Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Tiktok-Comedian Eric Lüthi
Auch das ist Comedy aus dem Labor

Portrait von Comedy-Newcomer Eric Lüthi vor seinem Studio in Winterthur. 12.10.23

Auf TikTok imitiert er Schweizer Stereotype und wirkt wie ein Blödelpate. Doch hinter dem Comedian steckt auch die klare Strategie einer jungen Winterthurer Agentur.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Der Tiktok-Comedian sieht so aus, wie man sich einen Tiktok-Comedian vorstellt: Baseballjacke, Trainerhose, Turnschuhe. Streetwear halt, und die Umgebung, in der dieser bei der Jugend so beliebte junge Mann seine Videos austüftelt, ist tatsächlich ziemlich «street»: Ein stillgelegtes Industriegelände in Winterthur, alte Kranhebeinstallationen hängen von der Decke, darunter stehen Bildschirme, Pingpongtische, Umzugskartons. Die Büros trennen nur Spanplatten, statt Ruhe gibt es Gründergeist, statt Aussicht über Dächer einen Blick in die Zukunft.

Gestatten, Eric Lüthi, Detailhandelverkäufer aus Winterthur, 30 Jahre alt – und vielleicht gerade die berühmteste Figur in der Social-Media-Deutschschweiz. Lüthi ist ziemlich lustig, das kann man als einigermassen zuverlässig verbürgt ansehen: Jüngst gewann er einen Swiss Comedy Award; über seine Videos, die er als «ericwdrae» auf Tiktok veröffentlicht, lachen regelmässig über eine halbe Million Nutzer, immerhin ein Viertel der unter 26-Jährigen in diesem Land. Zum Vergleich: Als vor drei Wochen das neue Comedy-Format «Sendung des Monats» auf SRF seinen Einstand feierte, schalteten sich 175’000 Leute ein.

Sich «irgendwie zum SRF zu hangeln» ist vorbei

Lüthi ist ein Comedian fernab der TV-Öffentlichkeit. Seine Figuren wie den «HB-Hänger», ein etwas prolliger Jüngling mit Balkan-Einschlag, den überdreht kumpelhaften Jugendarbeiter Martin oder die adoleszendierende Migrantentochter Bresha hat er über seine eigenen Kanäle bekannt gemacht. Traditionelle Medien haben sich bislang nur wenig für ihn interessiert, er verbreitet sich ausschliesslich digital, fast ausschliesslich über Social Media, an 136’000 Follower auf Tiktok, an 39’000 auf Instagram. Als Lüthi im Mai zusammen mit seinen Comedy-Kollegen Flavio Leu und T-Ronimo im Zürcher Club Plaza zum ersten Mal auf einer Bühne auftrat, war der Saal voll.

Reichweite lässt sich heute aus dem Kinderzimmer aufbauen, Youtuber und Szenegrössen wie Aditotoro haben das eindrücklich bewiesen, die Schweizer Vorreiter im Genre der Internet-Video-Comedy hiessen vor ein paar Jahren Gabirano, Bendrit und Zeki. «Der Weg, sich mit kleinen Auftritten irgendwie zum SRF zu hangeln, ist nicht mehr attraktiv», sagt Philipp Nüssli. Er ist ein Start-up-Gründer, wie sie einem auf dem Industrieareal in Winterthur gleich in mehrfacher Ausführung entgegenkommen: jung, überzeugt, mit mehr Gedanken darüber, was bald sein wird, als darüber, was derzeit ist.

In Nüsslis Büro sticht einem ein Buch ins Auge: «Eine Million Follower: Wie man in nur 30 Tagen seine Social-Media-Präsenz massiv erhöht». Das macht alles einen ziemlich kalkulierenden Eindruck. Bleibt Raum für Kreativität?

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Offenbar, denn seine «Creators», wie Nüssli die Social-Media-Berühmtheiten nennt, die bei seiner Firma unter Vertrag stehen, müssen sich nur noch darum sorgen: um die Inhalte. Um den Rest kümmert sich Nüsslis Unternehmen, die Content- und Branding-Agentur Headz Agency aus Winterthur, die er vor zweieinhalb Jahren gegründet hat, mittlerweile beschäftigt sie fünf Mitarbeitende. Sie kümmert sich für Figuren wie Eric Lüthi um die Taktierung der Inhalte, Auftritte im echten Leben und vor allem: Um die Deals mit zahlenden Sponsoren, der Schnittstelle, an der die Comedians auch zu Influencern werden.

Von solchen Deals lebt Lüthi, seit er vor bald zwei Jahren seinen Job als Verkäufer bei Jelmoli gekündigt hat. Pro Monat kommt so in der Regel ein fünfstelliger Betrag zusammen. Der Manager bezieht von Lüthis Einkünften Provision, dafür vermittelt er ihn an den nächsten Kunden. «Ein bisschen wie im Fussball», sagt Nüssli. 

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Damit das Geschäft läuft, muss Lüthi Videos publizieren, zwei bis drei pro Woche, auch, wenn er in den Ferien ist. Nur etwa jedes zehnte, zwölfte Video entsteht in Zusammenarbeit mit einem Sponsor, ist also bezahlter Inhalt und auch als solcher zu erkennen – der Konsument auf Tiktok würde sagen: Werbung. Lüthi bewirbt darin zum Beispiel Eistee, die SBB oder ein Handy, jeweils in einem einstudierten Clip, den er wie all seine Sketches mit seinen Mitstreitern in der Agentur bis ins Detail schreibt, konzipiert, abdreht und schneidet. Solche Werbedeals sind die einzigen regelmässigen Einkünfte im Geschäftsmodell des Neo-Berufscomedians.

