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Biniam Girmays 3. Etappensieg
Zu Hause in Eritrea bejubeln sie ihn auf der Kinoleinwand

Intermarche - Wanty team's Eritrean rider Biniam Girmay celebrates on the podium with the best sprinter's green jersey after the 11th stage of the 111th edition of the Tour de France cycling race, 211 km between Évaux-les-Bains and Le Lioran, on July 10, 2024. (Photo by Thomas SAMSON / AFP)
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Der Plan war eigentlich, dass Biniam Girmays Familie ihn in Frankreich vom Strassenrand aus anfeuert. Doch ihre Ankunft ist verschoben, denn Girmay ist zu erfolgreich. Drei Etappen hat er bereits für sich entschieden, zuletzt das 11. Teilstück nach Villeneuve-sur-Lot. Und mit jedem weiteren Sieg und mit jedem Tag im grünen Trikot des besten Sprinters schafft der 24-Jährige Eritreer noch eindrücklicher, was keiner vor ihm geschafft hat.

«Die Stimmung zu Hause ist so wahnsinnig, dass meine Familie vielleicht auch gerne da bleibt», erzählte er kürzlich «L’Equipe». Zu Hause in Eritrea gehen die Girmays nämlich jeden Tag ins Kino. Biniams Frau, seine Cousins, alle verfolgen sie mit den Fans die Etappen. Zu feiern haben sie viel.

Am vorletzten Montag, am Ende der 3. Etappe, im Ziel in Turin, hatte Girmay mit Mühe die Tränen unterdrückt, ehe ihm ein Teamkollege um den Hals fiel und korrekterweise mitteilte, dass er soeben «fucking history» geschrieben habe.

Verdammte Geschichte. Denn nie zuvor gewann ein Eritreer eine Etappe bei der schwersten Radrundfahrt der Welt, nie zuvor ein schwarzer Afrikaner – auch wenn die meisten Eritreer sich nicht zuvorderst so bezeichnen würden, sondern als Habesha, als Angehörige der semitischsprachigen Volksgruppen.

Das Missgeschick beim Giro d’Italia

Das Geschichtsträchtige schwingt immer mit, wenn Girmay seine Siege einfährt. In der grossen europäischen Öffentlichkeit gelang ihm das 2022 mit seinem Triumph beim Halbklassiker Gent–Wevelgem. Und im selben Jahr beim Giro d’Italia, als er die 10. Etappe gewann – natürlich im Sprint, als erster Eritreer.

Auf diesen bis zu Beginn der Tour grössten Erfolg folgte aber ein skurriles Missgeschick mit grossen Folgen: Bei der Siegerehrung sauste Biniam Girmay der Korken einer Champagnerflasche ins linke Auge, mit der Folge, dass er tags darauf auf die elfte Giro-Etappe verzichten musste. Da war die Rundfahrt gelaufen.

«Durch Teklehaimanot änderte sich alles»

Es war sein Vater, der Biniam Girmay die Tour de France vor dem Fernseher erklärte. Und als der kleine Bini es kapiert hatte, da meinte sein Vater, dass er es selbst dorthin schaffen könne. «Du musst nur an deine Chance glauben.» Und während ein 15-Jähriger in der eritreischen Hauptstadt Asmara noch mehr träumte als glaubte, radelte sich ein 26 Jahre alter Mann in Frankreich ins Gedächtnis der Tour de France: Dem Eritreer Daniel Teklehaimanot gelang es am 9. Juli 2015, als erster afrikanischer Radsportler das gepunktete Trikot des besten Bergfahrers zu erobern. «Dadurch änderte sich alles», erzählt Biniam Girmay, «das liess mich an meine Chancen glauben.»

Eritrea's Daniel Teklehaimanot, wearing the best climber's dotted jersey, greets fans of Eritrea prior to the start of the eighth stage of the Tour de France cycling race over 181.5 kilometers (112.8 miles) with start in Rennes and finish in Mur-de-Bretagne, France, Saturday, July 11, 2015. (AP Photo/Christophe Ena)

«Es gab viele Hindernisse», berichtet Biniam Girmay. Die kleinen Rennen, die sich Nachwuchs-Radsportlern in Afrika böten, «geben uns nicht wirklich die Möglichkeit, unser volles Potenzial zu zeigen», sagt er. «Wenn man sich die letzten zehn Jahre anschaut, gibt es sicher viele Talente in Afrika. Es kommt aber darauf an, wie die Radsport-Teams die afrikanischen Fahrer unterstützen.»

In der Leichtathletik zählen Sportler aus Afrika mit zu den Weltbesten. Im internationalen Radsport indes spielen sie nahezu keine Rolle. Von den 176 gestarteten Fahrern der diesjährigen Tour sind lediglich drei vom afrikanischen Kontinent: neben Girmay noch Louis Meintjes, sein Teamkollege beim belgischen Team Intermarché-Wanty, und Ryan Gibbons (Lidl-Trek), beide kommen aus Südafrika.

«Ich erinnere mich daran, dass ich als Jugendlicher die Kultur in Europa, Englisch und die Radsportfachsprache lernen musste», sagt Girmay. Dank der aussergewöhnlichen Unterstützung seines Vaters lernte er früh und schnell. Wer erst mit 23 oder 24 so weit ist, sagt er, «hat zu viel Zeit verloren».

Die Erfolge seines Idols Daniel Teklehaimanot haben den Radsport in Eritrea vorangebracht. Nicht wenige lokale Teams haben inzwischen professionellere Trainingsbedingungen, bisweilen gibt es gar Wohnungen für die Fahrer. «Ich hoffe, dass diese Entwicklung weitergeht», sagt Girmay, ehe er zum Appell ansetzt: «Bitte suchen Sie weiter nach jungen afrikanischen Talenten, unterstützen Sie sie und integrieren Sie sie in Europa.»

Vor der Heimfahrt noch das Olympiarennen

Seine Familie soll nun spätestens zum Finale der Tour nach Nizza kommen. Die Chance, dass Girmay da zum besten Sprinter der Tour gekürt wird, ist durchaus da. Zu Hause in Eritrea müssen sie aber noch etwas länger auf ihn warten. Vor der Heimreise bestreitet Girmay noch schnell das Olympische Strassenrennen in Paris.