Rekord-SchwankungenTankstellen schrauben so häufig an Benzinpreisen wie noch nie
Die Preise für Benzin und Diesel spielen diese Woche verrückt. Nach dem rasanten Aufstieg sinken die Preise bei Migrol schon wieder um 12 Rappen.
Die Schweizer Benzinpreise sind diese Woche gleich mehrfach aus den Fugen geraten: Sie notieren deutlich über der Marke von 2 Franken. Sie sind auch so abrupt gestiegen wie noch nie: «Einen Aufschlag von 20 Rappen von einem Tag auf den anderen habe ich bislang nicht erlebt», sagt der Chef der Migrol-Tankstellen, Andreas Flütsch. Er arbeitet seit 25 Jahren in der Branche. Dazu kommt: Die Tankstellen ändern ihre Preise so häufig wie noch nie.
In normalen Zeiten wechsle eine Tankstelle ihre Preise einmal pro Woche, erklärt Flütsch. Diese Woche sei es jedoch zum Teil mehrmals erfolgt. «Nach oben wie nach unten», so Flütsch. Am Freitagmittag hat Migrol an allen 310 Tankstellen die Treibstoffpreise um 12 Rappen gesenkt.
Entscheidend sind die Einkaufspreise
Der Ukraine-Krieg sorgt für höchst ungewöhnliche Preissprünge an den Rohstoffmärkten. «Dieser Anstieg war bislang nicht vollständig in den Säulenpreisen weitergegeben worden», erklärt der Migrol-Chef. Was er auch sagt: «Die inzwischen eingesetzte Gegenbewegung wird nun ebenso unmittelbar zu einem ersehnten Abschlag der Treibstoffpreise führen.»
Kleine ständige Schwankungen am Markt vollzögen die Tankstellenbetreiber nicht sogleich mit, erklärt dagegen Erich Schwizer. Der Spritexperte beim Schweizer Touringclub betont: «Vor allem, wenn Tankstellen einen guten Standort haben wie in der Stadt oder an der Autobahn, nehmen viele das, was der Markt hergibt.»
Entscheidend für die Tankstellenbetreiber sind nicht die Rohölpreise, sondern die jeweiligen Einkaufspreise bei ihren Lieferanten. Meistens werden die Treibstoffe bei den Raffineriebetreibern auf Basis von festen Lieferverträgen eingekauft. Die Preise richten sich jedoch nach den täglichen Durchschnittspreisen der internationalen Märkte.
Bei Avia variieren die Preise je nachdem, was die Leute bereit sind zu zahlen.
Günstig eingekauftes Benzin und Diesel, die an Lager sind und dann zu höheren aktuellen Preisen verkauft werden können, seien für Tankstellen kein besonders lukratives Geschäft. «Wir haben eine relativ kleine Lagerhaltung, beziehen jeden Tag Treibstoff von unseren Lieferanten, die wir an unsere Tankstellen liefern, und bezahlen dabei Tagespreise», erklärt Flütsch. Was Migrol einkaufe, werde praktisch sofort wieder an den Zapfsäulen verkauft. Das heisst umgekehrt: Die Veränderungen der Beschaffungskosten spiegeln sich ziemlich direkt in den Preisen für die Autofahrenden.
Die Zahl der Tankstellen ist in der Schweiz laut Schwizer jedoch sehr hoch: Es gibt 3500 Tankstellen, im Vergleich zu Deutschland mit 14’000 sei dies eine sehr hohe Dichte. Der Markt spielt also.
Eine der grössten Schweizer Betreiberinnen mit über 500 Tankstellen ist Avia. Bei der Genossenschaft gibt es jedoch keine einheitlichen Preise, sondern die 10 unabhängigen Händlerunternehmen setzen sie individuell fest. Sie richten sich dabei «nach den konkreten Beschaffungspreisen und den regionalen Marktgegebenheiten», wie Avia-Marketingleiterin Lynn Poëll erklärt. Die Preise variieren je nachdem, was die Leute bereit sind zu zahlen.
Durch den Ukraine-Krieg scheinen für Konsumenten auch enorme Aufschläge an den Zapfsäulen plausibel. Die Zuckungen am Rohölmarkt sind derzeit enorm: «Es gibt auch innerhalb eines Tages massive Bewegungen auf dem Rohölmarkt, die Nervosität ist immens und ist ein Zeichen von hoher Unsicherheit», sagt der Rohstoffexperte Norbert Rücker von der Bank Julius Bär. Der Preis reagiere so schnell, weil im Ölhandel Tagespreise vorherrschten. Langfristige Verträge mit festen Preisen gebe es nur für das per Pipeline gelieferte Öl, das aber macht nur einen Bruchteil aus.
Die USA hatten russisches Öl und Gas diese Woche sanktioniert, auch Grossbritannien hat dies angekündigt. Der Markt zittert davor, dass auch Europa das russische Öl mit einem Embargo belegen könnte. «Wir haben im Moment eine hohe Risikoprämie auf dem Ölpreis», analysiert Elias Hafner, er ist Ölexperte bei der Zürcher Kantonalbank. Ihm zufolge sei ein kurzfristiger Engpass nicht auszuschliessen, wenn die Lieferungen aus Russland wegblieben. Täglich exportiert Russland sieben Millionen Barrel an Ölprodukten.
Bankanalyst Rücker dagegen rechnet nicht mit einer Knappheit: «Wir haben nur eine Preiskrise und keine Angebotskrise.» Die Lager reichten aus, und mittelfristig könne der Ausfall des russischen Öls durch höhere Förderungen der Opec-Staaten und in den USA kompensiert werden oder auch durch die Rückkehr des Iran oder von Venezuela auf den Ölmarkt.
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