Als Influencer will sich Eric Lüthi nicht verstanden haben. Die Kunst sieht er eher darin, dass seine Follower erst gar nicht wirklich realisieren würden, dass sie Werbung schauten. Sein HB-Hänger fährt mit den SBB an einen Rave, Bresha scrollt auf dem neuen Samsung-Galaxy-Klapphandy. So weit, so gut, so verlockend für jeden Social-Media-begeisterten Teenager. 

Portrait von Comedy-Newcomer Eric Lüthi in seinem Studio in Winterthur. 12.10.23

Auf TikTok imitiert er Schweizer Stereotype und wirkt wie ein Blödelpate. Doch hinter dem Comedian steckt auch die klare Strategie einer jungen Winterthurer Agentur.

Die Geschichte des Comedians Eric William Andrew Lüthi – woraus sein Tiktok-Handle «ericwdrae» entstanden ist – beginnt gewissermassen im Outdoorladen Transa in Winterthur. Dort hat er die Lehre als Verkäufer gemacht, später für Manor und Jelmoli gearbeitet, aber so zufrieden damit war er nie ganz. «Er brauchte einen Tritt in den Hintern», sagt Agentur-Chef Nüssli, der ihn seit der Jugend kennt. «Vor zwei Jahren war ich noch der Pausenclown», sagt Lüthi, «jetzt bin ich ein Pausenclown auf Tiktok.»

Lüthi hört zu, allen und überall

Lüthi stieg quer und steil ein, versuchte sich mit ersten Videos. «Imitieren kann er nach ein paar Stunden jeden», sagt Nüssli. Lüthis Figuren zeichnet eine derbe, aber variantenreiche Jugendsprache aus, nuanciert nach Herkunft und Hintergrund, eine Art Internet-Esperanto mit ebensovielen Anglizismen wie Lehnwörtern aus dem Albanischen und Arabischen.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Lüthi hört zu, allen und überall, im Zug, im Laden, auf der Strasse, «ich kann gar nicht anders und sollte mich wohl öfter mal auf meine eigenen Gespräche fokussieren». Manchmal springt er kurz vor dem Einschlafen auf und notiert eine Idee, auch mal erste Dialogzeilen. Während die jungen Aussenreporter in den SRF-Comedyformaten mit dem Mikrofon auf Anlässe im vorzugsweise ländlichen Umfeld geschickt werden, um dem überrumpelten Gegenüber Situationskomik zu entlocken, schreibt Lüthi alles auf, Zeile für Zeile. «Spontan ist nicht so mein Ding», sagt er, «und wenn man mich als 17-Jährigen gefragt hätte, welcher Ständerat aus welchem Kanton kommt, mein Gott, was wär da rausgekommen?»

Seine Scripts setzt er in der Regel mit T-Ronimo zum Video um, mit Taulant Gashnjani, seinem Kollegen. Der kam mit sechs Jahren von Kosovo in die Schweiz und landete beim Theater, bis vor ein paar Monaten war er Partnermanager bei einem Softwareunternehmen. Nüssli brachte die beiden zusammen und sagte ihnen: «Jetzt müsst ihr auf Tiktok setzen.» Heute stehen beide bei ihm unter Vertrag. Der Vorstoss ins Feld zwischen Entertainment und Influencing ist geglückt: Nebst Lüthis Swiss Comedy gab es für T-Ronimo jüngst auch einen Swiss Influencer Award.

Was gern vergessen geht, wenn man mit den «Creators» in Winterthur auf dem Start-up-Sofa hängt und Kaffee trinkt: Die meisten von ihnen sind um die 30, gut zehn Jahre älter als der Kern ihrer Zielgruppe. Oder anders: Für die Alten mag «ericwdrae» ein Junger sein, für die Jungen aber ist er ein Alter. Eric Lüthi hält dagegen, dass über die Hälfte seines Tiktok-Publikums zwischen 18 und 24 Jahre alt sei, auf Instagram seien die grösste Nutzergruppe die 25- bis 34-Jährigen.

Videos sind mehr wert als grosse Accounts

Und überhaupt, so sagt jetzt Manager Nüssli und schaltet sich mal wieder mit Facts aus der digitalen Welt in die Unterhaltung ein, zähle auf Tiktok längst, wie viele Leute ein Video schauten, nicht, wie viele Leute einem Account folgten. Es gebe «tote» Kanäle mit einer halben Million Follower, aber schlechten Views, «die treiben dann unnötig die Preise für Werbepartner in die Höhe».

Der erfolgreichste Schweizer Tiktoker ist der Foodblogger «thispronto», er hat 13 Millionen Follower, Aditotoro bringt es als bester Comedian auf 1,7 Millionen. Der Account von «ericwdrae» wird mit seinen 136’000 Followern nicht übermässig gut gefolgt, andere in der Agentur versammeln 200’000 oder 300’000 User. Aber seine Videos streuen sich viel weiter, erreichen regelmässig eine halbe Million Views, entsprechend präsent ist sein Account auf Tiktok, entsprechend höher kann Nüssli mit ihm bei Werbedeals den Preis ansetzen. Reach tops Followers, Videos sind mehr wert als ihre Accounts. Auch das ist Comedy aus dem Labor.