Notstand bis 30. JuniTessin kritisiert schnelle Öffnung
Weil die Tessinerinnen und Tessiner ihr Vertrauen in die Behörden bewiesen haben, müsse jetzt auch verantwortungsvoll gehandelt werden.
Wenig «lineare» Lockerungsschritte und eine allzu rasche Öffnung: Der Tessiner Regierungsrat hat am Donnerstagvormittag Kritik am Bundesrat geübt. Die erlaubten spontanen Versammlungen von bis zu 30 Personen erschwerten das Contact Tracing, monierte Gesundheitsvorsteher Raffaele De Rosa.
Der Bundesrat habe nun das Tempo bei den Lockerungen erhöht, aber nicht alle Entscheide seien «linear», sagte Regierungspräsident Norman Gobbi zu Beginn der Medienkonferenz am Donnerstagvormittag. Die Diskotheken dürften öffnen, Gastrobetriebe müssten jedoch um Mitternacht schliessen.
Mit den aktuellen Zahlen zur Pandemie im Tessin zeigte sich Gobbi aber zufrieden. «Endlich ist da ein Sonnenstrahl am Himmel.» Seit mehreren Tagen gebe es kaum neu gemeldete Neuansteckungen und Todesfälle.
Nachdem die Tessinerinnen und Tessiner in der aktuen Phase der Krise ihr Vertrauen gegenüber den Behörden gezeigt und die Massnahmen vorbildlich befolgt hätten, sei es nun an den Behörden, der Bevölkerung ein gutes Gefühl zu geben. Es gelte jetzt, verantwortungsvoll zu handeln. Im Tessin bleibe deshalb bis zum 30. Juni der Notstand verhängt.
Gobbi wiederholte, was Bundesrätin Karin Keller-Sutter am Mittwochnachmittag gesagt hatte: Die Schweiz plane keine vorzeitige Öffnung der Grenzen in Richtung Italien. Ein Öffnungsdatum werde derzeit diskutiert, und zwar in Absprache mit Deutschland und Österreich. Ab dem 15. Juni seien erste Schritte in Richtung Öffnung denkbar – aber es gebe noch kein fixes Datum, erklärte Gobbi auf Nachfrage einer Journalistin.
«Limitierter freier Personenverkehr»
Welche Art medizinischer Kontrollen an den Grenzen möglich sei, werde derzeit abgeklärt. Der Bundesrat hatte dem Tessiner Regierungsrat bereits vorletzte Woche zugesichert, ihn bei allen Öffnungsschritten eng einzubeziehen.
Zu den konkreten nächsten Schritten konnte Gobbi noch nichts sagen. Sicher sei jedoch, dass es lediglich einen «limitierten freien Personenverkehr» mit Italien geben werde. Die Lombardei habe eine schwierige Zeit hinter sich und das Tessin müsse sich schützen – auch im Namen der lokalen Wirtschaft und des Gesundheitssystems.
Auf die Frage nach den Konsequenzen für Schweizer Rückkehrer aus Italien, sagte Gobbi, dass je nach Situation der Pandemie eine verordnete Quarantäne denkbar sei. Der Bundesrat habe sich dazu jedoch erst sehr vorsichtig geäussert.
Trotz der Lockerungen beginne jetzt eine kritische Phase, hielt Gobbi fest. «Wir steigen vom Berg hinunter, das ist immer heikel.» Angst sei jedoch ein schlechter Ratgeber. Besser sei es, Respekt vor dem Virus walten zu lassen.
Andere Erfahrung des Tessins
Auch Raffaele De Rosa, Vorsteher des Gesundheitsdepartements, übte Kritik am Bundesrat. «Ich hätte es lieber gesehen, wenn sich Bern für den vorsichtigen Weg entschieden hätte.» Speziell die Erhöhung der erlaubten spontanen Menschenansammlungen von fünf auf 30 Personen sei ein grosser Sprung. Das Contact Tracing werde dadurch erschwert.
De Rosa betonte, dass das Tessin eine andere Erfahrung gemacht habe als die Deutsch- und die Westschweiz. «Wir haben am eigenen Leib erfahren, wie lange es dauern kann, bis die Situation sich wieder entspannt.»
Doch die Landesregierung treibe nun eine «beschleunigte Öffnung» voran. Das Tessiner Gesundheitssystem sei jederzeit bereit, falls die Neuansteckungen wieder zunehmen sollten, sagte De Rosa. Sieben Plätze auf der Intensivstation sowie 20 Plätze auf der normalen Abteilung seien ständig für Covid-19-Patienten reserviert.
Zudem werde ein Schutzkonzept für mehr Bewegungsfreiheit in und um die Altersheime ausgearbeitet. Zimmerbesuche sollten wieder möglich werden, und mit einer Schutzausrüstung seien auch Umarmungen wieder denkbar, hielt De Rosa fest. Auch die Covid-19-Check-Points im Kanton blieben mindestens bis zum 30. Juni aktiv.
Noch zwei Personen auf der Intensivstation
Kantonsarzt Giorgio Merlani, der sich in der Vergangenheit häufig sehr besorgt gezeigt hatte, sprach sich an diesem Donnerstagvormittag für die bevorstehenden Lockerungen aus. «Ich gebe zu: Am 11. Mai war ich besorgt, was die Öffnung anging.» Doch heute – zweieinhalb Wochen später – sei die Situation noch immer stabil. «Wir alle müssen nun zur Normalität zurückfinden.» Wichtig sei, dies mit dem Kopf zu tun.
Merlani präsentierte abschliessend kurz die neuesten Zahlen: Derzeit befinden sich im Tessin noch zwei Personen auf der Intensivstation, 40 weitere auf der allgemeinen Abteilung oder in der Rehabilitation. Die Tests auf Coronavirus würden ständig erhöht, erklärte Merlani weiter. Letzte Woche seien 290 Personen getestet worden, und nur ein Prozent der Getesteten sei positiv gewesen. «Das Virus ist da, aber es zirkuliert derzeit kaum.»
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