Gefragtes Spielzeug von SchleichTierfiguren trotzen der Inflation
Das Geschäft der deutschen Firma Schleich blüht. Warum boomen die Kinderträume aus Hartgummi so? Hintergründe einer Erfolgsgeschichte.
«Tiere», sagt Dirk Engehausen, «sind per se eine globale Sprache.» Ein Elefant ist ein Elefant, und ein Huhn ist ein Huhn. Ob für ein Kind in Europa, eines in Afrika oder ein anderes in Asien. Unterschiede gibt es im echten Leben allenfalls in Details einer Spezies, der Grösse der Ohren etwa, die bekanntlich bei Elefanten in Indien kleiner sind als bei ihren afrikanischen Artgenossen.
In Kinderzimmern spielt daneben die Beliebtheitsfrage eine wichtige Rolle. Mit Pferdefiguren zum Beispiel spielen vor allem Mädchen in Europa. Asiatische Jungs finden Dinosaurier und Drachen besser. Fantastische Trends gibt es auch: Einhörner etwa verkauften sich in Deutschland lange blendend, dann wurden Lamas immer beliebter. Die Folge ist eine Mischung aus beidem: das neue Fabeltier Llamacorn.
Kinderträume aus Hartgummi
Willkommen in der Welt von Schleich. Jenem von Dirk Engehausen geführten deutschen Markenhersteller, der seit Jahren einen rasanten Aufschwung hinlegt, den nicht einmal Inflation, hohe Energiepreise und Risse in den Lieferketten stoppen.
Der Erfolg verblüfft allein deshalb, weil die Produktpalette von Schleich auf den ersten Blick monothematisch und überschaubar daherkommt. Schleich produziert und verkauft selbst in winzigen Details originalgetreue, authentische Tierfiguren aus Hartgummi und daran angepasste Spielewelten. Miniatur-Kühe, -Schweine oder -Hühner zum Beispiel. Dazu den Bauernhof samt Ställen, Gehegen, Traktoren. Man könnte meinen, der Bedarf in Kinderzimmern wäre mit einigen wenigen Käufen auf lange Zeit gesättigt und da käme nichts mehr nach an Kaufbegehrlichkeit.
Ganz abgesehen davon, dass doch der Trend bei Spielzeug seit Jahren eigentlich in eine völlig andere Richtung geht: weg von mechanischem Spielzeug, hin zu allem, was Geräusche von sich gibt, blinkt und am besten auch noch mit der virtuellen Welt der Smartphones und Tablets korrespondiert. «Wir definieren uns seit jeher über extrem gute Qualität und Langlebigkeit unserer Produkte», sagt Engehausen. Erklärt das allein die Erfolgsgeschichte?
Um das herauszufinden, empfiehlt sich ein Besuch bei Engehausen. Nach 13 Jahren beim dänischen Bauklötzchen-Riesen Lego und zehn Monaten bei Tchibo heuerte der ehemalige Bundeswehroffizier und Vater von vier Töchtern 2015 als Vorstandschef bei Schleich an. Einer 1935 von Friedrich Schleich gegründeten Firma, die zu den bekanntesten deutschen Spielzeugmarken gehört.
Engehausen empfängt im vierten Stock eines dieser ebenso modernen wie austauschbaren Business-Hochhäuser im Münchner Osten. Seit 14 Monaten arbeiten hier Marketing- und Vertriebsleute von Schleich. Die Firmenzentrale samt Produktdesignern, Entwicklern und Werkzeugbauern steht in Schwäbisch Gmünd im Osten Baden-Württembergs. Daran werde auch nicht gerüttelt, sagt der Vorstandschef. «Durch unser internationales Wachstum brauchen wir aber auch immer mehr internationale Mitarbeiter», begründet Engehausen den Teilumzug. «Wenn ich jemanden mit chinesischen Wurzeln oder Sprachkenntnissen suche, dann finde ich ihn leichter in München als in Schwäbisch Gmünd.»
«Wenn es von Playmobil Anfragen gegeben hätte, hätte ich als CEO davon bestimmt gewusst.»
China ist insofern ein schlechtes Beispiel, weil Schleich, anders als viele andere Spielzeugbauer, in dem Land keine besonderen Expansionspläne verfolgt. Der strategische Blick richtet sich von München aus vielmehr westwärts auf den amerikanischen Kontinent. 258 Millionen Euro Umsatz hat Schleich 2021 erwirtschaftet, etwa 70 Prozent davon in Europa und 30 Prozent in Amerika.
In Übersee sieht das Management das grösste Wachstumspotenzial. Die Suche nach einem Standort dort ist weit gediehen, aber aus der Sicht von Engehausen noch nicht spruchreif. «Amerika ist unser wichtigster Wachstumsmarkt», sagt er. Mit dem Eigentümer Partners Group sei vereinbart, sich vertrieblich generell auf Wachstumsmärkte zu konzentrieren. Das sind auch Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Grossbritannien. Hergestellt werden die Spielewelten in Europa; 60 Prozent der Tierfigürchen entstehen in China und Vietnam, 25 Prozent in Tunesien, der Rest in Portugal. Damit ist Schleich weit weniger stark von Fernost abhängig als die meisten anderen Spielzeughersteller. Nach wie vor werden drei Viertel der weltweit verkauften Spielwaren in China produziert.
