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Neues Album von Taylor Swift
In ihren Adern und Lyrics fliesst tiefschwarze Tinte

epa11127724 US musician Taylor Swift arrives for the 66th annual Grammy Awards ceremony at Crypto.com Arena in Los Angeles, California, USA, 04 February 2024.  EPA/CAROLINE BREHMAN
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Wäre Taylor Swift nicht ohnehin der unbestritten grösste Popstar des Planeten, würde man sagen: was für ein PR-Coup. Da nahm sie am Sonntagabend ihren Grammy für das beste Album des Jahres («Midnights») entgegen und verlor keine Zeit, sondern kündigte auf der Bühne direkt ihr kommendes Album an. «The Tortured Poets Department» soll es heissen. Swift verschwand hinter der Bühne und schwupps war diese Neuigkeit in allen sozialen Medien nachzulesen, das schwarzweisse Albumcover gepostet, ein Textchen in Taylors Handschrift dazu, wahrscheinlich ein Fragment aus einem der kommenden Songs.

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Nicht überraschend ist, dass Cover und Text am Morgen danach bereits 11,5 Millionen Likes auf Instagram bekommen haben. Überraschend hingegen mag man den Albumtitel selbst finden: «The Tortured Poets Department» – was sollen Taylor Swifts tendenziell weibliche, traditionell jugendliche, also 13- bis 19-jährige Fans damit anfangen? Was soll das überhaupt sein, diese «Abteilung der gequälten Dichter»?

Eine Weiterführung des Englischunterricht-Filmklassikers «Dead Poets Society» (auf Deutsch: «Der Club der toten Dichter») von 1989, in dem Robin Williams als überengagierter Literaturlehrer verwöhnten, aber auch irgendwie gequälten Prep-School-Boys Shakespeare nahebringt? Immerhin ist 1989, das Jahr, in dem der Film in die Kinos kam, Taylor Swifts Geburtsjahr. Ihre Fans sind in der Deutung von Swifts Entscheidungen solcher Zahlenmystik traditionell nicht abgeneigt.

In der Liebe und der Poesie ist alles erlaubt

Oder versucht Taylor Swift, ihr eigenes Schaffen im akademischen Kontext zu verorten? Das «department» ist an US-amerikanischen Universitäten der «Fachbereich» für Biologie, Informatik oder, hier vielleicht relevanter: für Germanistik, Romanistik, Anglistik. Begleitet sie ihre Fans jetzt ans College? Oder schwelgt sie, etwas verspätet, im Social-Media-Trend der «Dark Academia», einer Ästhetik der Tweedjacketts, Rüschenblusen und verträumter Blicke aus den Fenstern alter, zumindest englisch aussehender Gebäude hinaus in den melancholisch inspirierenden Regen?

Ihr Songtext-Fragment würde dazu jedenfalls passen. Sie schreibt da in ordentlicher, leicht nach links geneigter Handschrift von «Musen», die sie sich wie Verletzungen zugezogen habe, und davon, dass in ihren Adern tiefschwarze Tinte fliesse. «All’s fair in love and poetry», schliesst sie, eine Anspielung auf den Ausspruch, in Liebe und Krieg sei alles erlaubt, der dem englischen Dichter John Lyly, 16. Jahrhundert, zugeschrieben wird.

All das ist sehr, sehr gut möglich. Denn auch wenn dieser Albumtitel erst mal nach klassischeren und deshalb von vielen als höher empfundenen künstlerischen Weihen klingen mag, ist der Gestus des an der Welt, dem Leben oder einfach nur sich selbst leidenden Künstlers natürlich durchaus einer, mit dem Teenagermädchen viel anfangen können.

Vielleicht kann man sogar sagen, dass gerade sie die Zielgruppe sind für die ästhetischen Insignien, die Taylor Swift mit den «Tortured Poets» bedient: für die Posterdrucke der Paris-Schwarzweiss-Fotografien von Robert Doisneau; in Schönschrift an den Rand von Matheheften gemalte Lyrik über Liebesleid; das Sichverlieren in klassischen Geschichten, wenn nicht von Jane Austen, so doch in denen der derzeit viel gelesenen Romanzen von «New Adult»-Romanautorinnen wie Colleen Hoover, Rebecca Yarros oder Ana Huang. Wahrscheinlich ist es nämlich so: Taylor Swift mutet ihren Fans hier nichts Neues zu, sondern weiss wieder mal ganz genau, was sie ihnen anbieten muss.

Taylor Swift kisses Kansas City Chiefs tight end Travis Kelce after an AFC Championship NFL football game against the Baltimore Ravens, Sunday, Jan. 28, 2024, in Baltimore. The Kansas City Chiefs won 17-10. (AP Photo/Julio Cortez)

Im Gesamtschaffen der Künstlerin Taylor Swift sind Leid und Poesie schliesslich in etwa so überraschend wie eine (R’n’B-)Ballade im Werk von Beyoncé oder Gitarren im frühen Altherren-Rock-Œuvre Harry Styles’. Will sagen: Der vermeintliche Bruch ist nicht vorhanden. Es gibt an dieser Pop-Irrsinnsfigur keine Brüche, keine radikalen zumindest. Es gibt bei Swift genau genommen fast nichts, was nicht vorher zumindest in winzigsten Anklängen schon da war. Was bleibt, sind einigermassen sanfte Verrückungen – zur Seite, nach vorne, sehr scheu auch mal zurück und dabei, bislang, immer nach oben.

