Blick ins ZeitungsarchivKirche Thalwil angezündet und damit 250 Franken verdient
Als vor 80 Jahren die Kirche in Thalwil bis auf das Mauerwerk niederbrannte, sah man die Schuld bei fahrlässigen Handwerkern. Doch für diese zahlte sich das Debakel letztendlich sogar aus.
Vor 80 Jahren war die Erinnerung an den verheerenden Brand, der die reformierte Kirche in Thalwil zerstörte, noch relativ frisch. Die Gottesdienste fanden im Gemeindehaus statt, denn der Wiederaufbau des ausgebrannten Gebäudes war noch lange nicht abgeschlossen. Und jeder Blick zum zerstörten Kirchturm rief ins Gedächtnis, was am 19. Mai 1943 passiert war.
An jenem Tag war bei Renovationsarbeiten an der Blechkuppel ein Feuer ausgebrochen, das sich schnell über das ganze Gebäude ausgebreitet hatte. Die Schuld wurde bei den Handwerkern gesehen, deren Arbeit die Feuersbrunst verursacht hatte. So verurteilte das Bezirksgericht Horgen den Spenglermeister und seinen Hilfsarbeiter wegen «fahrlässiger Brandstiftung» zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Tagen.
Damit hätte die Sache eigentlich erledigt sein können – doch wie im Oktober 1944 herauskam, war sie das nicht: Wie der «Anzeiger des Bezirks Horgen» berichtete, hatten die Handwerker offenbar Berufung gegen das Urteil eingelegt – und das mit Erfolg. Denn das Obergericht war völlig anderer Meinung als die Erstinstanz und sprach die Arbeiter vollumfänglich frei. Ausserdem sollen die Männer eine Entschädigung von je 250 Franken erhalten haben.
Unrealistisches Gutachten
Wie im damaligen Artikel zu lesen ist, hatte sich das Bezirksgericht in seinem Urteil auf ein Gutachten gestützt, das nach dem Brand erstellt worden war. Darin wurde aufgelistet, welche «notwendigen Sicherheitsmassnahmen» die Spengler unterlassen hätten. Darunter die Bereitstellung vermehrter Löschmittel, die Erstellung eines Gerüsts im Turminneren und die Organisation einer ständigen Brandwache.
Das Obergericht überzeugte diese Einschätzung offensichtlich nicht: «Selbst der Verfasser des Gutachtens hätte die jetzt von ihm als notwendig bezeichneten Vorsichtsmassnahmen nicht angeordnet», stand in der Urteilsbegründung. Da insbesondere die letzten beiden Massnahmen nicht zumutbar seien, war der Spenglermeister in den Augen des Gerichts nicht für «die eingetretene Katastrophe» verantwortlich.
Der Hilfsarbeiter hingegen – dessen Arbeit mit der Lötlampe den Brand auslöste – wurde freigesprochen, da an seine Berufskenntnisse und Sorgfaltspflicht geringere Anforderungen zu stellen seien als an diejenigen eines Meisters. Somit blieben beide Spengler nicht nur straffrei, sondern konnten sich auch noch über einen ordentlichen Batzen freuen: In der heutigen Wirtschaft würden die 250 Franken etwa einer Summe von rund 1300 Franken entsprechen.
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