Huthi-Hipster im Nahostkonflikt Pirat der Woche
«Gott, bist du schön» – ein Video vom Kapern eines Frachtschiffs im Roten Meer geht viral. Über die bizarre Ästhetik des Terrors im Tiktok-Zeitalter.
Der «heisse Huthi-Pirat», der aktuell viral geht, heisst laut «Newsweek» Rashid al-Haddad. Wenn es wahr ist, dass die Kriege der Neuzeit auch immer die Kriege der Bilder sind, dann hat der Nahostkonflikt im Tiktok-Zeitalter nun einen vom «Fluch der Karibik»-Publikum bejubelten Star hervorgebracht. Der die Grenzen zwischen Terror-Tat und Piraterie-Romantik mit den Mitteln der Influencer-Pose überwindet. Und zwar bemerkenswert leicht. Die Banalität des Bösen erhält ein Update durch eine lässige, möglicherweise auch fahrlässige Insta-Variante.
Was bizarr genug ist, aber womöglich ist das Ganze ja auch nur Realsatire. Oder es geht um die Rache der sozialen Medien an den «Asterix»-Heften, in denen die Piraten immer fröhlich versenkt werden – was real schwierig ist im Roten Meer.
Trotz britischer Raketen, trotz USA-Attacken: Die Huthi werden eher unterschätzt. Bis jetzt. Und was macht eigentlich Europa? Denkt noch nach. Darüber, was die aus dem Iran finanzierte moderne Piraterie im Roten Meer, die den kürzesten Weg zwischen Europa und Asien zum teuren Versicherungsfall macht (ausserdem hie und da zum Grab, aber das betrifft ja nicht die Kostenseite), für die Inflation bedeutet.
Von Kampfhandlungen, Enterhaken und Säbelrasseln ist nichts zu sehen
Der jemenitische Huthi-Anhänger jedenfalls, ein Influencer, der mit seinen jüngsten Posts auf Instagram, Tiktok und Snapchat zum Star für wenigstens 15 Minuten wurde und nun zu einer Art Pirat der Woche mutiert, hat Aufnahmen von sich an Bord der unter der Flagge der Bahamas fahrenden und von Japan gecharterten Galaxy Leader geteilt. Hunderttausende haben daraus ein virales Ereignis gemacht.
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Zu sehen ist ein junger Mann mit Flaum auf der Oberlippe. Zu Orient-Pop stiefelt er wie der Herr der sieben Meere über das Deck. Der Himmel ist blau, das Rote Meer ist es auch. Die Aufnahme ist verwackelt. Seegang. Der heisse Huthi-Pirat trägt eine Art Jacke, die als Offiziersmantel durchgeht, eine goldene oder zumindest schimmernde Uhr – und ein belustigtes Lächeln im Gesicht. Von Kampfhandlungen, Enterhaken und Säbelrasseln ist nichts zu sehen. Der Piratengürtel könnte ein Waffengürtel sein – oder auch Reisepass, Ladekabel und eine Banane als Proviant von Mama beinhalten. Man weiss es nicht.
Die Posts des Influencer-Freibeuters – es gibt bislang keine Beweise dafür, dass er wirklich an der Kaperung des Schiffs beteiligt war – erreichen jedenfalls ein Millionenpublikum. Wenn auch nicht gemäss der Intention des Rebells. Die Aktion wird etwa auf Tiktok so kommentiert: «God, you’re beautiful.» An anderer Stelle wird Rashid al-Haddad als «Timhouthi Chalamet» bezeichnet. Das ist eine Anspielung auf den Schauspieler Timothée Chalamet. Den man als Filmherzensbrecher und aktuell an der Seite von Kardashian-Schwester Kylie Jenner kennt. So viel Glamour muss sein.
Der Pirat wird nach einer Telefonnummer gefragt in den Kommentarspalten – und man will wissen, ob er Single ist. Oder demnächst zu Besuch in den USA: «grrrrrr». Man ist fassungslos: Aber offenbar sind die Mittel des Terrors auf See nur schwer von einem Hollywoodset zu unterscheiden. Von Errol Flynn als «Captain Blood» ist es über Johnny Depp als Jack Sparrow im «Fluch der Karibik»-Universum bis zum heissen Huthi-Piraten demnach nur ein Schritt.
Bücher kann man zuklappen, Filme ausschalten – den Terror der Huthi nicht
Die moderne Piraterie, die unter anderem vom Piracy Reporting Center beobachtet wird und jährlich zu Hunderten, ja Tausenden von oft tödlichen Überfällen führt, ereignet sich wie früher oft in Meerengen und inselreichen Gebieten. Die Piraterie kennt den einfach Hafendiebstahl, wird aber auch von der organisierten Kriminalität mit Hightech ausgerüstet. Mittlerweile ist auch die paramilitärische Terrorvariante bekannt. Wie im Fall des Roten Meeres, nur dass die Freibeuter keinen Kaperbrief der Krone haben wie Sir Francis Drake, sondern eine Handynummer, die im Zweifel in den Iran führt.
Ob Störtebeker als Festspiel auf der Freilichtbühne oder «Das Geheimnis der Einhorn» bei Tim und Struppi im Comic: In Literatur, Pop und Film ist die Piraterie verbunden mit der Romantik des Rebellischen, mit Freiheit, Abenteuer, Auflage und Einschaltquote. Und vor allem: Man kann die Bücher bequem zuklappen und die Filme ausschalten. Mit dem Terror und den Bildern, die er erzeugt, geht das nicht. Das gilt auch für den jemenitischen Jack-Sparrow-Ableger.
Die Kontrolle über diese Bilder, die zwischen Hollywoodfiktion und realer Militanz angesiedelt sind, hat niemand. Auch nicht Rashid al-Haddad, der sich mittlerweile gegen die Zuneigung seiner Fans wehrt. Auf X schreibt er: «(…) Unser Problem ist Palästina, und dies ist nicht die Zeit, um über Schönheit zu sprechen.» Das sieht die Wirklichkeit der sozialen Medien anders.
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