Tamedia-UmfrageKrankenkassen-Initiativen starten mit grossem Vorsprung
War die 13. AHV-Rente erst der Anfang? Beide Initiativen zur Prämienbegrenzung, über die wir im Juni abstimmen werden, kommen bei den Stimmberechtigten gut an.
Das Ja zur 13. AHV-Rente war eine Premiere. Zuvor hatte das Schweizer Volk noch nie eine Initiative angenommen, die einen Sozialausbau verlangt. Über ein Jahrhundert lang nicht. Nun könnte es bereits in drei Monaten zu einem zweiten solchen Fall kommen.
Am 9. Juni steht nämlich unter anderem die Prämienentlastungs-Initiative der SP zur Abstimmung. Sie verlangt, dass niemand mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien aufwenden muss. Bund und Kantone sollen dies mit einer grosszügigen Prämienverbilligung sicherstellen.
Die Initiative hat intakte Chancen, angenommen zu werden, wie jetzt eine Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» zeigt. Dafür wurden über 30’000 Abstimmende vom vergangenen Wochenende befragt. 64 Prozent haben dabei bekundet, sie würden die Prämienentlastungs-Initiative annehmen. Lediglich 21 Prozent wollen ein Nein einlegen.
Insbesondere der tiefe Nein-Anteil lässt aufhorchen. Allerdings deuten die zahlreichen Unentschlossenen sowie die vielen «eher Ja» und «eher Nein» darauf hin, dass die Meinungsbildung noch nicht sehr weit fortgeschritten ist. «Das ist typisch für Volksinitiativen», sagt Politologe Fabio Wasserfallen, der die Umfrage mit seiner Firma Leewas für Tamedia und «20 Minuten» durchgeführt hat.
Bei Volksinitiativen dominiert zu Beginn oft das Einverständnis mit dem Grundanliegen. Viele honorieren die Benennung des Problems. Erst später – während des Abstimmungskampfs – findet eine vertiefte Auseinandersetzung mit der vorgeschlagenen Lösung statt. Dann geht nicht nur die Zahl der Unentschlossenen zurück, sondern oft auch der Ja-Anteil.
«Die 13. AHV-Rente war diesbezüglich eine Ausnahme, weil sich bei ihr bereits früh eine starke Entschlossenheit zeigte», so Wasserfallen. Bei der Prämienentlastungs-Initiative hingegen beobachte man nun eher das übliche, noch etwas diffuse Bild für Volksinitiativen. Bis zur Abstimmung am 9. Juni kann also noch viel passieren.
Für SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer zeigen die Umfrageergebnisse, dass das Kaufkraft-Problem die Menschen bis weit in den Mittelstand belastet. «Diese Familien, Rentner-Ehepaare und Alleinstehenden brauchen eine Deckelung der Prämien, wie sie die Initiative vorschlägt», so Meyer. Es zeichnet sich also eine ähnliche Diskussion ab wie bei der 13. AHV-Rente. Den bürgerlichen Gegnern steht ein weiterer schwieriger Abstimmungskampf bevor.
Dieser beginnt mit dem Überzeugen der eigenen Basis. Stösst doch die SP-Initiative weit über die eigene Partei hinaus auf Anklang. Auch eine Mehrheit der SVP-Wählerinnen und -Wähler ist gegenwärtig dafür. Dasselbe gilt für die Anhängerschaft der Mitte, der Grünen und der Grünliberalen. Einzig bei der FDP-Basis wollen etwa gleich viele Nein wie Ja stimmen.
Zu erkennen ist auch ein Bildungsgraben. Wobei dieser weniger tief ist als bei der 13. AHV-Rente. Unter den Befragten ohne Lehre oder Studium wollen 71 Prozent die Prämienentlastungs-Initiative annehmen. Bei den Absolventen einer Universität oder einer höheren Fachschule sind es noch 59 respektive 57 Prozent.
Weniger eindeutig sind die Unterschiede zwischen den Altersklassen, den Geschlechtern sowie zwischen Stadt und Land. Dies trifft auch für die zweite Krankenkassen-Initiative zu, die am 9. Juni zur Abstimmung kommt. Sie stammt von der Mitte-Partei und verlangt, dass Bund und Kantone eingreifen müssen, wenn die Gesundheitskosten im Vergleich zu den Löhnen zu stark steigen.
Diese Kostenbremse-Initiative kommt bei den Befragten gegenwärtig noch besser an als die Prämienentlastungs-Initiative. 72 Prozent wollen ihr zustimmen, und nur 11 Prozent sind dagegen. «Das zeigt, dass unsere Initiative Chancen hat», freut sich Mitte-Präsident Gerhard Pfister. «Es braucht aber noch viel Überzeugungsarbeit.»
Tatsächlich fallen auch bei dieser Initiative die vielen «Eher»-Antworten und die hohe Zahl an Unentschlossenen auf. Dies macht die Ausgangslage noch diffuser als bei der SP-Initiative. «Hier kommt es stark auf die Kampagnen an», bestätigt Fabio Wasserfallen. Gegen das Ziel, die Gesundheitskosten zu bremsen, könne ja niemand etwas haben. Doch die Initiative sagt nicht, mit welchen Mitteln sie ihr Ziel erreichen will.
Gegenwärtig findet sie bei sämtlichen Parteien eine Mehrheit. Neben der Mitte selbst gedenken insbesondere die SVP-Wählenden, in Scharen zuzustimmen. Am skeptischsten ist die FDP-Basis, wobei auch hier noch 67 Prozent sagen, sie würden (eher) zustimmen.
Wie bei der Prämienentlastungs-Initiative zeigen sich auch bei der Kostenbremse-Initiative Unterschiede zwischen den Bildungsschichten – allerdings nur moderate. Während unter den Akademikern 68 Prozent zustimmen wollen, sind es bei den Befragten ohne Lehre oder Studium gar 77 Prozent.
Insbesondere die Prämienentlastungs-Initiative würde bei einer Annahme die Kassen des Bundes und der Kantone stark belasten. Müsste doch die Prämienverbilligung deutlich umfangreicher ausfallen als heute. Es geht also erneut um viel Geld. Der Bundesrat rechnet mit 8 Milliarden Franken pro Jahr, also deutlich mehr als bei der 13. AHV-Rente. Entsprechend intensiv dürfte der kommende Abstimmungskampf werden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.