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AboZürcher Rosengartenstrasse
Tempo 30 auf Zürichs lautester Strasse

55’000 Autos täglich: Verkehr auf der Rosengartenstrasse bei der Auffahrt zur Hardbrücke.

Der Zürcher Stadtrat geht am Rosengarten aufs Ganze. Er hat beschlossen, auf der berüchtigten Verkehrsachse mit ihren täglich 55’000 Fahrzeugen das Maximaltempo auf 30 Kilometer pro Stunde zu senken. Diese Lösung für ein jahrzehntealtes Lärmproblem hat er am Mittwochmittag bekannt gegeben. Man kann sie auf folgende Kurzformel bringen: Die Blechlawine bleibt, aber in Slow Motion.

Eineinhalb Jahre hat die Stadt gespannt darauf gewartet, wie es am Rosengarten weitergehen soll. Dies, weil die Stimmberechtigten im ganzen Kanton Anfang 2020 eine teure Tunnellösung mit Zweidrittelmehrheit vom Tisch gewischt hatten. Die zuständige Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP), eine Verfechterin des Tunnels, sagte danach, sie habe keinen Plan B. Die Stadtregierung solle nun eine Lösung vorschlagen.

28 Sekunden langsamer

Diese liegt jetzt vor. Sie basiert laut Stadtrat auf einem Expertengutachten, das beim Ingenieurbüro EWP in Auftrag gegeben wurde. Die entscheidende Frage war, ob Tempo 30 auf der knapp eineinhalb Kilometer langen Achse vom Irchelpark über den Bucheggplatz bis zur Auffahrt der Hardbrücke machbar und verhältnismässig sei. Beantworten sollte sie ein Team von Fachleuten um den Verkehrsplaner Christoph Suter. Dieser war während 15 Jahren in leitender Funktion fürs städtische Tiefbauamt tätig. Der Stadtrat ist aber überzeugt, dass das Gutachten neutral ist.

Die zentralen Ergebnisse sind:

  • Der Lärm würde bei Tempo 30 gleich stark reduziert, wie wenn 30 bis 50 Prozent weniger Verkehr rollen würde.

  • Die Fahrzeit für Autos würde sich über die gesamte Strecke um höchstens 28 Sekunden verlängern.

  • Ein lärmarmer Strassenbelag ist keine Alternative, weil angesichts der Hangneigung «eher ungeeignet».

  • Die öffentlichen Buslinien würden gebremst, weshalb der Fahrplan angepasst und zusätzliche Fahrzeuge angeschafft werden müssten.

  • Ausweichverkehr durch die Quartierstrassen sei nicht zu erwarten, weil die möglichen Routen unattraktiv sind.

Das politisch wichtigste und umstrittenste Fazit des Gutachtens ist eine Interpretation der verlängerten Fahrzeit: Ein paar Sekunden seien mit Blick auf den Gesamtweg «vernachlässigbar». Es liege folglich kein Kapazitätsabbau vor, und der Verkehr jenseits des Stadtgebiets sei auch nicht tangiert.

Beides wäre entscheidend. Der erste Punkt, weil die Zürcher Stimmberechtigten 2017 einen «Anti-Stau-Artikel» in die Kantonsverfassung geschrieben haben – mit Blick auf Temporeduktionen, wie sie die Stadt Zürich auch auf kantonalen Hauptverkehrsachsen plante. Wenn auf einer solchen Strasse die Kapazität abgebaut wird, muss dies seither anderswo kompensiert werden.

Der Stadtrat erwähnt in seiner Mitteilung zum Tempo-30-Entscheid die Kapazitätsfrage nicht. Erst auf Nachfrage sagte Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri (GLP) an einer gemeinsamen Medienkonferenz mit Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne), dass man die Einschätzung des Gutachtens teile: «Ein Kapazitätsabbau ist nicht geplant.»

Der zweite Punkt ist wichtig, weil der Stadtrat Tempo 30 nur dann in eigener Kompetenz einführen darf, wenn dies keinen negativen Einfluss auf Durchgangsstrassen ausserhalb der Stadt hat. Sonst ist nach kantonalem Recht die Zustimmung des Kantons nötig. Der Zürcher Regierungsrat, der erst kurzfristig von der Stadt informiert wurde, meldet in einer gemeinsamen Stellungnahme von Volkswirtschafts- und Sicherheitsdirektion Zweifel am externen Gutachten an. Man erwarte, dass die Stadt in dieser Frage erst noch die Beurteilung des Kantons einhole, bevor sie die Temporeduktion anordne.