In der Branche wird schon länger spekuliert, Schleich suche einen oder mehrere finanzkräftige Partner für die Expansion auf den amerikanischen Kontinent. Im Februar verbreitete sich die Meldung, dass Deutschlands zweitgrösster Spielzeugbauer Playmobil Schleich übernehmen wolle. Plastikfigürchen und Plastiktierchen, das würde doch passen, so die Logik. Ganz abgesehen davon, dass die Firmenkultur bei Playmobil eine ganz andere ist als bei Schleich – Dirk Engehausen rissen die Meldungen von der möglichen Übernahme frühmorgens in einem amerikanischen Hotel aus dem Schlaf. Allen Anrufern habe er erklärt, dass an den Gerüchten nichts dran sei. «Eine Ente», sagt Chief Operating Officer Engehausen. Wenn es von Playmobil konkretes Interesse oder gar Anfragen gegeben hätte, «hätte ich als CEO davon bestimmt gewusst».
Die laufenden Schleich-Geschäfte entwickeln sich auch ohne zahlungskräftigen Investor gut. Auch 2022 werde der Umsatz im zweistelligen Prozentbereich wachsen, sagt Engehausen. «Das wäre dann das achte Rekordjahr in Folge.» Diese Dynamik verblüfft nicht nur, weil die Spielwarenindustrie gewaltig unter Lieferschwierigkeiten der asiatischen Fabriken einerseits und andererseits den hierzulande steigenden Energiekosten leidet. Skeptiker befürchten, dass die hohe Inflation in Deutschland und der daraus resultierende Sparzwang in vielen Familien dazu führen, dass der Aufschwung der Spielwarenbranche erst einmal vorbei ist. Andererseits wird erwiesenermassen am Kind zuletzt gespart. Bei Schleich geht man von einem guten Weihnachtsgeschäft aus.
Die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet die Firma mit den Spielesets. Engehausen hat sie ein Jahr nach seinem Dienstantritt ins Sortiment eingeführt. An ihnen lässt sich ein Stück weit das Prinzip hinter dem anhaltenden Erfolg erklären: Wenn ein Kind mit einem (Miniatur-)Pferd spielt, wünscht es sich auch den passenden Stall dazu. Wenn dieser fünf Pferdeboxen enthält, reicht ihm ein Pferd auf Dauer eben nicht aus. Und wenn Schleich obendrein nicht nur ein wieherndes Pferd im Sortiment hat, sondern auch ein galoppierendes, eines, das grast und ein viertes, das einfach nur dasteht, weckt das immer neue kindliche Begehrlichkeit. Wenn Engehausen obendrein von Tieren als globaler Sprache redet, dann bedeutet das aus Unternehmenssicht, dass sich diese Tierfiguren auch global vermarkten lassen. Die Kunst bei diesem Geschäftsmodell sei es, «sich nicht zu verzetteln», sagt der Schleich-Chef. 440 verschiedene Tierarten umfasst das Sortiment, statistisch wird die Palette etwa alle drei Jahre runderneuert.
Die Abfalltonnen bleiben leer
Dabei kommt Schleich zugute, dass ein jahrzehntelanger Trend erkennbar abebbt. Lange waren Spielwaren, von Klassikern wie Lego abgesehen, in der Masse Wegwerfwaren. Die Branche befeuerte diese Kurzlebigkeit: Die meisten der eine Million Neuheiten, die jedes Jahr auf der internationalen Spielwarenmesse in Nürnberg präsentiert wurden, waren schon nach wenigen Monaten wieder vom Markt verschwunden. Doch das scheint sich zu ändern. Nachhaltigkeit im Kinderzimmer ist das neue, grosse Thema bei Herstellern und vielen Konsumenten. Schleich spielt das in die Karten, denn die Tierfiguren waren noch nie klassische Wegwerfprodukte. Allein, weil sie sich von Material und Optik so gut wie nicht abnutzen.
«Unsere Produkte werden nicht selten über Generationen hinweg weitergegeben und bespielt», sagt Philipp Hummel, Nachhaltigkeitschef des Unternehmens. Darüber hinaus arbeite Schleich an einer möglichst kompletten Kreislaufwirtschaft, beginnend von der Verwendung nachhaltig zertifizierter Grundstoffe über grüne Energie, mit der das Granulat geschmolzen und in Tierform gegossen wird, bis hin zu etwaigen Rücknahmesystemen. Die allerdings gehen bislang schief. Wo immer etwa in Geschäften Tonnen aufgestellt werden, in die Kinder oder Eltern ausgemustertes Spielzeug werfen können, anstatt es im Müll zu entsorgen – «die Tonnen bleiben leer», sagt Dirk Engehausen. Ob im deutschen Einzelhandel, oder bei Mattel und Hasbro in den USA, zwei der grössten Spielwarenhersteller.
Fehler gefunden?Jetzt melden.