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Prozess gegen syrischen Flüchtling
Tödlicher Hass auf Homosexuelle

Dresden, 4. Oktober 2020: Ermittler stellen eines der zwei Messer des tatverdächtigen Syrers sicher. 
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Am Abend des 4. Oktober 2020 stach ein Mann in der Nähe des Dresdner Residenzschlosses auf ein homosexuelles Paar aus Nordrhein-Westfalen ein. Der 55-jährige Thomas L. starb kurz darauf, sein 53-jähriger Lebenspartner überlebte, schwer verletzt.

Dem mutmasslichen Täter kam die Polizei durch Spuren am Schuh eines Opfers auf die Schliche. Sechzehn Tage nach der Tat wurde der 20-jährige syrische Flüchtling Abdullah al-H. verhaftet. Er war den Behörden als gewaltbereiter Islamist bekannt und hatte erst fünf Tage vor der Tat das Gefängnis verlassen.

Das Paar hatte sich umarmt

Am Montag beginnt der Prozess. Der Generalbundesanwalt wirft H. Mord und versuchten Mord «aus radikalislamistischer Gesinnung» vor. Er habe aus Hass auf Homosexuelle gehandelt. Zeugen wollen gesehen haben, dass die beiden Männer sich kurz vor der Tat umarmt hätten, für den mutmasslichen Täter als mögliche Anschlagsziele also erkennbar waren.

In Chats mit Anhängern der Terrormiliz Islamischer Staat hatte sich H. schon früher damit gebrüstet, einen Schwulen geschlagen zu haben. «Er wollte die beiden Tatopfer als Repräsentanten einer von ihm als ‹ungläubig› abgelehnten freiheitlichen Gesellschaft auslöschen», heisst es nun in der Anklage. H. schweigt bisher zu den Anschuldigungen.

Dass die beiden Opfer ein Paar waren, wurde erst Tage nach der Tat durch Recherchen von Medien und Reaktionen von Schwulenorganisationen bekannt. Die sächsischen Behörden hatten es zunächst abgelehnt, über die sexuelle Orientierung der Opfer zu informieren. Organisationen, die sich für die Rechte Homosexueller und anderer sexueller Minderheiten einsetzen, kritisierten dies scharf: Wären die Opfer Juden oder Farbige gewesen, wäre dies zu Recht thematisiert worden.

Trauer nach dem Anschlag: Kerzen und Blumen in der Dresdner Altstadt.

Unterbleibe dies bei Opfern von Hassgewalt gegen sexuelle Minderheiten, verdecke dies auch den Blick darauf, dass die homophobe Gewalt zuletzt stark zugenommen habe. Bestätigt der Prozess den Verdacht, kam es in Dresden erstmals in Deutschland zu einem islamistisch motivierten Mordanschlag auf Homosexuelle.

Ein Politikum wurde die Messerattacke zunächst vor allem, weil H. von den sächsischen Behörden bereits als «Gefährder» geführt wurde, dem jederzeit ein Anschlag zuzutrauen sei. Die Tat beging der junge Syrer quasi unter den Augen des Staates, da er seit seiner Freilassung observiert wurde – allerdings nicht zur Tatzeit.

Warum wurde der junge Syrer nicht ausgewiesen?

H. war 2015 als 15-Jähriger allein nach Deutschland geflüchtet und hatte sich schon kurz darauf radikalisiert. 2017 wurde er wegen Vorbereitung einer «schweren staatsgefährdenden Straftat» und anderer Delikte zu einer dreijährigen Jugendhaftstrafe verurteilt. Nach seiner Freilassung kam der junge Mann unter «Führungsaufsicht»: Eine Sicherungsverwahrung oder eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung liess das Gesetz jedoch nicht zu.

Auch die Profis einer Deradikalisierungsfirma täuschte H. eiskalt. Noch am Tag nach der Tat meldete er sich ungerührt zu neuen Gesprächen bereit. Dass man den Anschlag trotz aller Vorsichtsmassnahmen nicht habe verhindern können, sei «sehr bitter», meinte der Chef des sächsischen Verfassungsschutzes, Dirk-Martin Christian.

In ein anderes Herkunftsland wäre H. nach der Strafe wohl ausgewiesen worden, aber nach Syrien galt bis Ende 2020 ein generelles Abschiebeverbot. Als Reaktion auf die Tat muss seither auch für dieses Bürgerkriegsland in jedem Fall einzeln geprüft werden, ob eine Ausschaffung nicht doch möglich wäre. Nach Angaben des Innenministeriums leben derzeit 90 islamistische Gefährder aus Syrien in Deutschland. Seit 2009 habe man insgesamt siebzehn islamistische Anschläge verhindert.