Notfalls bis vor Bundesgericht?

Es gibt also genug Anlass für Konflikte. Ob das Kalkül der Gutachter und des Zürcher Stadtrats am Rosengarten aufgeht, werden mit grosser Wahrscheinlichkeit die Gerichte beurteilen müssen. Dadurch kann sich das Vorhaben um Jahre verzögern. Rykart, die für die Umsetzung zuständig ist, will erst einmal abwarten, ob nach der öffentlichen Ausschreibung in rund einem Monat überhaupt Einsprachen eingehen.

Hauri (GLP) zeigt sich aber kämpferisch: Er gehe davon aus, dass das Vorhaben nötigenfalls bis vor Bundesgericht gezogen würde. Schliesslich gehe es um die Gesundheit von 3000 Personen, die heute einem Lärmpegel über dem Grenzwert ausgesetzt seien – und die Stadt wäre von Gesetzes wegen verpflichtet gewesen, das Problem bis spätestens 2018 zu lösen.

Der Stadtrat ändert die Meinung

Offizieller Grund für die Tempo-30-Lösung ist denn auch nicht das Nein zum Tunnelprojekt, sondern eine Einsprache von Anwohnerinnen und Anwohnern, die schon einige Jahre zuvor eingereicht wurde. Sie wehrten sich gegen ein Lärmsanierungsprojekt des Stadtrats von Anfang 2017, weil dieser die Belastung rund um die Rosengartenstrasse nur mit Schallschutzfenstern reduzieren wollte statt an der Quelle, also bei den Autos.

Genau dies hätte nach eidgenössischer Lärmschutzverordnung aber erste Priorität, sofern keine «überwiegenden Interessen» dagegensprechen. Der Stadtrat hat seine Haltung diesbezüglich nun revidiert und vertritt die Ansicht, dass am Rosengarten keine guten Gründe gegen Tempo 30 gibt.

Rykart und Hauri wichen der Frage aus, ob diese 180-Grad-Wende politisch motiviert sei. Sprich: eine Reaktion auf verkehrspolitischen Druck der Basis. Sie sagten nur, dass sich die «Gewichtung des Lärmschutzes» verändert habe. Und sie verwiesen auf die strenge Haltung des Bundesgerichts in einem neuern Urteil.

FDP: Es bleibt trotzdem laut

Die Stadtzürcher FDP hofft auf Widerstand seitens des Kantons oder Direktbetroffener, deren Auto oder Bus gebremst wird. Die Erfolgsaussichten beurteilt Gemeinderat Andreas Egli, Mitglied der Verkehrskommission, allerdings nüchtern: Es sei in dieser Frage schon einmal «bis ganz nach oben» prozessiert worden. Ohne Erfolg. Solange die «anachronistische Lärmschutzverordnung» auf Bundesebene nicht falle, die von offenen Schlafzimmerfenstern zur Strassenseite hin ausgeht, werde sich daran kaum etwas ändern.

Egli sagt darum: «Man muss diesen Entscheid vor allem politisch infrage stellen, denn leiser wird es dadurch kaum.» Eine gefühlte Reduktion des Verkehrsaufkommens von 50 Prozent sei nicht zu verwechseln mit einer Lärmreduktion um 50 Prozent. «Die Rosengartenstrasse wäre auch mit der Hälfte des Verkehrs noch eine der lautesten Strassen überhaupt.» Das Lärmschutz-Argument des Stadtrats sei vorgeschoben – und das Fazit des Gutachtens zweifelt Egli an. Insbesondere die Behauptung, dass sogenannte Flüsterbeläge wenig brächten.

Die Rosengartenstrasse dürfte mit Blick auf den Zürcher Stadtratswahlkampf ein heisses Thema werden. Denn im Kreis der Anwohnerinnen und Anwohner, die vom Stadtrat nun recht bekommen, war die SP-Kandidatin Simone Brander federführend. Ihre Partei hat sich entsprechend in Stellung gebracht – und fordert weitere Massnahmen wie einen Spurabbau. Genau gleich die Grünen: Der Entscheid sei «längst überfällig», aber nicht mehr als ein «Zwischenschritt».