Skepsis in BerlinTausende freie Termine mit AstraZeneca
Politiker und Experten in der deutschen Hauptstadt fordern nun, die Impfungen mit dem wenig geliebten Vakzin für alle Erwachsenen freizugeben.
Wer auf die Website der Zentren in den stillgelegten Berliner Flughäfen Tegel und Tempelhof klickt, findet zu allen möglichen Zeiten noch freie Termine, manchmal noch am selben Tag. Dies hat in den sozialen Medien viele verärgert, die auf ihre Impfung schon lange warten.
Sind die Tausenden von freien Terminen ein Beleg dafür, dass sich in Berlin niemand mehr mit dem Produkt von AstraZeneca impfen lassen will, das in diesen beiden Zentren verimpft wird? Oder eher für das legendäre Chaos in der Berliner Verwaltung? Trägt das eine zum anderen bei?
Skepsis – und ein wenig Chaos
Sicher ist, dass der zweitägige Impfstopp mit dem britisch-schwedischen Vakzin, den Deutschland und andere europäische Länder letzte Woche erlassen hatten, die schon zuvor erhebliche Skepsis nochmals verstärkt hat. Um glatte 20 Prozentpunkte fiel in den Umfragen das entsprechende Vertrauen, obwohl Zulassungsbehörden und Experten unablässig betonen, dass sie den Impfstoff für sicher und wirksam halten.
Die vielen freien Termine zeigen gleichzeitig an, dass der vorübergehende Stopp die Impfpläne in Tegel und Tempelhof erheblich durcheinandergebracht hat. 6000 kurzfristig abgesagte Termine müssten neu gebucht werden, hatte die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) schon letzten Freitag gewarnt. Einige wurden seither nachgeholt, am Wochenende waren die Zentren in Tegel und Tempelhof offenbar gut besucht.
Das mangelnde Vertrauen in AstraZeneca hat aber gleichwohl Folgen: Im Unterschied zu den anderen deutschen Bundesländern können die Berliner nämlich mehr oder weniger frei wählen, mit welchem Stoff sie geimpft werden wollen. Wer von den Behörden aufgrund der Prioritätenordnung zum Impfen eingeladen wird, kann sich das Zentrum aussuchen, in dem das geschehen soll. Nur in zwei von sechs Zentren wird AstraZeneca verimpft, in den anderen die erheblich beliebteren Stoffe von Biontech und Moderna.
In der Praxis schränken die verfügbaren Termine die Wahl freilich drastisch ein: Wer gestern in Berlin einen Termin für eine Impfung mit AstraZeneca buchen wollte, konnte sich heute schon impfen lassen. Für Biontech und Moderna hingegen waren auf absehbare Zeit überhaupt keine Termine verfügbar – Einladung hin oder her.
100’000 Dosen vorrätig
Dies deutet darauf hin, dass AstraZeneca in Berlin ein grösseres Akzeptanzproblem hat, als die Behörden bisher zugeben. Die wichtigste Zeitung der Hauptstadt, der «Tagesspiegel», berichtete gerade, dass in Berlin derzeit knapp 100'000 Dosen des Vakzins vorrätig seien. Rund 300'000 zur Impfung eingeladene Menschen warteten derzeit aber offenbar lieber zu, als einen Termin mit AstraZeneca zu buchen.
Zu den Abwartenden gehören seit dem Impfstopp von letzter Woche wahrscheinlich auch viele der 100’000 Berliner Lehrerinnen, Kita-Angestellten oder Polizisten. Sie sollten ursprünglich ausschliesslich mit AstraZeneca geimpft werden, viele von ihnen hatten dafür auch schon Termine. Ende letzter Woche sicherte ihnen die Verwaltung auf einmal zu, dass sie neu auch einen anderen Impfstoff erhalten könnten. Vor allem unter den Polizisten hatte sich schon früh Protest gegen den angeblich «zweitklassigen Impfstoff» formiert.
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In Berlin mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern sind bisher insgesamt 500'000 Impfdosen verabreicht worden. Unter anderem sind alle Impfwilligen über 80 Jahren, alle Alters- und Pflegeheimbewohner mindestens einmal geimpft worden. Angesichts der Vorräte an AstraZeneca und der nun ohnehin exponentiell ansteigenden weiteren Lieferungen fordern jetzt aber Politiker und Experten, das bisherige Impftempo drastisch zu beschleunigen.
Um das wenig geliebte AstraZeneca-Vakzin schneller an die Frau und an den Mann zu bringen, gibt es verschiedene Vorschläge. In der Berliner Stadtregierung sind einige der Meinung, man solle innerhalb der geltenden Impfordnung einfach mehr Leute zu Impfungen einladen, dann würden die freien Termine schon gebucht werden.
Besser einfach freigeben?
Angesichts der grossen Skepsis gegenüber AstraZeneca könnte dies aber auch einfach dazu führen, dass der Stau bei Biontech und Moderna weiter zunimmt und das Tempo insgesamt tief bleibt. Ähnliche Vorbehalte gibt es gegenüber dem Vorschlag, die Impfreihenfolge als solche aufzuweichen, um mehr Willige einzubinden.
Am meisten Erfolg versprechen sich einige Experten und Politiker von der Idee, die AstraZeneca-Lieferungen künftig vor allem an die 3000 Berliner Hausärzte zu verteilen und damit die Impfung mit diesem Wirkstoff praktisch für alle Erwachsenen freizugeben. Die Hausärzte könnten die Bedenken mancher Impfwilligen am ehesten ausräumen, heisst es. Zudem eigne sich dieses Vakzin am besten zur Impfung in Praxen.
Am Anfang der dritten Welle sei es entscheidend, so schnell wie möglich zu impfen, sagte der Amtsarzt von Berlin-Neukölln kürzlich. «Darum sollte es bei AstraZeneca keine Priorisierung mehr geben», so Nicolai Savaskan. Politisch müsse das aber der Bund entscheiden, die einzelnen Bundesländer hätten dabei wenig Spielraum.
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