Gen Z an der FahrprüfungSind die Junglenker dümmer, fauler oder falsch gedrillt?
Immer weniger Kandidatinnen und Kandidaten bestehen die Theorieprüfung. Das habe mit einer verfehlten Lernkultur zu tun, sagt der Schweizer Strassenverkehrsamtschef.

Die Fahrprüfung ist bekanntlich vertrackt und besteht aus mehreren Assessments – die Einführung der Probezeit samt obligatorischem Weiterbildungskurs hat hierzulande zu Diskussionen geführt. Doch besonders in Deutschland scheitern die hoffnungsvollen Jungfahrerinnen und Jungfahrer häufig schon an der Theorieprüfung, wie der «Blick» berichtet hat. Dass inzwischen fast 50 Prozent durchfielen, sei allerdings ein neuer Negativrekord, sagt der renommierte deutsche Wirtschaftspsychologe Florian Becker und führte dies jüngst im deutschen Nachrichtenmagazin «Focus» auf «Low-IQ, Verdummung und fehlende Selbstdisziplin» der heranwachsenden Generation zurück: ein vernichtendes Urteil über die Gen Z.
Becker betrachtet die versemmelten Theorieprüfungen als Auswirkung einer Gesellschaft voller «leistungsfeindlicher Komfortzonen» wie «die Schule». Das rapid zunehmende Scheitern bei den Prüfungen passe «in ein trauriges Muster an Daten zur Leistungsfähigkeit von Kindern», analysiert Becker.
Wie sieht die schweizerische Statistik aus? Laut den Zahlen der ASA, der Vereinigung der Strassenverkehrsämter, bewegten sich die Erfolgsquoten für die Theorieprüfung für Motorräder und PW in den vergangenen Jahren zwischen 76 Prozent (2022) und 80 Prozent (2020, 2021): eine auf hohem Niveau sanft fallende Kurve. Die praktische Prüfung fürs Auto wiederum legten im gleichen Zeitraum jeweils knapp 67 Prozent der Prüflinge erfolgreich ab.
Sind die schweizerischen jungen Menschen klüger und disziplinierter als die deutschen? Sven Britschgi, Geschäftsführer der ASA, hat eine andere Erklärung. In den meisten anderen europäischen Ländern würden, neben Fragen zur Regeltheorie, auch Fragen zum Verkehrssinn oder zur Gefahrenerkennung gestellt. Es gehe also nicht nur um Wissen zu den Verkehrsregeln und Schildern. Das sei anspruchsvoller.
In den Gebieten Verkehrssinn und Gefahrenerkennung werden nicht bloss Multiple-Choice-Aufgaben gestellt, bei denen Antworten entweder richtig oder falsch sind. Sondern es wird zum Beispiel nach dem besten oder sichersten Verhalten in einer bestimmten Situation gefragt, das es dann zu erläutern gilt. Oder es muss etwa in einem ablaufenden Film die Gefahr zeitlich und räumlich erkannt werden – und der Bildschirm entsprechend mit der Hand berührt werden.
Britschgi sagt: «In der Schweiz sind solche Fragen an der Theorieprüfung – noch – nicht möglich, weil die Kandidaten noch keine Praxis auf der Strasse haben. Erst die bestandene Theorieprüfung erlaubt das Fahren auf der Strasse mit dem ‹L›.»
In Deutschland gibt es keinen Lernfahrausweis: Fahrten ohne Fahrlehrperson sind verboten. Dafür darf man mit der Fahrlehrperson auch ohne Theorieprüfung fahren. Aktuell findet in der Schweiz eine Überarbeitung des Verkehrskundeunterrichts (VKU) durch das Bundesamt für Strassen statt, sodass später bei der hiesigen Theorieprüfung wohl ebenfalls Fragen zu Verkehrssinn oder der Gefahrenerkennung möglich sind – obwohl die Prüflinge noch keine Fahrpraxis haben.

Abgesehen von den erwähnten Unterschieden zwischen den Ländern sieht Britschgi aber eine Ähnlichkeit: Die hierzulande leicht abnehmende Erfolgsquote in der Theorieprüfung seit 2020 begründet er mit einer vermutlich schlechteren Vorbereitung der Kandidatinnen und Kandidaten und mit deren Selbstüberschätzung.
Aber vor allem ein Phänomen hebt er bei den jungen Leuten hervor: «In jedem Fall ist die Grundproblematik das Auswendiglernen statt Begreifen von Wissen – leider wird Büffeln statt Denken insbesondere in Schulen wie Gymnasium beziehungsweise Kantonsschule gefördert. Wenn dann an der Prüfung eine Basisfrage in einer Variation von Bild oder Text kommt, oder aber die Situation abgeleitet werden muss, dann steht man an mit dem Auswendiggelernten und kommt nicht weiter.»
Auch in der Fahrpraxis zeige sich dieses Manko akut, weil das theoretische Wissen in den stets wechselnden Situationen des Alltagsverkehrs nicht angewendet werden könne. «Wir sehen also die Problematik bei den Neulenkern nicht bei Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, sondern in der verfehlten Kultur des Lernens und in der Unfähigkeit, den Lernstoff wirklich zu verstehen und für die praktische Anwendung umzusetzen.» Diese Beobachtung, die auch in anderen Bereichen zu machen sei, nicht nur beim Führerscheinerwerb, wie Britschgi unterstreicht, sollte Bildungspolitikerinnen und -politikern zu denken geben.
Fehler gefunden?Jetzt melden.