Ihre durchaus glaubwürdigen Countryanfänge in Nashville liess sie 2010 nonchalant mit dem weithin gefeierten Popalbum «Speak Now» zurück, auf dem sich, auch damals bereits brillantes Marketing, noch genau ein Countrysong fand – oder so etwas in der Art zumindest: «Mean» ist ein hyper-generisches Stück Musik, das immer hart an der Genre-Parodie entlangschrammt und darin einerseits Anker für die frühen Fans ist. Und andererseits, das nur am Rande, ein famos brachialer Angriff auf Bob Lefsetz. Den Musikblogger Lefsetz, der – frei erfunden – behauptet hatte, Swift würde bei ihren Liveauftritten Auto-Tune verwenden, also eine Software, die schief gesungene Töne geradebiegt.

«Red» sollte dann als erweiterter, frech-eklektischer Befreiungsschlag gelesen werden. In Swifts Worten: «Ich sehe dieses Album als mein Splatter-Paint-Album, bei dem ich alle Farben verwende und an die Wand klatsche, um zu sehen, was hängen bleibt.» Ganz so aufregend Genre-klecksend war es dann aber gar nicht. Aus dem ersten Pop-Shift entstand schliesslich «1989», schon bei Erscheinen ein Ereignis, und hier wird es nun besonders interessant.

Ungefähr ein Jahr nach Veröffentlichung des Albums war nämlich der Indie-Folk-Musiker Ryan Adams selbst für seine Verhältnisse über Gebühr traurig (eine sehr konkrete Herzensangelegenheit, aber wohl auch eine allgemeine Veranlagung). Also nahm er sich ein Aufnahmegerät und coverte «1989» Song für Song, wobei er die ganze im Folk so fundamentale «Drei Akkorde und die Wahrheit»-Haftigkeit von Swifts Musik final aus dem Ausgangsmaterial herausmeisselte.

Das vierte Mal den Grammy für das beste Album

Das war noch, bevor es Missbrauchsvorwürfe gegen den Sänger gab, und die – damals vielleicht noch mehr als heute – hypermännliche Feuilleton-Zunft (die Hälfte der beiden Autoren zählt sich da explizit dazu) konnte Swift nun plötzlich als die Songwriterin akzeptieren, die sie schon immer war. Es folgten unter anderem die grandiose, LGBTQ-bunte Popklebrigkeit «Lover» und, womöglich tatsächlich anknüpfend an Adams Interpretationen, die beiden wollkratzigen Lagerfeuerknisterer «Folklore» und «Evermore».

Was nun die Dunkelheit und das etwas Weltabgewandte betrifft: Auf dem gerade mit dem Grammy dekorierten «Midnights» erkundet Swift die verschiedenen menschlichen Zustände jenseits der 0-Uhr-Marke. Ein paar analoge Vintage-Drum-Machines, ein paar sehr stilsichere, dunkelbritzelige Synthesizer und voilà: eine der besten Nachterkundungen der vergangenen Jahre.

Die, klar, dabei aber nie den Swift-Pop-Appeal, dieses irgendwie doch immer Glaubwürdige, Authentische, ganz unbedingt unheimlich Echte verlor. Es war übrigens das vierte Mal, dass sie den Grammy fürs beste Album bekommen hat. Das ist bislang niemandem gelungen – nicht Frank Sinatra, nicht Stevie Wonder und erst recht nicht Beyoncé, die in dieser Kategorie noch nie gewonnen hat, was eine schrecklich peinliche Geschichte über diesen elenden Preis erzählt. Jedenfalls: Als Leitfaden, oder vielleicht auch Leidfaden, durchzog alle Swift-Werke immer eine mindestens mal als Pose ausgestellte Poesie.

Doch, doch. Shakespeare-Referenzen, ein Happy End für «Romeo und Julia» und stets diese sich sehr ambitioniert selbst zerfieselnde Grübelei, verpackt in Lyrik. Mal gelungen. Mal wie in «Dear John»: «You paint me a blue sky / And go back and turn it to rain / And I lived in your chess game / But you changed the rules every day.»

Die distanzierte Poetin

Im «Sunday Times Magazine» sprach Sir Jonathan Bate, ein ehemaliger Shakespeare-Professor an der Warwick University, ihr im vergangenen Jahr eine «literary sensibility» zu und bezeichnete sie als «wahre Poetin». Das etwas verspieltere Portal «Buzzfeed» erfreute seine Leser mit dem Quiz «Who wrote it: Taylor Swift or a famous poet?» Swift geriert sich jetzt ganz plötzlich als schwarzweiss ausgeleuchtete Lyrikerin mit existenzialistischem Rollkragen-Flair? Unfug. Taylor Swift hat nur die Farbe etwas aus dem Bild gedreht. Zeigen tut es weiterhin, was mindestens im Hintergrund immer schon zu sehen war.

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Auf dem jüngst ebenfalls im Social Web geposteten Cover also auch noch eine flauschige Bettszene à la «In Bed with Taylor». Swift räkelt sich da in tendenziell züchtiger, aber auch entschieden durchsichtiger Lingerie auf wolkigen Daunenkissen. Der rechte Arm umschlingt den Oberkörper. Ihr Gesicht ist nur von der Nasenspitze abwärts zu sehen.

Wie einem Instagram-Posting der Fotografin Beth Garrabrant zu entnehmen ist, handelt es sich bei der Unterwäsche um Ware des Labels The Row, 2006 von den Schauspielerinnen Ashley und Mary-Kate Olsen gegründet. Kostenpunkt: sehr sicher nicht unter 1000 Euro. Um jungen Fans als Idol zu taugen, muss man ihnen zwar emotional nahekommen, ihre Leiden in Poesie kleiden, aber so richtig erreichbar sein, das darf man auf keinen Fall.