 49-Jährige das Thimphu Towers Hotel im Herzen der Stadt. 28 geräumige Zimmer, grosse Fenster, viel Holz und bunt bemalte Säulen – die Mittelklasseunterkunft verbreitet angenehmes Wohngefühl.
«Dort, wo mein einfaches Geburtshaus stand, begrüsse ich heute Gäste aus aller Welt», erklärt sie stolz bei einer Tasse heissem Milchtee mit Blick auf den zentralen Clock Tower Square. Das dem Platz seinen Namen gebende, reich verzierte frei stehende Glockentürmchen zeigt fünf Uhr nachmittags. In dem auf 2300 Metern über Meer gelegenen Thimphu ist es um diese Tageszeit schon ganz schön frisch.
«Gastfreundschaft ist in unserer buddhistischen Kultur tief verankert. Schon die Häuser unserer Vorfahren standen müden Durchreisenden immer offen.» Und das möchte sie ihren jungen, meist weiblichen Hotelangestellten weitergeben, die alle aus ärmlichen Verhältnissen stammen. «Sie haben wie ich weder einen höheren Schulabschluss noch eine Ausbildung und können trotzdem etwas aus ihrem Leben machen», erklärt Tshering weiter. Dabei sei der Kontakt mit Menschen aus der ganzen Welt enorm wichtig: «Von jeder Begegnung mit Gästen lernen sie etwas.» Zum Arbeiten müssen sie nicht hinaus in die Welt, die kommt quasi zu ihnen. Es ist ihre Art, den Frauenexodus zu stoppen.
In den 1950ern zogen hier noch Pferdekarawanen durch
Eine interkulturelle Brückenbauerin ist auch Kunzang Choden, die mit ihrem Schweizer Ehemann Walter im Ogyen Choling wohnt, einem über 120 Jahre alten Herrenhaus im Tang-Tal, 280 km östlich von Thimphu. Die massiven Steinfassaden des fünfstöckigen Baus erheben sich auf einem Hügel vor traumhafter Bergkulisse und sind schon von weitem zu sehen.
Als Kunzang dort 1952 geboren wurde, zogen hier noch Pferdekarawanen aus Tibet und Indien vorbei, um mit Himalajasalz, Reis, Färberkrapp (u.a. zur Färbung der Mönchsroben), Textilien und handgeschöpftem Papier zu handeln. Weder gab es Strassen noch Schulen. «Bücher waren Mangelware, die Winter kalt und Besucher rar», erinnert sie sich. Ihre Schulzeit verbrachte sie daher in einem katholischen Internat im bengalischen Kalimpong, wo es für Mädchen aus Bhutan eine der wenigen Möglichkeiten gab, eine gute Bildung zu erhalten.
Ihren Walter lernte Kunzang in den 1970er-Jahren in Bumthang kennen, wo der Agrarexperte für ein Schweizer Entwicklungsprojekt arbeitete. Als erste Frau Bhutans schrieb Kunzang Bücher in englischer Sprache – meist erzählt sie darin Legenden, viele sind bunt bebildert.
Das alte Herrenhaus wandelte ihre Familie 2001 in ein Heimatmuseum um, die dort hängenden Dämonen- und Göttermasken wurden einst bei Tempelfesten getragen. In einem Seitenflügel eröffnete sie 15 Jahre später das Ogyen Choling Heritage House. Somit ist es ein perfekter Ort, um die Gegend zu erkunden, entlang der alten Karawanenpfade zu wandern und das entspannte Landleben zu geniessen. Und natürlich die leckere Küche zu probieren oder bei einem Kochkurs kennen zu lernen: «Fragen Sie mich nicht, was im Garten so alles wächst. Das ist Sache meines Mannes», lacht Kunzang. Jedenfalls schmeckt es den Gästen. Die frischen Salate («alles Bio!») und Kartoffelgratins sind ein Gruss aus seiner Schweizer Heimat, Ema datshi (scharfe Chilischoten in Käsesauce), Buchweizenfladen und Momos (gefüllte Teigtaschen) typisch für die Himalajaregion.
Auf Safari sieht man Tiger, Elefanten und unzählige Vogelarten
Auch Jamyang Chhophel aus Trongsa freut sich wieder auf die Rückkehr der Gäste, sein Yangkhil Resort ist gut gebucht. Vor 20 Jahren hat er das Dreisternehotel an perfekter Lage errichtet: Vom Garten aus eröffnet sich ein Panoramablick auf den gewaltigen Trongsa Dzong, den grössten der vielen Burgfestungen, die sich im ganzen Königreich verteilen und heute meist regionaler Verwaltungssitz und Kloster in einem sind. Doch keine Festung liegt so dramatisch wie diese.
Auf einem Bergrücken gelegen, hat sich unter ihr der Mangdi-Fluss tief in die Erde gegraben. Im Inneren verliert man sich zwischen knarrenden Korridoren, dunklen Gebetsräumen und zähnefletschenden Dämonen, welche manche Steinwand zieren.
Die reiche Kultur sei das eine, das man zu bieten habe, sagt Jamyang. Man merkt dem 50-Jährigen aber an, dass er sich vor allem für das andere begeistert: die einzigartige Natur. «Bhutan ist auch für Adventure-Touristen interessant», meint er. Und da sieht er Trongsa in der Landesmitte mit den Wanderrouten durch die nahen Schwarzen Berge als perfekter Ausgangspunkt. «Auch der Royal Manas National Park ist nur vier Fahrstunden entfernt. Bei einer Safari kann man auf Tiger und Elefanten treffen – und auf viele der über 360 Vogelarten.» Es gibt, wenn es nach Jamyang geht, also Hunderte Gründe, nach Bhutan zu reisen. Den Mount Everest gibts gratis dazu.
Fehler gefunden?Jetzt melden.