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Tabubruch in der Gesundheitspolitik
Rickli ist nicht allein – Politiker nehmen Krankenversicherung ins Visier

Kein Krankenkassenobligatorium mehr: Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (rechts) bei einem Besuch an Ostern im Kantonsspital Winterthur.
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Werden die Krankenkassenprämien doch noch zum grossen Wahlkampfthema?

In den letzten Wochen sah es so aus, als wollten die Parteien im Wahlkampf die relevanten Themen schlicht verdrängen. Stattdessen profilierten sie sich mit schrägen Wahlkampfvideos, inhaltsarmen Politshows im Hockeystadion oder schrillen Diskussionen über den Genderstern (hören Sie hier den Podcast «Politbüro» über den «Gaga-Wahlkampf»).

Doch jetzt lanciert die Zürcher SVP-Regierungsrätin Natalie Rickli einen brisanten Vorschlag zu jenem Thema, das die Bevölkerung laut einer aktuellen Umfrage am stärksten beschäftigt: die explodierenden Gesundheitskosten. In einem Interview mit der «SonntagsZeitung» stellt Rickli das Herzstück des Gesundheitswesens infrage: das Krankenkassenobligatorium. Als die obligatorische Krankenversicherung 1994 vom Volk angenommen worden sei, habe man ihm eine solidarische, aber auch bezahlbare Krankenversicherung versprochen. Heute, 30 Jahre danach, ist Ricklis Fazit vernichtend: Der Plan von 1994 sei «aus finanzieller Sicht» schlicht «gescheitert».

Zwar habe die Schweiz ein qualitativ hervorragendes Gesundheitssystem. Doch die steigenden Prämien würden selbst den Mittelstand immer stärker überfordern. Und der Staat müsse immer höhere Milliardensummen für die individuellen Prämienverbilligungen aufwerfen. Zwar habe sie auch «keine fertige Lösung», sie wolle aber eine Debatte anstossen. Dabei müsse man «sogar eine Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung in Betracht» ziehen.

Als Alternative skizziert Rickli eine Grundversicherung, die «in erster Linie für die Geringverdiener» da sei. Für alle anderen brauche es vielleicht gar keine obligatorische Versicherung mehr.

Harsche Reaktionen

Die Politikerin, die diesen Tabubruch begeht, ist nicht irgendjemand. Als zuständige Regierungsrätin des bevölkerungsreichsten Kantons ist Rickli (nach Gesundheitsminister Alain Berset) die zweitmächtigste Person im Gesundheitswesen überhaupt. Sie gebietet über mehrere der grössten Spitäler. 1,5 Millionen Menschen, ein Sechstel der Gesamtbevölkerung, lebt im Kanton Zürich.

Entsprechend sorgte Ricklis Interview für teilweise heftige Reaktionen. «Wie bitte?!», schrieb die Berner SP-Gesundheitspolitikerin Flavia Wasserfallen auf X, vormals Twitter.

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Im Gespräch sagt Nationalrätin Wasserfallen, mit Ricklis Vorschlag drohe eine «2-Klassen-Medizin». Wenig Verdienende bekämen dann nur noch eine abgespeckte Versicherungsabdeckung. Oder wie SP-Co-Parteichef Cédric Wermuth auf X schrieb: «Das wäre Gesundheit nur noch für die Reichen.»

«Das wäre Gesundheit nur noch für die Reichen.»

Cédric Wermuth, SP-Co-Präsident

Wasserfallen wirft Rickli vor, von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken. Als Regierungsrätin sei Rickli für die Spitalplanung zuständig – und die Spitäler seien einer der stärksten Kostentreiber. Doch anstatt hier Massnahmen zu ergreifen, gebe Rickli für die Kostenexplosion im Interview zu Unrecht allein den Patientinnen und dem Pflegepersonal die Schuld, das angeblich für mehr Lohn weniger arbeiten wolle. Über die zu hohen Medikamentenpreise oder unnötige teure Behandlungen verliere sie hingegen kein Wort.

Für andere Mitglieder der nationalrätlichen Gesundheitskommission stösst Rickli hingegen eine wichtige Debatte an. «Die Probleme unseres Gesundheitswesens hängen tatsächlich mit dem Obligatorium zusammen», sagt der SVP-Nationalrat Thomas de Courten (BL). Wie es mit dem Obligatorium weitergehe, sei darum in der SVP nicht nur für Rickli ein Thema, es gebe dazu aber noch keinen Beschluss. De Courten selber skizziert nicht die Abschaffung des Obligatoriums, aber eine starke Reduktion des Leistungskatalogs «auf eine Grundversicherung, die den Namen auch verdient».

«Budgetversicherung» à la FDP

In der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) ist ein so fundamentaler Umbau, wie ihn Rickli anregt, derzeit kein Thema, wie GDK-Präsident und Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (Die Mitte) sagt. Er selber sei sehr skeptisch gegenüber Ricklis Vorschlag. «Mir ist kein Modell bekannt, das nach einer Abschaffung des Obligatoriums eine Spaltung des Gesundheitssystems verhindern könnte.» Für eine erste Kategorie von Menschen müsste der Staat einen (wohl reduzierten) Leistungskatalog finanzieren, eine zweite Kategorie könnte sich privat versichern. Durch die Spaltung würde die Solidarität geschwächt und für die Leistungserbringung würden neue Fehlanreize für die Leistungserbringer entstehen, sagt Engelberger.

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Noch vor der SVP hat die FDP in diese Richtung einen Vorschlag lanciert – allerdings mit einem Wahlmodell. Im Juli forderte sie, dass die Versicherten zwischen einer Vollversicherung und einer «Grundversicherung light» wählen könnten. Diese soll mindestens ein Viertel billiger sein, im Gegenzug müssten die Versicherten zum Beispiel auf die freie Arztwahl, auf die Komplementärmedizin oder andere Behandlungen verzichten.

Am nächsten Samstag will die Partei diese Idee am «Tag der FDP» in Freiburg weiter propagieren. Die Zürcher Nationalrätin Regine Sauter spricht gemäss Programm zum Thema: «Tiefere Krankenkassenprämien durch eine Budgetversicherung».

Radikale Vorschläge auch von links

Doch nicht nur die Bürgerlichen steigen mit radikalen Vorschlägen in die Endphase des Wahlkampfs. Der SP-Parteitag beauftragte die Parteispitze am Samstag, eine neue Volksinitiative für die Einführung einer staatlichen Einheitskasse zu prüfen. Auch dies würde das heutige System in seinen Grundfesten erschüttern.

Und diese Ideen sind wohl erst der Anfang. In den nächsten Wochen wird die Debatte neue Nahrung bekommen: Ende September werden die Prämien für das nächste Jahr bekannt. Vor einem Jahr stiegen die Prämien durchschnittlich um 6,6 Prozent – und dieses Jahr rechnen Insider mit einem noch stärkeren Anstieg.

Das heisst: Ein erneuter Prämienschock kommt nur wenige Wochen vor den Wahlen auf die Schweizerinnen und Schweizer zu.

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